Wetten, dass…? Der Skandal um manipulierte Matches
Es gibt ein neues Spiel auf der Tour. Ein perfides Spiel, in dem der Ruf vieler Profis und ihrer Sportart auf dem Spiel stehen, in dem Verleumdungen an der Tagesordnung und alle Beteiligten in einem Netz aus Misstrauen, Zweifel und Skepsis gefangen sind. Das Spiel heißt: Wettbetrug im Tennis wer sind die Guten, wer die Bösen? Seine fragwürdige Faszination bezieht es daraus, dass einerseits nichts klar, andererseits alles möglich ist. Auf einmal ist die feine Erdbeeren-mit-Sahne-auf-dem-Rasen-Welt des Tennis in alle Winde zerstoben, schrieb der englische Guardian während des Masters Cups Mitte November in Shanghai. Denn das Ausmaß der Wettaffäre ist desas-trös: 140 Tennismatches weisen verdächtige Wettbewegungen auf. Zeitraum: Juli 2002 bis September 2007. 154 Spieler und elf Spielerinnen stehen auf einer ominösen Liste, die Wett-anbieter der ATP zur Verfügung gestellt haben.
Die ominöse Liste
Inzwischen ist das im Branchenslang als Watchlist bezeichnete Dokument in Teilen sogar im Internet veröffentlicht, und Zeitungen und Zeitschriften drucken Ranglisten ab, wer wie oft an verdächtigen Matches beteiligt war. Das ist der eigentliche Skandal, sagt Dirk Hordorff, Manager von Alexander Waske und Rainer Schüttler, es werden Namen von Spielern durch den Dreck gezogen, die völlig unschuldig sind, solange keine Beweise erbracht werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Top-Profi Matches schiebt, hält er für äußerst gering. Aber Hordorff sagt auch: Kein Mensch kann seine Hand dafür ins Feuer legen, dass nicht manipuliert wird.
Fakt ist, dass das Spiel mit den Wetten boomt wie noch nie. Man kann praktisch auf alles setzen: komplette Matches, einzelne Sätze, verlorene Aufschlagspiele, abgewehrte Breakbälle bei Challenger-, ATP- und Grand Slam-Turnieren. An jeder Straßenecke gibt es Wettbüros, und im Internet finden sich Hunderte von Anbietern. Allein in Deutschland werden mit Sportwetten mehr als zwei Milliarden Euro umgesetzt. In vielen europäischen Ländern ist Tennis hinter Fußball der zweitgrößte Wettmarkt. Beim Wimbledonfinale 2007 zwischen Roger Federer und Rafael Nadal belief sich der Topf auf mehrere Millionen Euro. Für eine erste oder zweite Runde bei kleineren ATP-Turnieren seien Summen zwischen 50000 und 100000 Euro normal, sagen Buchmacher.
Es ist eine Menge Geld im Spiel. Man kann sich verstellen, dass der ein oder andere Tennisprofi schwach werden und seine Einkünfte mit Wettgewinnen aufbessern könnte. Warum nicht ein Match abschenken, wenn man sich nicht fit fühlt? Wenn die Niederlage in der Weltrangliste kaum Punkte kos-tet? Oder wenn der nächste Gegner Federer oder Nadal heißt und man ohnehin chancenlos ist? Es ist so einfach: Man serviert einen Doppelfehler und schon sind das Spiel und der Satz futsch. Wer soll da etwas beweisen? Andererseits: Wer will oder kann Absicht unterstellen?
Als Nicolay Davydenko beim Masters-Turnier in Paris-Bercy im Match gegen Marcos Baghdatis viele Doppelfehler unterliefen, gab Stuhlschiedsrichter Cedric Mourier ihm den Tipp: Schlag auf wie ich! Gib einfach dein Bestes, Nicolay! Eine unglaubliche Szene, die dadurch an Brisanz gewann, dass Da-vydenko in der Woche zuvor in St. Petersburg bei der Niederlage gegen den Kroaten Marim Cilic wegen Passivität mit einer Geldbuße von 2000 Dollar bestraft wurde. Zwar wurde diese später zurückgenommen die ATP hatte sich den Mitschnitt des Matches angesehen und konnte keine Absicht beim Russen feststellen , aber es war ohnehin nur die Spitze im Fall Davydenko, dem spektakulärsten, den es in Sachen Tenniswetten je gab.
Anfang August in Sopot verlor die Nummer vier der Welt ihr Zweitrundenmatch gegen die Nummer 87, den Argentinier Martin Vasallo Arguello. Beim Stand von 1:2 im dritten Satz gab Davydenko auf. Begründung: ein Ermüdungsbruch im Fuß, der auch von verschiedenen Ärzten attestiert wurde.Die Partie ist Auslöser und bisheriger Höhepunkt eines Skandals. Insgesamt sollen dabei 7304210 Dollar gesetzt worden sein, ein Großteil auf den Außenseiter Arguello. Das entspricht dem Hundertfachen einer üblichen Wette. Selbst als Davydenko den ersten Satz gewann, wurden weiter hohe Beträge auf seinen Gegner platziert. Interessant ist, dass vielen Buchmachern schon vor Beginn des Matches klar war, dass manipuliert wurde. Sie nahmen die Wette aus ihrem Angebot, noch bevor das Spiel startete.
Das Davydenko-Match
Anders bei der Wettbörse betfair, dem weltweit größten Anbieter. Dort bestimmen die Wettkunden die Quoten selbst (siehe Kasten). Bei der Höhe der Beträge gibt es kein Limit. Innerhalb von 30 Sekunden kann man dort Millionen Euro durchziehen, sagt ein Buchmacher. Für ihn gibt es im konkreten Fall nur eine Erklärung: Der Ausgang des Matches war vorher klar, sonst wäre eine solche Summe nicht im Spiel gewesen. Gegen den Favoriten Davydenko hatten auch neun russische Zocker eine Million Euro gesetzt. Allerdings: Aus all dem zu schließen, Davydenko habe das Match geschoben, ist keineswegs zwingend. Spekulationen gibt es viele, und wer eine direkte Verbindung zwischen dem Match Davydenkos und der Wette auf ihn konstruiert, begibt sich juristisch auf dünnes Eis.
Gesichert dagegen sind gezielte Einflussnahmen auf die Spieler. So berichtete der österreichische Profi Werner Eschauer dem Wiener Standard, dass ihn vor seinem Zweitrundenmatch im Wimbledon gegen Rafael Nadal ein Anruf auf dem Handy erreichte, bei dem ihm ein Unbekannter Extrageld für eine Niederlage anbot. Eschauer lehnte ab. Er blieb nicht der einzige, der von der Wettmafia, die Partien und das große Geld verschiebt, angesprochen wurde. Der Tarif für ein verschobenes Spiel soll bei 50000 Dollar liegen eine Summe, die für einen Weltklassespieler wie Davydenko lächerlich erscheint.
Der Kampf der ATP
Die ATP hat bereits Gegenmaßnahmen ergriffen. Wir werden alles tun, um mit dieser Bedrohung fertig zu werden, gibt sich ATP-Chef Etienne de Villiers kämpferisch. Die Maßnahmen reichen von Rundschreiben an die Spieler (Tenor: Haltet euch von Wetten fern, meldet Auffälligkeiten an uns) bis zur Verpflichtung von Scotland Yard-Beamten. Die recherchierten auch verstärkt im Fall Davydenko, befragten ihn, seinen Trainer und Bruder Eduard sowie die Ehefrau Irina. Außerdem wurde der unter Verdacht geratene Russe aufgefordert, seine Telefonrechnungen offenzulegen.
Bird, spricht von einer Hexenjagd auf seinen Mandanten und Wildwest-Methoden der ATP-Anwälte. Sie wollten ihn dazu drängen, sich ohne juristischen Beistand verhören zu lassen. Die Offenlegung seiner Telefonrechnungen verletzen seine Persönlichkeitsrechte und die der ihm nahestehenden Personen, sagte Immenga gegenüber dem Londoner Telegraph. Außerdem leide sein Mandant an klassischen Symptomen einer Depression und habe durch die Verleumdungen Millionen Dollar Einbußen hinnehmen müssen.
Inzwischen geht die ATP in Ermangelung von Beweisen wesentlich freundlicher mit Davydenko um, und auch Immenga schlägt moderatere Töne an. Auf Anfrage von tennis magazin teilte er mit: Wir kooperieren seit Beginn vollumfänglich, da wir selbst an einer baldigen Aufklärung interessiert sind und hoffen, daß sich die ATP alsbald bei unserem Mandanten entschuldigt. Davydenkos Manager Ronnie Leitgeb, früher in Diensten von Thomas Muster, sagt: Die ATP sollte, falls sie handfeste Beweise hat, diese auf den Tisch legen. Falls nicht, sollte der Fall so schnell wie möglich beendet werden, damit sich Nicolay 2008 auf seine Turniere konzentrieren kann.
Hat die ATP einen Fehler gemacht, indem sie den Fall Davydenko publik machte, anstatt ihn zunächst intern zu klären, wie Insider kritisieren? Droht womöglich eine Welle von Schadensersatzansprüchen, weil Namen aus der watchlist nach außen gedrungen sind? Fakt ist, dass der Druck auf die Spielergewerkschaft wächst, die Öffentlichkeit Fahndungserfolge erwartet, um nach Worten des ATP-Bosses de Villiers die Integrität des Sports wiederherzustellen.
Also brauchte man einen Sünder und fand ihn in Alessio di Mauro. Dem Italiener, Nummer 124 der Weltrangliste, konnte nachgewiesen werden, dass er zwischen dem 2. November 2006 und dem 12. Juni dieses Jahres 120 Wetten auf 338 Matches platziert hatte. Allerdings wettete der 30-Jährige nie auf eigene Partien, nie bei Turnieren, an denen er teilnahm und nie mehr als 20 Euro. Er verschleierte nichts, sondern zockte unter eigenem Namen und seiner Kreditkartennummer im Internet. Vom generellen Wettverbot für Profis, das in den ATP-Statuten vermerkt ist, wusste er nichts, beteuert er. Was ihm wenig nützt. Wegen des Regelverstoßes wurde er neun Monate gesperrt und muss eine Geldstrafe von 60 000 Dollar zahlen. Es war seine eigene Dummheit, aber er ist kein Krimineller. Die Strafe ist ein Witz, empört sich di Mauros Manager Corrado Tschabuschnig. Eine Einschätzung, die man teilen kann, wenn man das klägliche Ergebnis der Zockerei di Mauros betrachtet insgesamt verlor er 700 Euro. Das Argument werden seine Anwälte verwenden, wenn sie, wie angekündigt, vor den europäischen Sportgerichtshof in Lausanne (CAS) ziehen, um eine Reduzierung der Strafe zu erwirken.
Der Nestbeschmutzer
Für Aufregung in der Szene sorgt auch ein Beitrag der Sendung Sport inside, die im WDR ausgestrahlt wurde. Dort erklärte ein deutscher Tennisprofi, den man nur im Schattenprofil sah, dass einer seiner Kollegen, von dem ich es nie vermutet hätte, ihn gebeten habe, Geld auf dessen Matches zu setzen. Ein Déjà-vu. 2005, in der ARD-Sendung Report, hatte ebenfalls ein anonymer Tennisprofi von Wettmanipulationen berichtet. Damals, als im Fußball der Fall Hoyzer für Schlagzeilen sorgte, interessierte sich niemand für geschobene Matches im Tennis. Das hat sich inzwischen geändert. Die Welle des Wettskandals schwappt nach Deutschland, vermeldeten die Agenturen sorgenvoll.
Als man sich beim DTB noch den Kopf zerbrach, wer der Nestbeschmutzer sein könnte, der sich so feige präsentierte und damit dem deutschen Tennis schadet (DTB-Präsident Georg von Waldenfels), erschütterte ein Zeitungsbericht der Welt am Sonntag die Szene. Betrug der Wettmafia im Tennis fliegt auf, schlagzeilte die WamS und präsentierte ein Foto von Philipp Kohlschreiber. Ein anonymer Informant bezichtigte ihn, zum harten Kern der Wettmafia zu gehören. Eine Behauptung, die nicht gestützt werden konnte. Ich verfolge die Wettszene seit vier Jahren. Kohlschreiber war für mich nie auffällig, sagt ein Buchmacher, der von Berufs wegen regelmäßig die Wettquoten kontrolliert. Außerdem: Allein von einem unregelmäßigen Quotenverlauf auf eine persönliche Verstrickung Kohlschreibers zu schließen, ist juristisch hart an der Grenze zur Verleumdung.
Was kann die Szene tun, um sich von dem Generalverdacht zu befreien, dass eine Vielzahl von Matches geschoben wird? Bei anderen Sportarten wird eine Maßnahme bereits mit Erfolg praktiziert. betradar heißt das Zauberwort. Es handelt sich dabei um ein Überwachungssystem, durch das Manipulationen früh erkannt werden. Der Clou: 259 Buchmacher aus aller Welt sind vernetzt und tauschen im Sekundentakt ihre Quoten aus. Sobald es Auffälligkeiten gibt, schrillen die Alarmglocken. Mittlerweile steht auch die ATP mit dem Anbieter des Hightech-System in Verhandlungen, und auch den Wettfirmen ist daran gelegen, ihr ramponiertes Image aufzupolieren.
Die Hand von Mr. X
Hilft der Herrentour bei ihren Ermittlungen möglicherweise die Aufzeichnung der WDR-Sendung mit dem geheimnisvollen Mr. X, der Kollegen des Betrugs bezichtigt hat? Was ihm zum Verhängnis werden könnte: Bei der Erstausstrahlung des Beitrags war seine Hand zu erkennen. Diese zu identifizieren, dürfte kein Problem sein. Der Netzbeschmutzer ließe sich also überführen und zur Rede stellen. Kann er seine Aussagen belegen, hätte die ATP ein echtes Problem. Kann er dagegen seine Vorwürfe nicht untermauern, hätte er das Problem. Spielerkollegen anonym unter Generalverdacht zu stellen, verstößt gegen den Verhaltenskodex der ATP und würde unweigerlich eine Sperre nach sich ziehen. Seine deutschen Kollegen glauben übrigens zu wissen, um wen es sich handelt, geben den Namen aber nicht preis. Man muss nicht viel Fantasie besitzen, um sich vorzustellen, dass bald der nächste Skandal folgt.
Andrej Antic/Tim Böseler
Herr Kohlschreiber, Sie wurden von einer Zeitung unter den Verdacht des Wettbetrugs gestellt. Was sagen Sie dazu?
Als ich davon hörte, war ich völlig schockiert und konnte es nicht glauben. Mir ist buchstäblich die Kinnlade heruntergefallen, als ich in meinem Urlaub auf den Malediven von meiner Agentur informiert wurde.
Was ist dran an den Vorwürfen?
Nichts. Ich halte es für extrem unfair und skandalös, wie mein Name und Ruf als Tennisprofi durch so eine Berichterstattung beschädigt wird. Die Vorwürfe sind völlig absurd und aus der Luft gegriffen. Der Autor des Artikels beruft sich auf einen anonymen Informanten und hat nicht einmal richtig recherchiert. Da steht, dass Youzhny den ersten Satz in St. Petersburg gegen mich verlor. Dabei gewann er ihn. Ein anderes Beispiel: In Metz soll mein Gegner Jo-Wilfried Tsonga die Nummer 280 gewesen sein. Dabei stand er auf Platz 61. Es wurden Fakten verdreht.
Sind Sie jemals wegen möglicher Spielverschiebungen angesprochen worden oder haben selbst gewettet?
Niemals. Ich bin kein Zocker, sondern ein Sportler, der versucht, jedes Match zu gewinnen.
Werden Sie gegen die Anschuldigungen vorgehen?
Ich habe die Anwaltskanzlei Holthoff-Pförtner eingeschaltet, um die Verdächtigungen aus der Welt zu räumen und mögliche rechtliche Schritte zu überprüfen.
Welche Möglichkeiten haben Sie, Ihre Unschuld zu beweisen?
Über den Bayerischen Tennis-Verband habe ich die European Sports Security Agency (ESSA) um Unterstützung gebeten. Die Organisation wurde vor zwei Jahren von den größten europäischen Online-Wettanbietern gegründet und ist in der Lage, früh zu erkennen, ob Tennismatches manipuliert sein könnten. Ich möchte, dass alle meine Niederlagen noch einmal von offizieller Seite überprüft werden.
Sind Sie auch bereit, persönliche Unterlagen wie Kontoauszüge und Telefonrechnungen offenzulegen?
Auf jeden Fall. Ich habe überhaupt nichts zu verbergen.
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