Annika Beck: Kontrollierter Aufstieg einer Musterschülerin
Das Gekreische von Olga Govortsova schallte über die Außenplätze von Wimbledon und man musste genau hinschauen, ob auf dem Court No. 8 vielleicht doch Maria Sharapova stand. Lautstärke, Frequenz und Intensität der spitzen Schreie hätten jedenfalls gepasst. Und auch die Äußerlichkeiten ähnelten sich: Govortsova ist groß gewachsen, hat lange blonde Haare, trägt silberne Ohrringe. Bei den spielerischen Möglichkeiten endeten aber alle Parallelen, selbst wenn die Weißrussin Govortsova den Sharapova-Stil mit seinen geraden Powerschlägen von der Grundlinie oft genug zu imitieren versuchte. Allerdings mit eher durchwachsenem Erfolg.
Das lag auch an ihrer Gegnerin Annika Beck, 18 Jahre alt, aus Bonn, French Open-Siegerin bei den Juniorinnen 2012. Beck misst nur 1,69 Meter, aber ihr Kampfgeist und ihre Laufbereitschaft sind riesig. Wie sie die Geschosse von Govortsova parierte, bis dieser ein Fehler unterlief oder Beck selbst die Initiative übernehmen konnte, war phasenweise eindrucksvoll, auch wenn sie die Partie 3:6, 6:3, 3:6 verlor. Es war Becks erster Auftritt auf einer richtig großen Tennisbühne. Und allein das ist schon ein Erfolg für die Nummer 169 der Weltrangliste, die sich über die Qualifikation ins Hauptfeld kämpfte und dabei die ersten Matches auf Rasen in ihrer Laufbahn absolvierte. Sie stand zum ersten Mal im Hauptfeld einer Damenkonkurrenz bei einem Grand Slam-Turnier. Und dann gleich in Wimbledon. Mehr geht nicht.
Schwachpunkt ist der zweite Aufschlag
Die Dimensionen, in die sie jetzt vordringt, nimmt Beck erstaunlich abgeklärt wahr. Wimbledon sei zwar sehr, sehr beeindruckend und so traditionell, aber nach dem Erfolg bei den Juniorinnen in Paris haut mich das jetzt auch nicht total um, stellte sie klar. Besonders nervös wirkte Beck im Match gegen Govortsova nicht. Neben ihren Stärken offenbarte das Match auch den großen Schwachpunkt im Spiel von ihr: der zweite Aufschlag. Wenn der erste Service nicht kam, fand sich die Deutsche sofort in der Defensive wieder. Bei den Juniorinnen reicht so ein Aufschlag unter Umständen noch, gegen eine Top 100-Spielerin wie Govortsova ist das zu wenig. Am Aufschlag muss ich noch sehr viel arbeiten, räumte Beck später ein. Im dritten Satz führte sie 1:0 und 2:1, jeweils mit einem Break Vorsprung, aber es reichte nicht, um ins Ziel zu kommen.Behutsamer Aufbau über die letzten Jahre
An Becks grundsätzlichen Aussichten auf der Profitour ändert diese Niederlage wenig. Ihre Zukunft sieht nach wie vor ziemlich rosig aus. Jahrelang nahm sie die Doppelbelastung von Schule und Leistungstennis auf sich, büffelte morgens für ihr Abitur und stand nachmittags stundenlang auf dem Tennisplatz. Jetzt hat sie ihr Abitur mit einem Einser-Schnitt gemacht und kann sich voll aufs Tennis konzentrieren. Ihre Trainingsintensität hat sich nahezu verdoppelt, bis zu sieben Stunden arbeitet sie täglich an Fitness, Technik und Koordination. Trainer Robert Orlik baut sie seit Jahren behutsam auf und setzt realistische Ziele. Schritt für Schritt klettert Beck nach oben. Sie hat den Ehrgeiz, eines Tages zu den Besten zu gehören. Die Top fünf wären nicht schlecht, sagte sie einmal. Verzicht ist für Beck längst normal. Ich habe dieses Ziel und bin bereit dafür Opfer zu bringen, fasst sie ihre Einstellung zusammen.
Bei Beck klingen solche Sätze nicht wie einstudierte Statements. Man hört eher ihre Überzeugung heraus, mit der sie ihre Karriere vorantreibt. Dazu gehört auch, dass sie sehr diszipliniert wirkt vor allem in ihren Matches. Große Emotionen zeigt sie sehr selten. Und wenn, dann nur positive, sagt Beck. Mehr als eine geballte Faust oder ein vergleichweise zartes Come On! gibt es bei ihr aber nicht. Einen Schläger soll sie noch nie geschmissen haben. Ja, stimmt, so etwas mache ich nicht, bestätigt sie. Diese negativen Emotionen bringen einfach nichts im Tennis. Sie hat sich voll unter Kontrolle in ihren Partien. So sehr, dass ihr das Gekreische ihrer Gegnerin in Wimbledon nicht großartig auffiel. Ich beschäftige mich nicht meinen Gegnerinnen während eines Matches. Ich beschäftige mich mit mir und meinem Spiel.
Tim Böseler, Wimbledon
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