Vorhang auf für den Neuen Deutschen Tennis Bund
Es ist ein Szenario, das in einer nicht allzu fernen Zukunft eintreten kann: Stellen Sie sich vor, der Deutsche Tennis Bund (DTB) muss der Organisation der Herrentour, ATP, tatsächlich die große Geldsumme überweisen, die der Prozess um das Hamburger Turnier noch nach sich zu ziehen droht. Über 15 Millionen Euro! Weil die ATP immens hohe Anwaltskosten geltend macht, die sie dem Prozessgegner, also dem DTB, in Rechnung stellen darf vorausgesetzt, die ATP ist auch in zweiter Instanz erfolgreich. 15 Millionen Euro sind selbst in Zeiten der Konjunkturpakete, Bankenrettungsversuche und Abwrackprämien noch so viel Geld, dass der DTB finanziell am Ende wäre. Wie lange die Gerichtsverfahren in den USA noch dauern, wie sie enden, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist offen. Doch die Tendenz geht dahin, dass das erstinstanzliche Urteil nicht aufgehoben wird.
Eine Insolvenz als Neustart
Was wäre also, wenn es tatsächlich so weit käme und der DTB, noch immer der mitgliederstärkste nationale Tennisverband der Welt, pleite ginge? Wer sich in der deutschen Tennisszene umhört, wird oft mit der Aussage konfrontiert: Der DTB ist doch sowieso überflüssig! Für dieses schlechte Image ist der Deutsche Tennis Bund größtenteils selbst verantwortlich. Zum einen sind da die Altlasten, die Kritiker dem Dachverband immer wieder gerne vorhalten: Das viele Geld, das in der Becker-Graf-Ära so geschmeidig in die DTB-Kassen glitt, ist weg. In den guten Zeiten setzte der DTB viele Millionen Dollar um, kassierte 1994 125 Millionen Dollar Fernsehgeld für fünf Jahre. Aber das Geld wurde eben nicht oder nur zu wenig in die eigene langfristige Sicherung, in Förderprogramme oder Jugendarbeit gesteckt. Die Gewinner waren damals die Landesverbände, die heute so stark sind und damals mehr als die Hälfte der TV-Gelder vom DTB überwiesen bekamen.
Solange das Geld floss, merkte oder interessierte dies keinen. Die falschen Finanzkonzepte flogen erst auf, als der Tennisboom abflaute. Tennis ist längst kein Selbstläufer mehr, Vereine und Turniere müssen um Mitglieder und Gäste kämpfen. Vor 15 Jahren war das anders. Damals waren Clubhäuser und Tribünen voll fast wie von selbst. Für das Ende dieser Boomzeit kann nicht allein der DTB verantwortlich gemacht werden. Nur: Die Turniere, die er in Eigenregie veranstaltet, sind vom allgemeinen Niedergang des deutschen Tennis wesentlich stärker betroffen als die Events, die von Privatpersonen wie Gerhard Weber in Halle oder Konzernen wie Porsche und Mercedes beide in Stuttgart organisiert werden.
Erst wurde das Hamburger Damenturnier in die USA verkauft, dann pries der DTB seine Freunde aus Katar als Heilsbringer an, die das Damenturnier in Berlin komplett übernahmen und sich gleichzeitig beim Rothenbaum-Turnier der Herren in Hamburg einkauften. Der Deal brachte 6,5 Millionen Dollar ein und half dem DTB vor fünf Jahren, sich zu sanieren, indem weitere 5,7 Millionen Dollar Schulden umgeschichtet wurden. Der Verkauf des Berliner Tafelsilbers hatte Spätfolgen und wurde 2009 deutlich: Die Kataris zogen ihr Turnier ab. Von einem Tag auf den anderen war plötzlich Schluss mit internationalem Damentennis in der Hauptstadt.
Bleibt dem DTB nur noch Hamburg. Und auch dieser Standort droht auszubluten. 2001 lagen die Einnahmen noch bei 17 Millionen Mark, den Wert des Turniers bezifferte der damalige Generalsekretär des DTB, Günter Sanders, mit 50 bis 60 Millionen Dollar. Seit 2003 schreibt der Rothenbaum Minuszahlen, um die halbe Million Euro jährlich. Im vergangenen Jahr wurde das Turnier von der ATP degradiert, jetzt soll es, eine Nummer kleiner, ab diesem Jahr im Juli stattfinden. Unter den verschlechterten Bedingungen und der Prozessunsicherheit gelang es erst recht nicht, einen Titelsponsor oder zahlungsbereite Unterstützer zu finden, so dass sich der DTB Ende vergangenen Jahres in einer Nacht-und-Nebel-Aktion entschloss, das Turnier outzusourcen. Nun bemüht sich Ex-Wimbledonsieger und Neu-Turnierdirektor Michael Stich mit eigenem finanziellen Risiko, den Rothenbaum am Leben zu halten.
Ist der DTB nun gleich überflüssig, nur weil er als Veranstalter von Turnieren ziemlich erfolglos ist? Wohl kaum. Die Verantwortlichen sollten nur eine wichtige Erkenntnis aus der Misswirtschaft der vergangenen Jahren ziehen: Der DTB muss sich neu erfinden, neu organisieren, wenn es ihn langfristig geben soll. Wenn es tatsächlich zu einer Insolvenz kommt, wäre das der geeignete Zeitpunkt eines Neuanfangs. Denn Insolvenz ist nicht gleichbedeutend mit einer Pleite, sondern bedeutet, einen finanziellen Kollaps ordentlich abzuwickeln und die guten Teile eines maroden Systems zu retten.
Klare Trennung der Kompetenzen
Wie aber könnte so ein Rettungskonzept inhaltlich aussehen? Am Anfang stände eine Neugründung, die Gründung des Neuen Deutschen Tennis Bundes, Kurzform: NDTB. Zunächst würde er auf dem aufbauen, was das deutsche Tennis an Positivem zu bieten hat. Und das ist eine ganze Menge. Zum Beispiel die Trainingszentren in Oberhaching und Hannover (s. Seite 78), die unter der Obhut der Landesverbände in Bayern und Niedersachsen eine professionelle Management- und Trainingsstruktur entwickelt haben und zu den Topadressen für leistungswillige Nachwuchsspieler in Deutschland avancierten. Sie haben eine Vorbildfunktion und sollten im NDTBeine noch größere Rolle spielen. Ziel:Die vorhandenen Stützpunkte ins Zentrum der NDTB-Nachwuchsarbeit zu stellen und schon früh mit Talenten aus ganz Deutschland zu besetzen.
Es wäre eine ähnliche Philosophie, wie sie der französische Verband verfolgt. Er schickt, zentral organisiert, vielversprechende Nachwuchsspieler in bestimmte Trainingszentren für einzelne Altersklassen. Der Effekt: Die Besten der Grande Nation trainieren früh zusammen und pushen sich gegenseitig nach oben. Natürlich könnte auch der NDTB das französische Modell nicht eins zu eins übernehmen, aber er könnte die Leistungszentren der Landesverbände im föderalen deutschen System für eine zentral geführte Förderung nutzen. Das bedeutet: Der NDTB hätte die Hoheit und Kompetenz über die Nachwuchsförderung, würde die eigentliche Arbeit in diesem Punkt aber in den Landesverbänden belassen. Er wäre das Gremium, das die komplette Förderung deutschlandweit steuert, die Sichtungs- und Förderkriterien festlegt, Trainingsvorgaben bestimmt, diese kontrolliert und ein abgestimmtes Ausbildungskonzept bundesweit entwickelt und umsetzt. Im Moment ist Nachwuchsarbeit Ländersache mit einem überregionalen Austausch in Form von Lehrgängen, der nur sporadisch stattfindet. Der NDTB würde dieses Modell optimieren und die Kräfte bündeln.
Im NDTB gäbe es die Landesverbände weiterhin, allerdings würden einige von ihnen zusammengelegt werden. Auch als Freie und Hansestadt braucht der Stadtstaat Hamburg keinen eigenen Verband und könnte mit Schleswig-Holstein fusionieren. Die Bremer Region, der Verband Nordwest, würde sich Niedersachen anschließen. Zwei große Landesverbände im Osten würden reichen anstelle den derzeitigen fünf.
Parallel zu ihrer Verringerung bekämen die Landesverbände neue Kompetenzen. Sie würden sich verstärkt um die Vereine und deren Mitglieder kümmern und die breitensportlichen Bereiche im Tennis organisieren: Schultennis, Seniorentennis, Medenspiele, Turniere auf Verbandsebene. Für all diese Bereiche gibt es auch entsprechende Referenten beim DTB warum eigentlich? Sie haben nur eine beratende Funktion, Beschlüsse fassen andere. Im NDTB, als Arbeitsgemeinschaft der Landesverbände, würde sich das ändern: Die Landesverbände hätten in ihren Themenbereichen das Sagen, indem sie in ihrem Bundesausschuss regional übergreifende Änderungen konzipieren und beschließen.
Gleichzeitig kann aber auch der NDTB agieren ohne den Segen der Landesverbände in seinen Bereichen. Das wären: Davis und Fed Cup, Öffentlichkeitsarbeit und Marketing, Nachwuchsarbeit sowie das Profitennis. Das Ehrenamt würde dort verschwinden, die NDTB-Mitarbeiter wären bezahlte Fachkräfte: vom NDTB-Chef bis zum Leiter der Nachwuchsförderung. Insgesamt würde sich der ganze Verwaltungsapparat verschlanken und professionalisieren.
Neu: Marketing und Beratung
Der NDTB hätte dort freie Hand, müsste aber auch eine zusätzliche, klassische Verbandsaufgabe übernehmen: die Beratung von Nachwuchsspielern, die von der großen Karriere träumen. Wie oft hört man davon, dass sich tennisbegeisterte Kinder und ihre ahnungslosen Eltern in dem Wirrwarr aus Förderung und Profisport regelrecht verlaufen. Der NDTB würde ihnen Wege und Modelle aufzeigen, sie offen kommunizieren, indem er auch über seine Öffentlichkeitsarbeit diesen Service in den Vordergrund rückt: Du willst dahin, wo gerade Rafael Nadal steht? Wir zeigen dir, wie es geht. Um dabei überhaupt glaubwürdig zu sein, müsste der NDTB möglichst viele aktive und ehemalige Profispieler in die Nachwuchsarbeit einbinden.
Neu auch für den Dachverband: Der Aufbau eines echten Marketings, das sich darum kümmert, Tennis in seiner Außenwirkung besser darzustellen und in der öffentlichen Wahrnehmung wieder mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Die Organisation großer Profiturniere würde er hingegen anderen überlassen echten Profis. Im Falle von Hamburg ist man den ersten Schritt aus der Not bereits gegangen. Der NDTBwürde noch einen Schritt weiter gehen und das Turnier komplett verkaufen. Und zwar so, dass es in Deutschland, im Idealfall in Hamburg, bleibt. So entsteht Raum, sich auf die Kernaufgabe als Dachverband zu konzentrieren. Und die lautet: Das deutsche Tennis zu reformieren, ohne sich im Gerangel um Kompetenzen mit den Landesverbänden zu verzetteln.
Hauptamtlicher NDTB-Manager
Im neuen deutschenTennis gäbe es klare Zuständigkeiten: Die Landesverbände kümmern sich um die Basis, der NDTBum den Profisport ganz einfach. Dabei bleibt es den Landesverbänden vorbehalten, einen Präsidenten aus ihren Reihen zu wählen. Dieser ernennt einen hauptamtlichen NDTB-Manager, der den neu geschaffenen Verband führt. Zur Zeit sind die Landesverbände die Mitglieder des Dachverbandes, im NDTBgehört er ihnen, so dass sie ihn weiterhin kontrollieren können. Am Ende einer solchen Reform stünden: klare Kompetenzen, Kostenersparnis, effektivere Struktur und frische Motivation, die für neue Impulse im deutschen Tennis sorgen können.
Die Realität indes sieht anders aus. Insgeheim beschäftigen sich Topfunktionäre aus den Landesverbänden bereits mit der Zeit nach dem Tag X. Doch in diesen Szenarien geht es mehr um personelle als um strukturelle Erneuerung. Die starken süddeutschen Verbände würden den DTB quasi im Huckepack mitnehmen und personell erneuern. So ein Vorgehen hat den Vorteil, dass vieles unangetastet bliebe und sich praktisch aus dem Stand heraus umsetzen ließe. Die Nachteile liegen auf der Hand: Die Zersplitterung, die Uneinigkeit und das Konkurrenzgehabe unter den Landesverbänden würden noch zunehmen und die Gefahr vergrößern, dass Tennis-Deutschland in noch tiefere Provinzialität abrutscht.
Tim Böseler, Thomas Kosinski
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