AEGON Masters Tennis – Day One

Stefan Edberg: „In mir hat es früher oft gebrodelt“

Herr Edberg, haben Sie schon Ihrem alten Rivalen Boris Becker gratuliert?
Ihm gratuliert? Wozu?

Er ist im Februar wieder Vater geworden.
Ach, das meinen Sie. Nein, dazu habe ich ihm noch nicht gratuliert. Wir haben keinen so engen Kontakt und sehen uns selten. Im November 2009 trafen wir uns in London das letzte Mal. Bei der Gelegenheit erzählte er mir, dass er wieder Nachwuchs erwartet. Er machte einen sehr glücklichen Eindruck.

35-mal spielten Sie gegen Boris Becker. Warum sind diese Duelle so mitreißend gewesen?
Wir waren unterschiedliche Typen. Ich war zurückhaltend und introvertiert. Boris war das genaue Gegenteil: aufbrausend und emotional.

Der Schweiger gegen den Wilden.
So kann man das zusammenfassen. Wir spielten beide zur gleichen Zeit sehr gut in Wimbledon. Dort spornten wir uns zu Höchstleistungen an. Ohne ihn hätte ich mich anders entwickelt und er sich ohne mich vermutlich auch.

An welches Match gegen Becker erinnern Sie sich besonders gut?
An das Wimbledon-Finale von 1988. Es war mein erstes Endspiel in Wimbledon und Boris war der große Favorit, er hatte schon zweimal vorher dort gewonnen (1985, 1986 Anm. d. Red.). Es war ein lausiger Tag, sehr regnerisch. Stundenlang spielte ich mit meinem Coach Tony Pickard Karten. Wir mussten ewig warten, bis wir auf den Platz konnten. Als es endlich losging, wurde das Match Mitte des ersten Satzes wegen Regens abgebrochen. Am darauffolgenden Montag regnete es wieder. Ich aß gut zu Mittag dann ging es plötzlich weiter. Mit Bauschmerzen verlor ich den ersten Satz. Aber den zweiten Durchgang gewann ich im Tiebreak. Das war der Wendepunkt. Ich kann mich noch genau an den Matchball erinnern: Ich stand am Netz, Boris zielte aus dem Halbfeld auf meinen Körper, der Ball blieb an der Netzkante hängen. Ich fiel vor Erleichterung auf den Rücken. Es war der Moment, auf den ich immer gewartet hatte.

Sie spielten gegen alle großen Champions. Ist Roger Federer besser als sie alle?
Ja. Nicht nur wegen seiner beeindruckenden Ergebnisse und Rekorde. Die Art und Weise, wie er spielt, hat Tennis auf ein neues Niveau gehoben. Er kann alles. Zu meiner Zeit gab es auch sehr gute Spieler, aber irgendwie hatte jeder eine Schwäche. Federer und auch Rafael Nadal haben keine Schwächen mehr.

Hätten Sie mit Ihrem klassischen Serve-and-Volley-Spiel gegen die heutige Spielergeneration eine Chance?
Einen großen Vorteil hätte ich: Die Jungs sind an meinen Stil nicht gewohnt, weil keiner Serve-and-Volley spielt. Insofern würde ich sie überraschen. Aber: Das Spiel hat sich total gewandelt. Es wird heute viel schneller als früher gespielt, obwohl die meisten Plätze bewusst langsamer gemacht worden sind, selbst in Wimbledon. Für einen Angriffsspieler ist das ein Alptraum. Er braucht den schnellen Ballabsprung beim Aufschlag. Gerade wenn er, wie ich früher, mit viel Kick serviert. Diesen Vorteil gibt es in Wimbledon nun nicht mehr. Hinzukommt, dass die Profis von heute viel besser returnieren als wir früher. Es ist logisch, dass es reine Angriffsspieler nicht mehr gibt. Sie hätten einfach keine Chancen.

Serve-and-Volley ist endgültig tot?
Das glaube ich nicht. Zukünftig ist ein Spielertyp gefragt, der das Powertennis von der Grundlinie mit gut dosierten Netzattacken nach dem Aufschlag mischt. Dadurch, dass heute kaum jemand Serve-
and-Volley einsetzt, ist das Returnspiel vorhersehbar: Ball reinspielen, möglichst lang. Das reicht aber nicht mehr, wenn der Aufschläger öfters attackiert. Dann werden die Returns wegvolliert. Daraus würde sich ein komplett neues Spiel ergeben.

Warum spielt dann heute niemand so?
Weil es einen immensen Trainingsaufwand erfordert. Gute Angriffsspieler müssen viel mehr Komponenten perfekt beherrschen als Grundlinienspieler. Die Basis dafür muss in frühester Jugend gelegt werden. Es bringt nichts, einem 20-jährigen Profi, der sein Tennisleben an der Grundlinie geklebt hat, plötzlich Serve-and-Volley einzuimpfen. Angriffstennis hat etwas Natürliches, das von selbst wachsen muss. Dafür fehlt den Trainern aber Zeit und Geduld.

War Tennis früher oder heute besser?
Auf jeden Fall heute. Zu meiner Zeit gab es zwar viele unterschiedliche Spielertypen und heute spielen alle sehr ähnlich, so dass man weniger Varianten sieht. Aber: Tennis als Sport hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt, weil es athletischer, schneller, präziser und dadurch besser wurde.

Vermissen Sie echte Typen auf der Tour?
Es gibt genügend Persönlichkeiten im Moment. Federer, Nadal, del Potro, Djokovic das sind alles tolle Typen.

Aber etwas blass im Vergleich zu John McEnroe oder Jimmy Connors.
Spieler wie McEnroe gibt es alle 100 Jahre. Sicherlich hat es dem Tennis damals geholfen, dass gute und schlechte Typen auf der Tour waren. Das hat viele Sportfans angelockt. Auch solche, die von Tennis keine Ahnung hatten. Echte Bad Guys sieht man heute nicht mehr. Aber dazu fehlen auch die Voraussetzungen. Um heutzutage oben mitspielen zu können, muss man fokussiert sein. Eskapaden kann sich keiner leisten. Alles wird aufgzeichnet, Entgleisungen stehen ein paar Stunden später im Internet. Der Spielraum ist zu eng, um sich so aufzuführen, wie einige meiner bösen Gegner von früher.

Sie gehörten immer zu den Guten. Wie haben Sie das hinbekommen?
Ich habe einfache Regeln befolgt: Bleib bei dir selbst, lass nur vernünftige Leute in dein Umfeld und denk nach, bevor du redest.

Pete Sampras bezeichnete Sie einmal als Idealbesetzung für ein Tennisidol. Woher kommt Ihr makelloser Ruf?
Vielleicht weil ich ein ruhiger und eher diplomatischer Typ bin. Mein Motto war stets: Nichts zu sagen ist besser als zu viel.

Sie sind nie ausgeflippt auf dem Platz alles nur reine Selbstbeherrschung?
Für mein Spiel wäre es kontraproduktiv gewesen, wenn ich mich aufgeregt hätte. Aber früher es hat in mir oft gebrodelt. Ich musste jedoch ruhig bleiben, sonst hätte ich nicht mein bestes Tennis spielen können.

Vermissen Sie heute die große Bühne?
Eigentlich müsste ich laut Nein! sagen. Aber ich spiele seit einiger Zeit Oldie-Turniere. Insofern könnte der Eindruck entstehen, dass ich die große Bühne vermisst habe. Ich trete dort aber an, um alte Freunde zu treffen. Außerdem ist es schön, dass mich meine Kinder noch in Aktion sehen können.
Genießen Sie jetzt das Rampenlicht?
Gefallen werde ich nie daran finden, weil es nicht zu meinem Naturell passt. Ich habe es schon als kleiner Junge nicht gemocht, Aufmerksamkeit zu erregen. In der Schule habe ich mich so unauffällig wie möglich verhalten. Ich saß immer in der letzten Reihe, habe mich nie gemeldet. Ich bekam Schweißausbrüche, wenn mich der Lehrer nach vorne an die Tafel holte. Die Angst davor, im Mittelpunkt stehen zu müssen, hatte ich auch als Tennisprofi. Aber ich musste lernen, damit klar zu kommen.

Wie oft trainieren Sie heute noch?
Regelmäßig. Tennis ist meine Leidenschaft. Ich spiele es mit meiner Frau, mit meinen Kindern, mit Freunden und mit guten schwedischen Nachwuchsspielern.

Wie populär ist Tennis in Schweden?
Fußball und Eishockey sind größer. Aber die Erfolge von Robin Söderling bei den French Open 2009 und 2010 haben viel verändert. Gerade sein Sieg im letzten Jahr gegen Rafael Nadal löste eine riesige Begeisterung aus. Es war die beste Nachricht für das schwedische Tennis in den letzten zehn Jahren.

2002 gewann doch mit Thomas Johansson ein Schwede die Australian Open.
Ach, das können Sie vergessen. Niemand hat sich dafür interessiert. Dass Söderling den Sandplatzkönig Nadal in Paris schlug, hatte eine ganz andere Dimension. Ein einziges Match kann viel verändern. Es war eine perfekte Geschichte, für die sich jeder interessierte. Genau darum geht es im Sport: Wenn die Story gut ist, bekommt es jeder mit. Die Schweden schauten plötzlich Tennis in Bars und Cafes, auf der Straße, überall echt verrückt!

Was trauen Sie Söderling zu?
Sehr viel. Es ist bemerkenswert, was nun für ein Hype um ihn entsteht. Er steht nicht in den Top Five der Weltrangliste, hat noch keinen großen Titel geholt und die Zeitungen sind voll mit Berichten über Söderling. Zu meiner Zeit gab es so viele starke Schweden. Da haben die Journalisten nur gegähnt, wenn einer von uns in die Top Ten vordrang.

Werden Sie nun oft zu Söderling befragt?
Nein. Ich bin in den einheimischen Medien nicht so präsent wie andere schwedische Ex-Profis. Mir sind andere Dinge in meinem Leben viel wichtiger.

Was denn?
Meine Familie. Ich lebe mit ihr in der Nähe von Växjö, mitten auf dem Land. Meine Kinder, Emilie und Christopher, bringe ich morgens zur Schule. Am späten Nachmittag kommen sie zurück und wir unternehmen etwas. Meistens dreht es sich um Sport.

Sie sagten einmal, dass Sie nie eine verwöhnte Primadonna werden möchten. Ist Ihnen das gelungen?
Ich denke schon. Mein Leben ist nicht so, wie man sich das vielleicht bei einem sogenannten Ex-Star vorstellt. Zu Hause kümmere ich mich um den Abwasch oder die Wäsche.

Tatsächlich?
Ja, es macht mir nicht unbedingt Spaß, aber es muss erledigt werden. Und es soll nicht alles an meiner Frau hängenbleiben.

Die typisch schwedische Emanzipation.
So ist es. In Schweden ist es normal, dass sich der Mann im Haushalt engagiert. Im Ausland gucken mich deswegen manchmal andere Männer schräg an. Aber das stört mich nicht. Ich will als Mann nicht nur das Geld zu Hause abliefern.

Wie verdienen Sie denn Ihr Geld?
Ich habe schon als Profisportler mit Hilfe  eines Vermögensverwalters eine Kapitalanlagegesellschaft gegründet. Außerdem gehören mir 40 Hektar Wald, direkt bei meinem Haus.

Sie sind Förster?
Nein (lacht), das nicht. Ich verkaufe nur Bäume an die Holz- und Papierindustrie. Das muss organisiert werden und lässt sich prima von zu Hause aus abwickeln.

Was passiert eigentlich, wenn Sie in Schweden ein Lokal betreten?
Was soll dann schon passieren? Ich gehe da rein wie jeder andere Gast auch.

Wenn Boris Becker in Deutschland ein Restaurant betritt, dann drehen die Leute sofort durch.
Tja, Boris und ich waren schon immer sehr unterschiedlich.nike air jordan 1 outlet | The Global Destination For Modern Luxury