Sabines Wohnzimmer
Von Andrej Antic aus Wimbledon
Da standen sie alle auf dem Dach des BBC-Gebäudes mit herrlichem Blick auf Dutzende von Rasencourts. Die Größen von einst Boris Becker im edlen Zwirn, Patrik Kühnen, Barbara Rittner. Und es gab natürlich nur ein Thema: Sabine Lisicki, Bum Bum Bine, Doris Becker, oder wie man sie auch immer nennen wollte. Was für eine Story! Ach was, ein Erdbeben in Wimbledon. Gewonnen gegen Serena Williams, die Nummer eins der Welt, die aktuelle Wimbledonsiegerin und nach Meinung vieler Experten die beste Spielerin der Welt. Die nüchternen Zahlen: 6:2, 1:6, 6:4. Aber sie spiegeln nicht wider, was in den etwas über zwei Stunden Spielzeit auf dem Centre Court passierte.
Den ersten Satz gewinnt Lisicki souverän, mit mächtigen Grund- und Aufschlägen. Es sieht so aus, als ob Miss Williams nicht in Bestform sei. Auch das erste Aufschlagspiel des zweiten Satzes läuft für Williams nicht ohne Probleme, aber sie gleicht aus zum 1:1. Dann das eigentlich Unerklärliche: Lisicki verliert neun Spiele in Folge. Bei 0:3 im dritten Satz hätte niemand auch nur einen Penny auf die Deutsche gewettet. Doch bei 1:3 schafft sie das Break zum 2:3. Geht noch was? Wohl nicht. Sie verliert wieder ihren Aufschlag 2:4. Wieder Hoffnung. Serena gibt ihr Service zum 3:4 ab. Achterbahntennis. Bei 3:4 und 0:40 muss Lisicki drei Breakbälle abwehren. Sie schafft es, breakt Serena erneut. Die Zuschauer belohnen es mit Standing Ovation. Sie sind jetzt voll auf ihrer Seite. Das Publikum hat mir geholfen, wird Lisicki gut zwei Stunden später im gut gefüllten Interviewraum sagen.
Petkovic: „Jetzt hol‘ dir den Titel!“
Zurück auf den Centre Court. Zu den 15.000 Zuschauern, die hin- und hergerissen sind von diesem Feuerwerk von krachenden Aufschlägen, abgewehrten Breakbällen, fantastischen Grundlinienschlägen. Nach 2:02 Stunden verwandelt Lisicki ihren zweiten Matchball, schmeißt sich auf den Boden. Kurz danach gibt sie ein Fernsehinterview unter Tränen. Großes Kino, große Emotionen. Nenn mir einen Spieler, der solche Emotionen hervorrufen kann, der die Zuschauer so in den Bann zieht, sagt Patrik Kühnen oben auf der Dachterrasse. Auch Barbara Rittner, die Teamchefin, die sie kurz nach dem Match in die Arme schließt, hätte fast mitgeheult. Aus der Heimat twittert Petkovic: Jetzt hol dir auch den Titel!
Und Serena? Der geschlagene Champion zeigt Größe in der Niederlage. Am Netz sagt sie zu Lisicki: Ich hoffe, dass du jetzt das Turnier gewinnst. Ist das möglich? 1996 gewann zuletzt eine Deutsche Wimbledon Steffi Graf. Darf man vom Titel träumen? Zumindest ist Lisicki jetzt nach dem frühen Scheitern von Sharapova, Azarenka & Co. die gefühlte Favoritin. Die Buchmacher sehen sie ganz vorne. Und sie hat mittlerweile tonnenweise Erfahrung in Wimbledon gesammelt. Steht jetzt zum vierten Mal im Viertelfinale des bedeutendsten Turniers der Welt, 2011 sogar im Halbfinale. Auch wenn der Begriff Wohnzimmer für den Centre Court reserviert ist für Lisicki fühlt es sich an wie ein Wohnzimmer. Sie genießt den Platz, die Zuschauer. Es bereitet ihr keinen Druck. Sie geht raus und will auch wenn das banal klingt gewinnen, egal, wer auf der anderen Seite des Netzes steht.
Jetzt geht das Turnier erst richtig los. Jetzt muss sie es beweisen, sagt Boris Becker. Ich bin bereit, den Weg weiterzugehen, sagt Lisicki vor dem Match gegen Kaja Kanepi. Dass die Estin, die Angelique Kerber aus dem Turnier kegelte, gefährlich ist, weiß auch Lisicki. Im möglichen Halbfinale könnte sie Radwanska, Vinci oder Li begegnen. Gegen letztere gewann sie vor zwei Jahren mit 8:6 im dritten Satz. Es war ein ähnliches Drama wie gegen Williams. Das nächste Match gewann Lisicki. Die unglaubliche Reise der Sabine L. in Wimbledon geht weiter.
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