2024 French Open – Day 6 Andrey Rublev is playing against Matteo Arnaldi in the men s singles at the Roland Garros Frenc

Sicherungen durchgebrannt: Bei den French Open verlor Andrey Rublev die Kontrolle über seine Emotionen.Bild: Imago/Ibrahim Ezzat

Diagnose Durchgeknallt – Andrey Rublev im Rausch der Emotionen

Dass es bei Andrey Rublev des Öfteren mit den Emotionen durchgeht, ist bekanntlich nichts Neues. Doch in diesem Jahr haben seine inneren Dämonen anscheinend die Oberhand gewonnen.

Hier fliegt ein Schläger durch die Gegend, dort wird der Referee oder ein Linienrichter angemault. Überkochende Emotionen sind im Tennis an der Tagesordnung. Während einige Spieler ihren Frust still in sich hineinfressen, machen andere ihrem Ärger regelmäßig Luft. Rafael Nadal zerstörte in seiner Profikarriere bisher nicht ein einziges Racket. Bei Nick Kyrgios und Konsorten kommt man mit dem Zählen schon fast nicht mehr hinterher. Andrey Rublev gehört definitiv zu letzterer Brigade. Der Russe ist bereits seit gut zehn Jahren auf der Tour unterwegs, sein Temperament auf dem Platz dabei schon länger auffällig.

Die Eskapaden der letzten Monate

Fotograf, Linienrichter und sein Knie. Das waren die Leidtragenden von Rublevs letzten emotionalen Ausbrüchen. Beim Masters in Shanghai im Oktober vergangenen Jahres beschwerte er sich lauthals über einen Fotografen, der während eines Ballwechsels aufgestanden und so seine Konzentration gestört habe. Bei den ATP-Finals nur wenige Wochen später, war dann das Knie Ziel seiner Frustration. Sechsmal schlug er mit seinem Racket mit voller Wucht darauf ein.

Den vorläufigen Höhepunkt der Eskapaden gab es beim Turnier in Dubai Ende Februar, wo der 26-Jährige im Halbfinale gegen Alexander Bublik disqualifiziert wurde. Zuvor war er einen Linienrichter verbal angegangen und hatte diesen wohl auf russisch als „sche**ß Idioten“ beleidigt. Schon 2022 war er bei den French Open einer Disqualifikation nur knapp entkommen. Damals hatte er vor Wut einen Ball gegen seine Bank geschlagen, welcher daraufhin nur knapp den Kopf eines Helfers verfehlte. Fünf Zentimeter weiter unten und das Match wäre vorzeitig beendet gewesen.

Mit dem Versprechen sich bessern zu wollen, trudelte der Russe dann zunächst in eine Serie von vier Niederlagen am Stück. Während des Masters in Madrid war dann tatsächlich eine Besserung zu erkennen. Er verhielt sich ruhig, versprühte keine Negativität auf dem Platz. „Ich glaube der Schlüssel war, dass ich das gesamte Match über ruhig war. Selbst wenn ich schlecht gespielt habe, bin ich entspannt geblieben“, sagte er nach seinem Überraschungserfolg gegen Titelverteidiger Carlos Alcaraz. Schließlich gewann er in der spanischen Hauptstadt seinen zweiten Titel der 1000er-Kategorie.

Rublevs Rückfall

So positiv seine Herangehensweise in Madrid war, so schnell fiel Rublev dann auch wieder in alte Muster zurück. In Rom verlor er in der zweiten Runde gegen Außenseiter Alexandre Muller. Während der Drittenrundenpartie bei den French Open gegen Matteo Arnaldi kochte es in ihm dann wieder hoch. Mehrfach wurde der Schläger wieder zum Wurfinstrument umfunktioniert und auch das Knie fiel dem Frust erneut zum Opfer. Entscheidungen der Schiedsrichterin wurden mit lautstarken Schimpftiraden begleitet. Ergebnis: Klare Dreisatzniederlage und ein erneuter Schaden am Image. Die Bilder des wütenden Rublev sind geradezu angsteinflößend. Als hätten seine inneren Dämonen Besitz von ihm ergriffen. Nach dem Match war er um eine Erklärung bemüht.

 

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

 

Ein Beitrag geteilt von Eurosport (@eurosport)

Rublev: „Mein Kopf hat mich umgebracht“

Sichtlich beschämt über sein Verhalten, suchte der gebürtige Moskauer nach einer Begründung für sein Durchdrehen. „Die vielen ausgelassenen Möglichkeiten haben mich einfach fertig gemacht. Zwischendurch war ich dann wieder besser, aber wenn ich dann wieder eine Chance ausgelassen habe, habe ich einfach den Kopf verloren“, gestand er gegenüber den Journalisten nach dem Match. „Mein Kopf hat mich umgebracht. Ich glaube ich habe mich bei einem Grand Slam noch nie so schlecht verhalten“, fügte er hinzu. Spätestens dieser Vorfall und auch die Disqualifikation Anfang des Jahres sollten Rublev zu denken geben. Besonders hinsichtlich seines „Mental Games“.

Der ständig wachsende Druck auf der Tour hat viele Profis dazu veranlasst, einen Mentalcoach in ihr Team zu integrieren. So zum Beispiel bei Daniil Medvedev, Jannik Sinner oder auch Iga Swiatek. Sie alle setzen damit neben der physischen auch auf die psychische Optimierung ihrer Fähigkeiten. Leistungsdruck, die Ansprüche an sich selbst und viele weitere Aspekte machen einen solch spezialisierten Coach für viele Spieler gerade heute nahezu unabdingbar. Für Rublev sollte es dementsprechend mindestens mal eine Überlegung wert sein sich mit der Verbesserung seiner emotionalen Stabilität zu beschäftigen.

In Wimbledon kracht es erneut

Nach der insgesamt eher verkorksten Sandplatzsaison (der Titel in Madird sticht natürlich hervor) folgte der Wechsel auf Rasen. Auch hier wurde es für den 16-fachen Titelträger auf der ATP-Tour nicht besser. Zur Vorbereitung auf Wimbledon trat Rublev in Halle an, wo er in der ersten Runde gegen Marcos Giron das Nachsehen hatte. Dann folgte der Fokus auf den Rasenklassiker in London. Vergangenes Jahr stieß er hier noch bis ins Viertelfinale vor. Dort traf er zum Auftakt auf den weitgehend unbekannten Francisco Comesana. Wieder lief beim Russen nicht viel zusammen, wieder kamen seine scheinbar unkontrollierbaren Aggressionen zum Vorschein. Schläger und Knie wurden Mitte des dritten Satzes erneut mit ziemlicher Brutalität zusammengefügt. Besagtes Knie begann daraufin sogar zu bluten. Eine Besserung blieb aus. Rublev verlor das Match letztendlich in vier Sätzen. Comesana ist erst seit diesem Jahr überhaupt auf der ATP-Tour unterwegs und hatte zuvor noch kein einziges Hauptfeldmatch gewonnen. Gegen Rublev bestritt der Argentinier seine erst zweite Partie auf Rasen. Beim Grand Slam-Debüt direkt einen Top zehn-Spieler ausgeschaltet zu haben, kann nicht jeder von sich behaupten.

Rublev: Zwischen Fanliebling und durchgeknallt

Rublevs Verhalten ist gerade deshalb auch so fragwürdig, da man ihn außerhalb des Platzes schon fast als ganz andere Person zu sehen bekommt. In diversen Formaten auf den Social-Media-Kanälen der ATP-Tour ist der Russe praktisch Dauergast. In den Kommentaren sind sich die Fans einig: Mit seiner lustigen und unbekümmerten Art, gepaart mit seinem holprigen Englisch ist er ein absoluter Fanliebling. Auch sein sonstiges Engagement machen in beliebt. Er führt unter anderem seine eigene Modemarke „Rublo“ und hat im Zuge dessen eine Kollektion mit dem Namen „Play for the Kids“. Alle Erträge hieraus werden an wohltätige Zwecke mit dem Ziel bedürftige Kinder zu unterstützen gespendet. Mit demselben Ziel hat Rublev Anfang des Jahres auch eine eigene Stiftung gegründet. Diese Hingabe in allen Ehren fragt man sich dann doch, ob seine Eskapaden auf dem Court nicht seiner Beliebtheit schaden. Für seine Vorbildfunktion sind sie auf jeden Fall alles andere als förderlich.

Alexander Zverev als Positivbeispiel

Jemand, der in der Vergangenheit ebenfalls gerne mal für seine Ausbrüche auf dem Platz bekannt war, ist Olympiasieger Alexander Zverev. Regelmäßig konnte man auch dem Hamburger dabei zuschauen, wie er Schläger malträtierte oder wüste Beschimpfungen von sich gab. Den Höhe- aber wohl auch Wendepunkt seines Verhaltens gab es 2022. Beim Turnier in Acapulco/Mexico schlug er nach einem verlorenen Doppelmatch sein Racket gegen den Schiedsrichterstuhl und verfehlte den Referee dabei nur knapp. Daraufhin wurde er vom Einzelwettbewerb disqualifiziert und musste eine saftige Geldstrafe hinnehmen. „Das war wohl der größte Fehler meiner Tennis-Karriere“, sagte Zverev damals.

Ab dem Punkt hat sich sein mentales Verhalten deutlich verändert. Klar, für Diskussionen bei strittigen Entscheidungen des Schiedsrichters ist er weiterhin zu haben. Allerdings im geregelten Rahmen, ohne dabei auszuticken. Diese Entwicklung hat der French Open-Finalist ohne die Hilfe eines Sportpsychologen gemacht. Einerseits weil er selbst nicht daran glaube und weil er für derartige Praktiken anscheinend gar nicht zugänglich sei. So zumindest vor einigen Jahren die Einschätzung vom deutschen Mentaltrainer Markus Hornig: „Zverev hat zu diesen Mentalstrategien offensichtlich noch keinen zu haben. Er ist Sklave seiner Emotionen und muss lernen, diese besser zu kontrollieren“. Für Andrey Rublev, der übrigens gut mit dem Deutschen befreundet ist, könnte das ein Vorbild sein. Auch wenn er keine externe Hilfe in Anspruch nehmen will, kann die intensive Beschäftigung mit dem eigenen Verhalten und den Emotionen durchaus zielführend sein. Vielleicht kann sich Sorgenkind Rublev bei seinem Kumpel ja den ein oder anderen Trick abholen.