Rosols Sensationsieg: Ein Abend für die Ewigkeit
Pressezentrum in Wimbledon am Donnerstagabend, 19 Uhr Ortszeit: In 45 Minuten ist Anstoß, Deutschland gegen Italien. Die deutschen Tennisprofis sind mit ihren Matches rechtzeitig fertig geworden, die Stories das Tages stehen. Also, Feierabend machen und Fussi gucken? Oder doch lieber bei Nadal zusehen, der gerade den ersten Satz im Tiebreak gegen Lukas Rosol gewann? Schwierig. Aber eigentlich wird Nadal sowieso siegen. Diese ersten Runden bei den Grand Slams sind bei den Herren so vorhersagbar geworden in den letzten Jahren, vor allem bei den Top Four. Einige deutsche Bekannte wollen eine Sportsbar ansteuern, um ein bisschen EM-Stimmung abzubekommen. Mich aber hält irgendetwas zurück. Ich bleibe lieber hier.
19.45 – Anstoß in Warschau, gleich eine gute Gelegenheit für die Deutschen. Parallel dazu verliert Nadal den zweiten Satz mit 4:6 und liegt auch im dritten Durchgang mit Break zurück. Ich schaue auf zwei TV-Geräten parallel, links Fussi, rechts Tennis. Der Kollege links von mir aus Japan ist schon weg, da kann ich seinen Monitor gleich mitnutzen.
20:05 – 1:0 Balotelli, aus den Tiefen des Pressezentrums ertönt euphorischer Jubel. Irgendwo da hinten müssen die italienischen Kollegen sitzen. Nadal läuft dem Break im dritten Satz immer noch hinterher. Liegt da eine Sensation in der Luft? Nein, kann nicht sein. Dennoch: Mit dem Rosol sollte ich mich etwas eingehender beschäftigen. Nummer 100 der Welt, 26 Jahre alt, schlug bei den French Open Jürgen Melzer in fünf Sätzen, aber verlor bei den Australian Open 0:6, 0:6, 2:6 gegen Philipp Petzschner. Und, jetzt kommts, er scheiterte in den vergangenen fünf Jahren jeweils in der ersten Runde der Wimbledon-QUALIFIKATION. Ne, unmöglich, dass der gewinnt. So gut der auch gerade spielt, und so mies die Form von Nadal ist.20:16 – 2:0 Balotelli, die Italiener fangen an zu singen. Langsam wird es unangenehm. Ich starre aber nur auf den Tennis-Bildschirm, Fußball ist mir jetzt ziemlich schnuppe : Rosol hat nämlich das Break mitgenommen, gewinnt auch den dritten Satz. Wann hat Nadal eigentlich zuletzt in der zweiten Runde bei einem Grand Slam-Turnier verloren? 2005 in Wimbledon. Bei Twitter rauschen die Nachrichten um Sekundentakt durch, das meiste ist nur Ballast, uninteressant. Dann aber meldet ein US-Tennisexperte: Nadal lag schon öfter mit 1:2 Sätzen gegen Nobodys zurück und drehte das Match noch. Aha, soll einen das etwa beruhigen? Und dann noch dieser Tweet: Nadal hat bei einem Grand Slam-Turnier noch nie gegen einen Spieler mit einem dreistelligen Weltranglistenplatz verloren. Irgendwann ist immer das erste Mal, denke ich.
20:40 – Halbzeit in Warschau, 2:0 Italien. Die italienischen Kollegen laufen grölend hinter mir vorbei. Wenig später kommen sie mit vollen Biergläsern aus dem Presserestaurant zurück. Partystimmung bei den Azzurri. Auch Nadal freut sich, ballt Fäuste, springt und sprintet über den Centre Court. Na also, jetzt hat er seine Form gefunden und Rosol lässt etwas nach, 6:2 im vierten Satz für Nadal. Beim Hemdwechsel in der Satzpause kommt ein Offizieller auf den Platz, redet auf Nadal ein. Der guckt ihn erstaunt an, dann kommt die Ansage vom Stuhlschiedsrichter. Das Dach wird geschlossen, um die Partie zu Ende zu führen. Es wird 30 bis 35 Minuten dauern, bis es weitergeht.
20:48 – Die zweite Hälfte in Warschau beginnt und in Wimbledon erklärt die BBC mit ihren Experten Tim Henman und Lindsay Davenport, warum Nadal das Match eigentlich nicht mehr verlieren kann. Durch die Zwangspause bekommt Rosol Zeit, über das Match nachzudenken. Das wird ihm nicht helfen, im Gegenteil. Er ist so unerfahren mit solchen Situationen. 6:3 für Nadal im Fünften, prognostiziert Henman.
21:25 – Großchancen für die Italiener, weil die Deutschen nun Raum für Konter bieten. Die italienischen Kollegen jubeln schon, aber es fallen keine Tore. Vorentscheidung verpasst!
21:31 – Das Match geht weiter. Mich hält es jetzt nicht mehr auf meinem Arbeitsplatz im Pressezentrum, ich hetze zur Pressetribüne des Centre Courts, die letzten paar Minuten in Warschau können mir gestohlen bleiben. Sorry, Deutschland, aber ich glaube nicht mehr an euch: Schlaaannnd unter!
21:33 – Fünfter Satz, und gleich ein Break für Rosol. Danach hält er locker sein Aufschlagspiel, 2:0 für den Außenseiter. Die Stimmung auf dem Centre Court unter dem geschlossenen Dach ist fantastisch. Das Gegröle der Fans ist ohrenbetäubend laut. Wenn Rosol oder Nadal auf den Ball einprügeln, klingt das wie ein krachender Peitschenknall. Die Frage ist jetzt: Wann wackelt Rosol?
21:48 3:2 Rosol, immer noch mit einem Break vorne. Neben mir sitzt ein französischer Reporter von der LEquipe. Er erzählt mir, dass Rosol letztens bei irgendeinem Challenger-Turnier 5:0 im dritten Satz gegen einen Franzosen geführt hat und noch 5:7 verlor. Also, warten auf den Einbruch.21:54 – 4:3 Rosol, keine Anzeichen von Schwäche. Im Gegenteil: Rosol spielt wie aufgeputscht. Er kann gar nicht schnell genug den nächsten Ballwechsel beginnen. Bei seinen Aufschlagspielen feuert er Geschosse ab, die selbst Nadal nicht mehr ausgraben kann. Rosol spielt flach, mit null Spin und einem unglaublichen Tempo. So ähnlich wie Söderling, gegen den Nadal, der King of Clay, seine einzige Niederlage bei den French Open einstecken musste.
21:59 – 5:4 Rosol, Aufschlag zum Matchgewinn. Jetzt muss er doch ins Nachdenken kommen! Jetzt muss der Arm schwer werden! Nichts davon. Zwei Asse, eine Vorhand-Raketen alles wie gehabt. 40:0, drei Matchbälle. Rosol macht es, legt noch ein Ass nach. Als wäre es das Alltäglichste überhaupt für ihn. Einfach mal den Spieler rausnehmen, der hier die letzten fünf Jahr im Finale stand. Irre! Game, Set and Match Rosol, 6:7, 6:4, 6:4, 2:6, 6:4!
22:05 – Zurück im Pressezentrum. Was war das denn gerade? Ist das wirklich passiert? Und ist das größte Überraschung im Herrentennis überhaupt? Kollegen fachsimpeln. Erinnerungen an Pete Sampras werden wach, wie er hier gegen George Bastl verlor. Oder an Boris Becker und dessen Sensationsniederlage 1987 gegen Peter Dohann. Rosols Sieg wird sich in diese Liste einreihen, sie vielleicht auch anführen, wer weiß. Das Turnier geht aber erstmal weiter für ihn. Er muss jetzt gegen Philipp Kohlschreiber spielen. Das wird ihn wieder auf normale Form zurückschrumpfen lassen.
22:10 – Deutschland hat noch ein Tor geschossen, erfahre ich jetzt erst. Elfmeter von Özil in der Nachspielzeit. Interessiert das noch jemanden?
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