US Open Stories: Die Rückkehr des Wunderkindes
Vom Rand des kleinen Außenplatzes mit der Nummer sechs auf dem riesigen Areal der US Open wehten plötzlich kroatische Schlachtgesänge herüber. Mirjana Lucic hatte dort den ersten Satz gegen Alicia Molik im Tiebreak gewonnen und eine Gruppe Kroaten feierte schon so kräftig, als hätte Lucic den US Open-Titel geholt. Kurze Zeit später tanzten sie sogar auf der Tribüne, weil ihre Landsfrau in die zweite Runde der US Open eingezogen war. Sie trifft dort auf Jelena Jankoivc.
Lucic? Da war doch mal was richtig. Kurze Rückblende, alteingesessene Fans werden sich erinnern: 1999, Wimbledon, Halbfinale. Lucic, damals 17 Jahre alt und die Nummer 134 der Weltrangliste, trifft auf Steffi Graf. Das junge Mädchen leistet erbitterten Widerstand, verliert aber am Ende in drei Sätzen. Spätestens nach diesem Match waren sich die Experten sicher: Ihr gehöre die Zukunft. Ein Wunderkind, ein potentieller Weltstar. Eine wie Martina Hingis oder Jennifer Capriati, die schon als Teenager etliche Titel abräumten.
Absturz bis auf Rang 454
Es kam aber alles anders. Lucic konnte die überfrachteten Erwartungen nicht erfüllen. 2000 verlor sie bei Turnieren zehnmal in der ersten Runde. Danach verschwand sie in der Versenkung, rutschte in der Weltrangliste bis auf Platz 454 ab, spielte nur noch sporadisch. Ihren offiziellen Rücktritt verkündete sie nie. Aber Mirjana Lucic geriet in der Tennisszene in Vergessenheit.
Jetzt ist sie wieder aufgetaucht: Das einstige Wunderkind ist zurück im Geschäft. Noch nicht im ganz Großen, aber immerhin. In den letzten zwei Jahren hat sie sich über kleinere Turniere wieder nach oben gekämpft. Sie steht jetzt auf Platz 153 im Ranking, schaffte die Qualifikation in New York, wobei sie in der ersten Runde zwei Matchbälle abwehren musste, und feiert nun den größten Erfolg seit zehn Jahren.
Es fühlt sich an, als ob ich einen extrem hohen Berg erklommen hätte, verglich Lucic in New York ihre Rückkehr auf die große Tennisbühne. Mein Traum, es wieder nach oben zu schaffen, ist für mich nie gestorben. Ich bin so glücklich, dass ich für meine harte Arbeit in den letzten Jahren endlich belohnt werde.
Terror durch den Vater
Warum sie aber jahrelang kaum Tennis spielte, will sie nicht genauer erläutern. Es sind familiäre Umstände gewesen. Mehr will ich dazu nicht sagen, erklärte sie kryptisch. Man kann sich denken, wer damit gemeint ist: Vater Marinko Lucic, der seine Tochter von Beginn an zu einem Tennis-Superstar trimmen wollte. Anfangs lief zumindest aus seiner Sicht alles planmäßig. Tochter Mirjana gewann mit 15 Jahren gleich das erste Profiturnier, bei dem sie antrat (Bol 1997). Beim zweiten, in Straßburg, verlor sie erst im Finale gegen Steffi Graf, die damals sagte: Mit 15 Jahren war ich längst nicht so gut wie Mirjana.
Schon ein Jahr später ergriff die Tochter zusammen mit Mutter Anjelka und den vier Geschwistern die Flucht. Sie flogen ohne den Vater in die USA. Einer kroatischen Tageszeitung vertraute sie sich anschließend an und erzählte, dass ihr Vater sie terrorisieren würde. Es gab bei uns zu Hause so viele Schläge für schlechte Leistungen das kann sich niemand vorstellen, offenbarte sie damals. Der Vater konterte mit einem öffentlichen Brief, nannte seine Tochter eine Lügnerin und unterstellte ihr, dass man sie manipulieren würde.
Es ist nachvollziehbar, dass Lucic in der Feierstunde von New York über diese Themen nicht mehr viele Worte verlieren will. Ich hasse es, diese Fragen zu meiner Vergangenheit beantworten zu müssen, blaffte sie in New York einen US-Journalisten an. Sie wolle jetzt einfach nur genießen. Wissen Sie: Dieser Sieg heute fühlt sich für mich so an, als hätte ich schon das ganze Turnier gewonnen.
Tim Böseler
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