Federer-Doku „Zwölf letzte Tage” – Tränenreich
Die Doku „Zwölf letzte Tage” auf Amazon Prime schildert die letzten Momente von Roger Federers Karriere. Ein Film mit vielen Emotionen, der aber auch seine Längen hat.
„Roger Federer als religiöse Erfahrung“. So lautet der Titel eines Essays, der im Jahr 2006 vom Autor David Foster Wallace in der New York Times veröffentlicht und während der Karriere des Maestros immer wieder aufgegriffen wurde. Wallace schreibt voller Bewunderung, was für ein einnehmendes Gefühl es ist, Federer live spielen zu sehen: eben eine religiöse Erfahrung. Der Autor philosophiert über die besonderen Federer-Momente, die einen staunend zurücklassen. „Fast jeder, der Tennis liebt, hat in den letzten Jahren schon einmal etwas erlebt, das man Federer-Momente nennen könnte. Die Momente sind intensiver, wenn man genug Tennis gespielt hat, um die Unmöglichkeit dessen zu verstehen, was man ihn gerade hat machen sehen“, schreibt Wallace.
Federer: Emotionales Abschiedsstatement
Mit genau diesen Federer-Momenten und Zauberschlägen, unter anderem sein berühmter Tweener im US Open-Halbfinale 2009 gegen Novak Djokovic, startet die Dokumentation „Zwölf letzte Tage“, in welcher der Schweizer in der finalen Phase seiner Karriere von Kameras begleitet wird: von der Ankündigung seines Rücktritts bis zu seinem letzten Match beim Laver Cup in London im Doppel an der Seite seines ewigen Rivalen Rafael Nadal.
Es ist Mittwoch, 14. September 2022. Federer sitzt in Zürich in seiner Wohnung auf einem Stuhl an einem Schreibtisch, vor ihm ein Mikrofon. Im Hintergrund leuchten in der Vitrine die acht goldenen Wimbledonpokale neben den zahlreichen weiteren Trophäen, die er in seiner unfassbaren Karriere gesammelt hat. Federer muss kurz Luft holen, dann geht es los. Das viereinhalbminütige Audio-Statement, mit der Federer das Ende seiner Karriere ankündigt und auf seine unglaubliche Reise zu einem der erfolgreichsten Spieler der Geschichte zurückblickt, sorgte für einen Knalleffekt im Tennis-Universum. In „Zwölf letzte Tage“ sieht man in Bildern, wie Federer seinen Abschiedstext einspricht und die schwere Entscheidung trifft, einen Schlussstrich unter seine Karriere zu setzen.
Die Dokumentation, die zunächst nur fürs Familienalbum gedacht war, startet emotional. Der Zuschauer bekommt einige private Einblicke in das Leben des Superstars. Direkt nach dem Einsprechen seines Abschiedsstatements sieht man ihn im -liebevollen Umgang mit seiner Frau Mirka und seinen Kindern, den Zwillingen Charlene und Myla sowie Leo und Lenny. Sogar Familienhund Willow hat einen Gastauftritt. Man sieht Federer in Unterhose auf Krücken sowie mit Bart im Krankenbett. Man spürt Federers Angst vor dem Unbekannten, wie schwer es ihm fällt, das loszulassen, was ihn nahezu sein gesamtes Leben definiert hat: sein Wirken auf dem Tennisplatz. „Ich bin froh, dass es diesen Film über die letzten zwölf Tage gibt. Diese Tage sind für mich persönlich sehr speziell, und ich hatte immer große Angst vor dem Ende – wie es sein würde, wo und in welcher Form. Es ist hart, das auf Film zu sehen, aber auch schön. Besonders für meine Kinder, meine Freunde und mich ist es etwas Besonderes, diese Momente nochmals erleben zu können“, sagte Federer am Rande des Wimbledonturniers gegenüber Amazon Prime.
Blick hinter die Kulissen
So verheißungsvoll der Beginn der Dokumentation ist, so langatmig ist diese teilweise an einigen Stellen in der Mitte. Was fehlt, sind ein paar Überraschungsmomente. Fast in jeder Passage klingt an, wie schwer es ihm fällt, loszulassen. Die Stärke von „Zwölf letzte Tage“ liegt im Blick hinter die Kulissen der Tenniswelt: wie Novak Djokovic, Rafael Nadal, Andy Murray & Co. abseits des Platzes miteinander umgehen und über Situationen diskutieren und flachsen, wie Federer zu seinen -Teamkollegen in der Umkleide nach seinem Karriereende spricht und wie innig die Beziehung zwischen Federer und Nadal im Laufe der Jahre geworden ist.
Finaler Höhepunkt ist das tränenreiche Ende nach dem letzten geschlagenen Ball von Federer, bei dem wieder einmal klar wird, wie nah Federer am Wasser gebaut hat. Als heimlicher Star der Dokumentation entpuppt sich Mirka Federer, die starke Stütze des Maestros, die ihm jahrelang den Rücken freihielt. Erstmals nach mehr als einem Jahrzehnt gibt Mirka ein Interview. „Ich werde es vermissen, ihn Tennis spielen zu sehen, weil er mit so viel Anmut gespielt hat“, sagt sie mit tränenerfüllter Stimme und spricht das aus, was Sport- und Tennisfans denken. Federers Karriereende ist eine Zäsur in der Tennisgeschichte. Genau das wird in „Zwölf letzte Tage“ deutlich.