Dieter Kindlmann: „Wir Trainer sind keine Zauberer“
Jede Woche neue Gesichter und Siegerinnen: Der langjährige Damencoach Dieter Kindlmann im Interview über die möglichen Gründe für die vielen Überraschungen auf der WTA-Tour.
Herr Kindlmann, warum ist die WTA-Tour so unberechenbar geworden?
Es gibt viele Gründe hierfür. Das Damentennis hat sich in den letzten fünf Jahren extrem weiterentwickelt. Die Dichte vom Niveau ist enorm gestiegen, sodass bereits die frühen Runden schwer zu gewinnen sind. Früher war es so, dass die Top 30 im WTA-Ranking gute Spielerinnen waren, danach ist das Niveau abgefallen. Mittlerweile kann die Nummer 100 der Welt eine Top-10-Spielerin an einem guten Tag besiegen. Hinzukommt, dass das Spiel immer körperlicher wird, sodass viele Spielerinnen mit Verletzungen zu kämpfen haben.
Auch der Reisestress mit dem ständigen Wechsel der Zeitzonen spielt eine Rolle. Viele Spielerinnen scheinen mental nicht so gefestigt zu sein wie einige Topspielerinnen von früher. Ausnahmespielerinnen wie Serena Williams gibt es derzeit nicht. Generell muss man den Leistungen von Spielerinnen wie Williams, Maria Sharapova, Caroline Wozniacki und Angelique Kerber Tribut zollen, dass sie über so viele Jahre hinweg so konstant oben platziert waren. Heutzutage erreicht Maria Sakkari das Finale in Indian Wells und verliert dann ihr Auftaktmatch in Miami. Das wäre den großen Legenden nicht passiert.
Kindlmann: „Es steht ein Generationswechsel an“
Muss man sich darauf einstellen, dass im Damentennis in Zukunft Jede gegen Jede gewinnen kann?
Es gab in der Vergangenheit immer Phasen, in denen, wenn eine große Legende abgetreten ist, ein Vakuum von einigen Monaten bis zwei Jahren entstanden ist, in dem es viel Abwechslung an der Spitze gibt. Es wird aber wieder Spielerinnen geben, die sich zu Legenden entwickeln und konstant auf hohem Niveau spielen werden. Iga Swiatek spielt derzeit sehr konstant und steckt die hohe Belastung mit vielen Matches in Folge sehr gut weg. Derzeit steht ein großer Generationenwechsel an. Serena Williams ist vor dem Karriereende, Angelique Kerber wird auch nicht mehr lange spielen. Victoria Azarenka, Simona Halep und Karolina Pliskova tun sich enorm schwer. Das sind alles ehemalige Weltranglistenerste, die in den letzten Jahren konstant um große Titel mitgespielt haben und nun Probleme haben, an ihre Zeiten von früher anzuknüpfen.
Patrick Mouratoglou meint, dass der Hauptgrund für die Inkonstanz auf der WTA-Tour die viel zu schnellen Trainerwechsel sind. Wie sehen Sie das?
Ob das der Hauptgrund ist, kann ich schwer beurteilen. Fakt ist, dass es im Damentennis eine enorme Fluktuation bei den Trainern gibt. Bei Spielerinnen wie Williams und Sharapova wurden viel seltener Trainer oder gesamte Teams ausgewechselt. Ich als Trainer sage klar: Wir Trainer sind keine Zauberer. Alles beruht auf konstanter Arbeit, die komplette Ausrichtung sollte langfristig sein. Es braucht Zeit, damit die Handschrift eines Trainers erkennbar ist. Der Trainermarkt hat sich in den letzten Jahren leider hin zu vielen schnellen Wechseln entwickelt. Wenn deine Spielerin zwei Monate nicht erfolgreich spielt, wirst du als Trainer ausgewechselt. Das ist komplett falsch. Man sollte wie in Beziehungen durch Höhen und Tiefen gehen und vor allem seinem Trainer und dem Umfeld vertrauen. Das passiert leider zu selten.
Kindlmann: „Es ist schade, dass Barty ihre Karriere beendet hat“
Die meisten Spielerinnen ähneln sich in ihrer Spielweise. Wie problematisch ist das?
Die gleichmäßige Spielweise ist für mich ein großer Grund, dass die WTA-Tour so unberechenbar geworden ist. Daher ist es sehr schade, dass Ashleigh Barty ihre Karriere beendet hat. Sie hat sich mit ihrer flexiblen Spielweise abgehoben von allen anderen. Sie kann Slice spielen, sie hat gute Topspin-Schläge, sie ist an Netz gegangen, sie hat einen Kick-Aufschlag. Bei den anderen Spielerinnen überwiegt das Power-Tennis. Es ist alles schnell und flach mit wenig taktischen Varianten. Daher kommt es immer wieder vor, dass favorisierte Spielerinnen, die an schlechten Tagen ihr Power-Tennis nicht durchbringen können, verlieren.
Würde sich etwas ändern, wenn die Damen bei Grand-Slam-Turnieren über drei Gewinnsätze spielen?
Gute Frage. Ich glaube schon, dass sich über drei Gewinnsätze auf Dauer die Qualität der besseren Spielerinnen durchsetzen wird. Über zwei Gewinnsätze gibt es schon eher mal einen „lucky punch“. Es kommt auch hinzu, dass umso höher man in der Weltrangliste steht, umso größer die Erwartungshaltung der Spielerin ist. Ich habe es bei Aryna Sabalenka miterlebt, wenn man auf Biegen und Brechen einen Grand-Slam-Sieg erreichen möchte. Es ist eine völlig andere Drucksituation, wenn man in ein Turnier ohne große Erwartungen geht oder wenn man sich vorher sagt, dass man das Turnier gewinnen muss. Bei jedem Turnier gibt es meist ein Match, bei dem man sich durchmogeln muss. Dafür gibt es so viele Beispiele, siehe Angelique Kerber: Sie hatte bei den Australian Open 2016 in der ersten Runde gegen Misaki Doi Matchball gegen sich, anschließend gewinnt sie das Turnier.
Ist es gut oder schlecht fürs Damentennis, wenn so viele Spielerinnen große Turniere gewinnen?
Fürs Tennis wäre es besser, wenn sich Persönlichkeiten entwickeln würden. Wenn durchschnittliche Spielerinnen, regelmäßig aus dem Nichts große Turniere gewinnen, ist es einerseits schön für den Moment, auf Dauer braucht das Tennis aber Typen, die sich im Laufe der Zeit herauskristallisieren. So wie im Herrentennis mit Djokovic, Federer und Nadal.
Wie schwer wiegt das Karriereende von Ashleigh Barty?
Es wird dem Damentennis noch sehr wehtun, dass Ashleigh Barty aufgehört hat, auch aus Vermarktungssicht. Ihre Spielweise war ein Augenschmaus.
Kindlmann: „Swiateks Spielweise hebt sich ab“
Herr Kindlmann, wen sehen Sie als mögliche Führungsfigur nach dem Karriereende von Ashleigh Barty?
Iga Swiatek hat das Potential dazu. Sie ist mit 20 Jahren noch sehr jung und bereits die Nummer eins der Welt. Sie spielt dieses Jahr sehr konstant, sie ist eloquent und verkauft sich gut, sie ist flippig und kein Roboter. Ihre Spielweise hebt sich auch vom Rest des Feldes ab. Bei Emma Raducanu muss man abwarten, wie sie sich nach ihrem sensationellen US-Open-Sieg entwickelt. Sie hat sicherlich das größte Vermarktungspotential. Sowohl Swiatek und Raducanu müssen sich aber über einen längeren Zeitraum beweisen. Das kann man derzeit noch schwer abschätzen. Es gibt auch noch Cori Gauff, die sich Stück für Stück nach vorne spielt.
Was ist mit Naomi Osaka?
Ich war mir sicher, dass Osaka mit ihren bereits erspielten Titeln, ihrer Persönlichkeit und ihrem Charisma und dem ganzen Medienrummel um sie herum in einen Legendenstatus hineinwachsen würde. Nach all den Vorfällen um ihre Person, die sie sehr menschlich erscheinen lassen, bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich glaube nicht, dass sie noch so viele Jahre mit diesen Leistungsdruck und auch dem medialen Druck umgehen kann.
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