Emma Raducanu: „Bin dabei, meinen Weg zu finden”
Emma Raducanu hat eine lange Leidenszeit hinter sich nach ihrem US Open-Titel 2021. Im Interview spricht die 21-jährige Britin über ihre anstrengende Reha, das Leben im Rampenlicht und ihre Liebe zum Autofahren.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 4/2024.
Frau Raducanu, Sie haben den Großteil der Saison 2023 verpasst wegen Operationen an beiden Handgelenken und am Knöchel. Wie ist es Ihnen in der Zeit ergangen, als Sie kein Tennis spielen konnten?
In den ersten zwei Wochen nach den Operationen konnte ich überhaupt nichts alleine tun. Ich bin viel gereist und nahm einige Sponsorentermine wahr. Die Zeit verflog so schnell, dass es sich nicht wie ein großer Urlaub angefühlt hat, zumal zwei Wochen nach den Operationen die Reha meist den ganzen Tag beansprucht hat, was sehr zäh und teilweise auch langweilig sein kann. Es war schön, dass ich die Chance hatte, meine Familie in China zu besuchen. Außerdem habe ich einige neue Dinge ein bisschen gelernt: Malen und Klavierspielen. Von diesen beiden Sachen habe ich schon als Kind immer geträumt, ich hatte aber nie Zeit dafür. Das war zumindest der positive Teil an meiner Verletzung.
Bei Ihrer Reha spielte auch Reis eine wichtige Rolle.
Das ist richtig. Wenn jemand mit einem Eimer Reis in den Reha-Raum kommt, denkt man nicht wirklich daran, dass dies für die Erholung der Handgelenke ist. Ich habe meine Hand mindestens zweimal am Tag in den Eimer Reis gelegt, bis zu 75 Minuten, und meine Hände dabei bewegt, gedreht, gequetscht und gepresst. Das hilft tatsächlich. Man spürt ein Brennen im Unterarm. Es stärkt die Muskulatur in deiner Hand, im Handgelenk und im Oberarm. Jeder kleine Muskel in deiner Hand wird dabei beansprucht.
Emma Raducanu: „Habe viel über mich gelernt“
Konnten Sie anschließend Reis überhaupt noch sehen?
Nein, nicht wirklich. Man sieht den Eimer Reis und denkt sich: Nicht schon wieder, weil die Reha-Session damit viel Zeit in Anspruch nahm. Aber ich liebe es weiterhin, Reis zu essen. Dabei bleibe ich.
Was haben Sie über sich gelernt, als Sie kein Tennis spielen konnten?
Ich habe viel über mich gelernt. Um mich optimal zu fühlen beim Tennis oder anderen Dingen, muss ich frisch und hungrig sein. Das passiert bei mir nicht zwangsläufig durchs Training oder durchs Spielen. Ich muss diesen Grat und diesen Funken in meinem Spiel beibehalten. Nach der Pause war ich gierig darauf, endlich wieder zu spielen. Es kann schon kräftezehrend sein, Woche für Woche auf der Tour zu spielen und all die Verpflichtungen wahrzunehmen, die nun mal zum Status eines Tennisprofis dazugehören. Für mich ist die beste Lösung, die Dinge auf meine Weise zu machen. Bevor ich auf die Tour kam, war dies die beste Art für mich. Das hat gut funktioniert.
Raducanu: „Autos spielten schon immer eine Rolle in meinem Leben“
Hat sich Ihre Definition für Erfolg verändert nach der Pause von der WTA-Tour?
Ja, hat es. Auf lange Sicht bedeutet Erfolg, gesund zu bleiben. Es geht darum, alles zu tun, dass ich nicht hart, sondern smart trainiere, um verletzungsfrei zu bleiben. Ich habe die Erfahrung gemacht, wie die Zeit verläuft, wenn man längere Zeit nicht trainieren oder spielen kann. Wirklich Spaß macht das nicht. Erfolg bedeutet, dass ich alles Mögliche unternehme, um sicherzustellen, dass ich in dieser Position bin, um zu trainieren und dabei gesund zu bleiben.
Sie sind Markenbotschafterin von Porsche. Wie ist Ihr Verhältnis zu Autos?
Autos spielten schon immer eine Rolle in meinem Leben, ich war zum Beispiel als Kind gern Zuschauer beim Porsche Carrera Cup in Brands Hatch, daher passt es, dass ich nun Botschafterin für Porsche bin. Mit fünf Jahren habe ich gelernt, wie man Go-Kart fährt. Das war in Stratton in England in einer umgebauten Garage für Busse, die zu einer kleinen Rennstrecke umfunktioniert wurde. Mit sechs Jahren bin ich dann nach Brentwood, wo wir mit dem Go-Kart auf einer Freiluftstrecke gefahren sind. Das war schon ziemlich herausfordernd, im Regen zu fahren. Ich musste viele Techniken lernen, die im Trockenen keine Rolle spielen. Das hat meine Fähigkeit als Fahrerin entwickelt, sodass ich mich auf der Straße nun sehr wohlfühle. Ich hatte auch die Möglichkeit, auf der Rennstrecke in Silverstone mit Mark Webber oder in Brands Hatch in einem 911 GT3 und zu fahren. Das hat mir dermaßen Spaß gemacht.
Dieser Fahrer-Typ ist Emma Raducanu
Ich nehme an, dass Sie sich selbst als gute Fahrerin bezeichnen.
Nun, es ist nie gut, wenn man sich selbst eine gute Fahrerin nennt. Besser ist es, die Leute sprechen zu lassen, die mit mir im Auto sitzen.
In Deutschland gibt es kein Tempolimit auf den meisten Autobahnen. Wie finden Sie das?
Idealerweise könnte es eine spezielle Kategorie für Fahrer geben, die mit hohen Geschwindigkeiten vertraut sind. Denn wenn man ein Auto einem unerfahrenen Fahrer anvertraut, kann es sehr gefährlich werden. Es ist natürlich schwer, ein Gesetz dafür zu erlassen und das dann praktisch umzusetzen. Vielleicht könnte man es so machen wie die Polizisten, die ein Hochgeschwindigkeitstraining machen. Das wäre die sicherste Variante. Ich mag es, ohne Tempolimit zu fahren. Einmal bin ich von Stuttgart nach Frankfurt gefahren. Das war eine tolle Erfahrung.
Können Sie während des Fahrens entspannen?
Ich liebe es, ohne Verkehr zu fahren. Da kann ich gut entspannen. Bei viel Verkehr bin ich eher der ungeduldige Typ. Es ist immer ein kleiner Kampf, wenn die Ampeln schnell auf Rot umspringen. In London ist das Fahren eher anstrengend. Die Straßen sind in keinem guten Zustand und zudem sehr schmal. Das ist nicht so spaßig wie auf der deutschen Autobahn. Ich liebe es auch, mit Musik zu fahren. Das ist ein guter Weg, um zu entspannen.
Emma Raducanu: „Diesen finanziellen Stress hatte ich nicht“
Welche Musik hören Sie während der Fahrt?
Das hängt von meiner Stimmung ab und davon, ob ich auf dem Weg zum Training bin oder mein Training gerade beendet habe. Es kann sehr traurige und bewegende Musik sein oder auch sehr energetische.
Viele Tennisfans haben sich auf Ihrem Weg zum US Open-Titel 2021 in Ihr Lächeln und Ihre positive Ausstrahlung verliebt. Wie schaffen Sie es, Ihre positive Art beizubehalten nach all den Rückschlägen und Verletzungen?
Das ist schon eine Herausforderung. Ich bin dabei, meinen Weg zu finden und Lektionen zu lernen. Ich lerne, wie ich mit bestimmten Situationen umgehe, wie ich darauf reagiere. All das lerne ich vor den Augen der Weltöffentlichkeit, was bei den meisten jungen Erwachsenen nicht der Fall ist. Bei den meisten jungen Leuten kommt in der Regel erst der Lernprozess, dann folgen die Ergebnisse. In meinem Fall passierte zunächst ein riesengroßes Ergebnis mit dem US Open-Titel, aus dem ich dann rückblickend lernen musste. Letztendlich betrachte ich dies als einen Segen. Denn die meisten Tennisspieler haben zu Beginn der Karriere finanziell zu kämpfen. Durch meinen US Open-Titel war ich in der glücklichen Lage, diesen finanziellen Stress nicht mehr zu haben. Es gewährte mir auch Zugang zu vielen Führungspersönlichkeiten und vielen Partnerschaften, die ich nun habe. Ich konnte hautnah sehen, wie sie mit ihren Führungsqualitäten arbeiten. Ich konnte schon in meinem jungen Alter so viele Lebenserfahrungen machen, die einige Leute, die in ihren 40ern sind oder in der Mitte des Lebens stehen, noch nie erlebt haben. In dieser Hinsicht bin ich sehr dankbar und glücklich.
Emma Raducanu: „Die Defensivqualitäten der Spielerinnen haben sich verbessert“
Mit dem Erfolg im Rampenlicht verschwindet zunehmend auch die Privatsphäre. Wünschen Sie sich diese manchmal zurück?
Ja, schon ein wenig. Manchmal geht man buchstäblich im Pyjama in den Shop um die Ecke und wünscht sich, dass niemand dich sieht, weil man selbst nicht glauben kann, dass man in dieser Weise das Haus verlassen hat. Letztendlich ist es aber ein guter Tausch mit all den Sachen, die ich dafür bekommen habe.
Wie sehen Sie die Entwicklung im Damentennis, seitdem Sie die US Open 2021 gewonnen haben?
In den letzten drei Jahren ist die Tiefe im Damentennis nochmals enorm gestiegen. Es gibt immer mehr Spielerinnen, die jede Woche ein Turnier gewinnen können. Das zeigen auch die jüngsten Resultate. Natürlich gibt es ein paar bestimmende Spielerinnen auf der WTA-Tour, dennoch liegen Sieg und Niederlage so nah beieinander. Das Level vieler Spielerinnen hängt von so vielen Faktoren ab, auch von der aktuellen Form. Das habe ich selbst bei den US Open 2021 erfahren. Meine Form war in diesen drei Wochen inklusive der Qualifikation ziemlich fantastisch, was es mir erlaubt hat, eines der größten Turniere der Welt zu gewinnen. Was sich enorm verbessert hat, sind die Defensivqualitäten der Spielerinnen. Diese sind so viel besser geworden als zu Zeiten, als ich mit Tennis aufwuchs. Jede Spielerin ist inzwischen eine viel bessere Athletin und hat bessere Fähigkeiten beim Spiel aus dem Lauf heraus. Letzteres ist auch noch etwas, das ich lernen muss.
Emma Raducanu: „Darauf bin ich sehr stolz“
Sie erhielten als jüngste Frau die Auszeichnung „Member of the Order of the British Empire“. Wie war Ihr Zusammentreffen mit König Charles?
Es war ein surrealer Moment, im Windsor Castle mit König Charles zu sein. Er ist eine tolle Persönlichkeit. Ihn zu treffen, war eine Belohnung für die harte Arbeit, die ich all die Jahre hineingesteckt habe und all die Zeit, die meine Eltern in mich investiert haben. Das Zusammentreffen war zwar nur 30 Sekunden lang, aber es waren die besten 30 Sekunden meines Lebens. Darauf bin ich sehr stolz.
Schauen wir noch mal voraus auf den Rest der Saison 2024. Was haben Sie sich vorgenommen?
Meine Ziele für dieses Jahr habe ich einige Male neu bewertet. Ich denke, meine Ziele werden sich im Laufe des Jahres ständig verändern. Meine Priorität liegt darauf, mein Spiel zu entwickeln. Das führt dann dazu, dass ich dieses Jahr wohl nicht allzu viele Turniere spielen werde. Ich möchte nicht die verlorene Zeit aus dem letzten Jahr aufhole, indem ich nur noch Turniere spiele. Es geht darum, ein konkretes und wichtiges Fundament aufzubauen, um im Laufe der nächsten Jahre in einem guten spielerischen und körperlichen Zustand zu sein.
Vita Emma Raducanu
Die Britin, 21, wurde in Toronto als Tochter einer Chinesin und eines Rumänen geboren. Im Alter von zwei Jahren zog sie mit ihrer Familie nach England. Als sie fünf Jahre alt war, begann sie mit Tennis. 2021 machte sie ihr Abitur und feierte kurz darauf ihren Durchbruch als Profi. Nach dem Einzug ins Achtelfinale in Wimbledon gewann sie sensationell als Qualifikantin die US Open 2021 – ein Novum auf der Tour. Es ist bis heute ihr einziger Titel auf WTA-Ebene. Bestes WTA-Ranking: Platz 10. Nach einer Operation an beiden Handgelenken und am Knöchel im Jahr 2023 ist sie Anfang des Jahres auf die Tour zurückgekehrt.