Dominic Thiem im Interview: „Ich bin jetzt mein eigener Boss”
Er bot Serena Williams in Paris die Stirn, trennte sich von Langzeitmentor Günter Bresnik. Dominic Thiem verdeutlicht im Interview, dass er weg vom Image des lieben Jungen will – aber nicht zu jedem Preis.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 10/2019
Herr Thiem, zum Start gibt es ein Zitat von Rafael Nadal, das er in der Dokumentation über Ihr Leben als Tennisprofi gesagt hat: „Dominic ist eine zukünftige Nummer eins der Welt.“
Ich glaube, das musste er aus Freundlichkeit sagen für die Dokumentation. (schmunzelt).Es ist natürlich dennoch eine große Ehre, wenn Rafa so etwas sagt. Er hat natürlich gut reden mit 18 Grand Slam-Titeln und so vielen Wochen als Nummer eins (196, Anm. d. Red). Aber ich bin jetzt lange genug dabei, damit mich solche öffentlichen Aussagen nicht weiter unter Druck setzen.
Nadal ist mit Novak Djokovic und Roger Federer auch 2019 noch weiter das Maß aller Dinge im Welttennis. Ist das für Sie Fluch oder Segen?
Ich bin wirklich von Herzen froh, dass ich gegen dieses Trio auf allerhöchstem Niveau antreten kann. Ich lerne aus jedem einzelnen Match derart viel. Das ist ganz wichtig für meine Entwicklung. Jedes Match ist auch eine Chance, einen der drei besten Spieler aller Zeiten zu schlagen. Siege wie gegen Djokovic bei den French Open oder über Federer in Indian Wells bringen enormes Selbstvertrauen. Es wird aber die Zeit nach diesen Spielern kommen. Eine Zeit, in der Spieler wie Alexander Zverev und ich die großen Titel hoffentlich unter uns ausmachen werden.
Stürzt das Profitennis in ein Loch, wenn diese drei zurücktreten?
Nein, das wird sicher nicht passieren. Der Sport ist größer als einzelne Spieler. Es werden nach dem Rücktritt sehr, sehr gute Spieler mit interessanten Charakteren vertreten sein: Alexander Zverev, Stefanos Tsitsipas, Felix Auger- Aliassime, der sicher im nächsten halben Jahr schon die Top Ten anpeilen wird. Dazu kommen die Russen um Karen Khachanov, Daniil Medvedev und Spieler, die wir jetzt noch gar nicht auf dem Radar haben. Matteo Berrettini hat sich in so schneller Zeit so erheblich verbessert. Vielleicht taucht in fünf Jahren ein Spieler auf, der alle Rekorde bricht? Das ist das Schöne an unserem Sport.
Kann das Duell Zverev gegen Thiem eine ähnliche Dimension annehmen wie Djokovic gegen Federer oder Nadal?
Ich finde, dass wir damit längst angefangen haben mit sieben Duellen seit 2016 (Thiem führt 5:2 , d. Red.) Wir haben in einem Mastersfinale gespielt (Zverev gewann in Madrid 2018, d. Red.) und in Paris im Viertelfinale (Thiem gewann 2018, d. Red.). Es ist ein Duell der Gegenwart. Aber es wäre schön, wenn wir in der Zukunft viele Duelle in den späteren Runden austragen können.
Ein kurzer Rückblick zu den diesjährigen French Open: War das Programm inklusive Halbfinalerfolg gegen Djokovic zu taff, waren Sie ein bisschen platt?
Nein, auf keinen Fall. Ich finde auch, dass der Faktor Müdigkeit etwas überbewertet wird. Den kann man in einem Grand Slam-Finale durchaus überwinden. Ich habe auch erst nach dem Finale gelesen, dass nicht mal Federer es geschafft hat, Djokovic und Nadal in einem Turnier zu besiegen. Selbst wenn ich mehr Tage Pause gehabt hätte, wäre es gegen Nadal keine minder große Herausforderung gewesen. Er hat in Paris ganze zwei Matches verloren.
Dennoch fällt auf: Nadal hat im Laufe des Finals körperlich kein bisschen nachgelassen.Denkt man da nicht darüber nach?
Ich habe versucht, das weitestgehend auszublenden. Ich wusste, dass er zur Not vier, fünf Sätze auf seinem Niveau würde abspulen können. Ich habe andere Dinge rückblickend falsch gemacht. Die Pause nach dem zweiten Satz war viel zu lange. Es war ein Fehler, auf dem Court zu warten. Ich hätte ebenfalls rausgehen müssen, um mich frisch zu machen. Er kam zurück und hat keinen Zentimeter nachgelassen. Ich schon ein bisschen.
Spielt Nadal in Paris nochmal auf einem anderen Niveau?
Er schafft es, in Paris sein absolut bestes Tennis abzurufen und bereitet sich in der Sandplatzsaison auf diese beiden Wochen vor.
Natürlich fühlen auch Sie sich sehr wohl auf Sand. Aber wird auch genug auf diesem Bodenbelag gespielt?
Früher hat es mehr Sandplatzturniere gegeben. So wie es 2019 ist, ist es auch noch okay, aber schon grenzwertig. Das sage ich jetzt nicht, weil ich sehr, sehr gerne auf Sand spiele. Es wäre für die gesamte Tour besser, wenn etwas mehr Abwechslung geboten würde. Turniere wie Acapulco sind längst auf Hardcourt gewechselt. Hamburg ist ja auch im Gespräch. Das ist legitim, aber: Wenn ein Spieler die Turniere nach Wimbledon auslässt, ist die Zeit auf Hardcourts einfach zu lange. Das ist auch körperlich nicht angenehm auf Dauer.
Sind die ATP Finals für Sie auf Sand vorstellbar?
Nein, das ist für mich aber auch aus der Tradition heraus völlig okay, wenn sie auf Hardcourt bleiben. Es ist in der Halle auch schwer vorstellbar, dass da ein Veranstalter Sand reinkippt.
Apropos verschiedene Bodenbeläge: Empfinden Sie die spezielle Rasensetzliste, die in Wimbledon angewendet wird, als fair?
Ja, doch. Die ist für mich schon fair. Die Rasensaison ist im Vergleich zur kompletten Tour einfach zu kurz. Und obwohl der Rasen langsamer geworden ist, ist das Spiel noch immer zu unterschiedlich. Von daher finde ich es okay, dass die Resultate auf Rasen der vergangenen Jahre die Setzung beeinflussen.
Eine Entscheidung, die nicht alle nachvollziehen können, ist Ihr früher Verzicht auf die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Warum möchten Sie dort nicht antreten?
Die Entscheidung ist eigentlich sehr früh gefallen und war auch sehr einfach, obwohl mir Tokio als Stadt sehr taugt und ich auch Olympia mindestens einmal in meiner Karriere erleben möchte. Aber es fällt genau in die Woche des Turniers in Kitzbühel und mir bedeutet ein Einsatz dort nun mal sehr viel. Deshalb ist die Entscheidung so gefallen. Für mich ist aber schon jetzt klar, dass ich 2024 in Paris vermutlich auf Sand auf jeden Fall spielen will. Und vielleicht ergibt sich 2028 noch eine weitere Möglichkeit.
Sie haben sich im Frühjahr überraschend von ihrem Langzeittrainer- und Mentor Günter Bresnik getrennt: Was hat sich seitdem unter dem Chilenen Nicolas Massu geändert?
Das Training ist anders, ein bisschen gegnerorientierter vor den Matches. Das ist ein erster großer Unterschied. Die Intensität im tagtäglichen Training ist höher. Mir ist außerdem wichtig, dass mein jetziger Trainer selbst Profi war, mir seine Erfahrung mitteilen kann. Er hat ja auch noch gegen die großen Drei gespielt. Darüber hinaus ist mein komplettes Leben als Sportler anders. Ich habe mehr Freiheiten.
Sind Sie mehr Ihr eigener Boss?
Ja, auf jeden Fall. Das muss sich so entwickeln. Ich werde ja schließlich immer älter und treffe mehr Entscheidungen selbst. Das hilft für die eigene Entwicklung.
Die Trennung von Bresnik und der Vorfall mit der abgebrochenen Pressekonferenz in Paris, als Serena Williams Ihren Raum erhalten sollte, obwohl Sie noch nicht fertig waren: Zeigen Sie 2019 bewusst mehr klare Kante und wollen weg von Ihrem bisherigen Image des lieben Jungen?
Das will ich schon machen, ja. Aber das letzte was ich möchte, ist, dass ich mich verstelle. Alles, was ich getan habe und in Zukunft tun werde, soll authentisch sein. Bei manchen Dingen muss ich aber eingreifen, darunter verbuche ich auch die Aktion, die in Paris passiert ist. Da wollte ich den Verantwortlichen nicht durchgehen lassen, dass sie meine Pressekonferenz abbrechen.
Zu einer Profilschärfung gehört auch eine klare Meinung. Wie finden Sie es denn, dass Chris Kermode als ATP-Präsident abgewählt wurde?
Ich muss gestehen, dass ich nicht sehr in dem Thema drin bin. Mein persönlicher Eindruck: Er war und ist immer sehr, sehr nett, hat immer ein offenes Ohr für uns Spieler. Ich finde es schade, wie es gelaufen ist und hoffe, dass er irgendwann wieder zurückkehrt.
Das war jetzt ein sportpolitisches Thema. Sind Sie allgemein politisch interessiert? Es ist ja einiges los weltpolitisch. Politiker wie Donald Trump oder Boris Johnson polarisieren.
Ich beschäftige mich null damit. Ich sage Ihnen auch ehrlich: Ich kenne Johnson nur vom Namen. Ich wüsste nicht mal. wie er jetzt aussieht. Trump kenne ich natürlich, aber es interessiert mich ehrlich gesagt gar nicht.
Weil Sie einfach in einer anderen Lebensphase sind?.
Zum einen das. Zum anderen gibt es genug andere Themen, mit denen ich mich intensiv beschäftige.
Eines dieser Themen ist der Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Sie haben in Miami nach einem Sieg auf die Kamera geschrieben: „Play 4 the ocean“ – spiel für den Ozean. Was machen Sie genau und wie räumen Sie sich als Profisportler dafür bei all den Reisen Zeit ein?
Sie sprechen es richtigerweise an. Als Tennisspieler hat man nun wirklich nicht den besten ökologischen Fußabdruck, weil wir einfach so wahnsinnig viel fliegen müssen. Auf der anderen Seite kann ich mit meiner großen Reichweite in den sozialen Medien einige Botschaften übermitteln. Solche Aktionen wie mit der Kamera sehen auch viele Menschen, die ich hoffentlich dazu ermutige, etwas auf die Umwelt zu achten.
Gemeinsam mit Kevin Anderson wollen Sie eine plastikfreie Tour.
Wimbledon 2019 war das erste große Turnier, das komplett auf Plastikverpackungen bei den Schlägern verzichtet hat. Andere Turniere sollten dem Beispiel folgen, damit können wir viel einsparen. Eine plastikfreie Tour in ein, zwei Jahren zu haben, ist ein realistisches Ziel.
Zum Abschluss: Wie schaltet Dominic Thiem ab?
Mit meiner Freundin zu Hause in Österreich bei Freunden und Familie. Ich war zum letzten Mal für eine lange Zeit zu Hause. Diese Zeit genießt man daher umso mehr und weiß alles zu schätzen. Denn wir Tennisspieler sind schon sehr lange auf Reisen. Ansonsten spiele ich gerne Fußball und fahre Inlineskates – leider komme ich dazu viel zu selten.