Eva Lys

Vladimir und Eva Lys beim Training in der Verbandshalle Hamburg. ©Nathalie Sodeikat

Familie Lys auf dem Weg nach oben

Vladimir Lys ist Vater und Trainer von zwei erfolgreichen Spielerinnen. Tochter Eva Lys klettert aktuell in der Weltrangliste Schritt für Schritt nach oben. Im Interview erklärt er – zusammen mit seiner Frau Maria – wie das Familienunternehmen Lys funktioniert, wer welche Aufgaben übernimmt und was Profisport für eine Familie bedeutet. 

Interview: Martina Goy und Andreas Eckhoff
Erschienen in tennis SPORT 4/2023

Herr Lys, Frau Lys, im Welttennis gibt es eine Reihe von Vätern und Müttern, die erfolgreich als Trainer ihrer Kinder arbeiten. Ist es ein Vorteil, weil man seine Kinder auch als Sportler besser kennt?

Vladimir Lys: Das Wichtigste ist die Antwort auf die Frage, ob die Eltern die entsprechende Qualifikation haben. Ist also der Trainingsprozess sinnvoll aufgebaut? Oder versucht man nur, über YouTube-Videos etwas kurzfristig zu lernen und zu lehren, worauf andere sich jahrelang vorbereitet haben. Nur wenn Eltern die nötige Qualifikation und eine Vision haben, können sie ihr Kind weit bringen. 

Wie gelingt Ihnen der Spagat, gleichzeitig Vater und Trainer zu sein?

Vladimir Lys: Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch nie nachgedacht. 

Maria Lys: Aber ich kann dazu etwas sagen. Auf dem Platz ist Vladi der Chef – ohne Wenn und Aber. Zuhause dagegen wünsche ich mir manchmal, dass er etwas weniger nachsichtig ist. Da komme ich mir das ein oder andere Mal vor wie eine Polizistin. Er erlaubt den Kindern alles. 

Vladimir Lys: Ich würde es so formulieren: Es braucht Balance. Fordernd auf dem Platz, locker zu Hause. Ich habe immer versucht, meine Arbeit nicht mit nach Hause zu bringen. Am Ende eines Tages habe ich nicht nur die Arbeit mit meinen eigenen Kindern hinter mir, sondern auch das Training mit den anderen Schülern. Das ist anstrengend. Vielleicht versuche ich deshalb, die Kinder Zuhause von der sportlichen Thematik zu entlasten – obwohl das fast unmöglich ist. Nur im Urlaub haben Maria und ich immer nach einer Möglichkeit gesucht, ohne Tennisschläger irgendwohin zu reisen. 

Sie haben drei Töchter. Lisa hat ihre Karriere mit 21 Jahren beendet und studiert Jura. Eva startet gerade als Profi durch. Und die jüngste, Isabella, ist zwar erst acht Jahre alt, träumt aber auch schon von einer Profikarriere im Tennis. Wie fing das bei Ihren Töchtern an mit dem Leistungssport? 

Vladimir Lys: Wir haben 2003 die Ukraine verlassen, weil wir wollten, dass unsere Kinder in einem westeuropäischen Land leben. Das hatte den Nachteil, dass wir komplett auf uns allein gestellt waren. Maria hat damals Jura studiert, ich arbeitete schon als Trainer. Also habe ich die Kinder von der Schule abgeholt, sie mit auf den Tennisplatz genommen. Damit sie nach ihren Hausaufgaben nicht nur herumsitzen, habe ich für sie eine Einheit Training geplant. Auf diese Art habe ich mit Lisa und Eva jahrelang nach der Schule Tennis gespielt. Am Anfang in erster Linie mit Lisa, die schon im Förderkader des DTB war. Aber Eva war dabei und hat in den Trainingspausen auch zum Schläger gegriffen.

So wie jetzt Isabella, Ihre jüngste Tochter, wenn sie beim Training von Eva dabei ist?

Maria Lys: Stimmt. Für Bella hatten wir bis jetzt nur noch keine festen Trainingszeiten geplant. Sie liebt mindestens genauso das Wettkampfturnen.

Vladimir Lys: Aber das ändert sich gerade. In den Schulferien war Bella bei unseren Reisen dabei. Frankreich, Spanien, Holland und zuletzt New York. Danach hat sie gesagt, sie möchte in Zukunft genauso leben wie Eva. 

Das wäre dann Tochter Nummer drei, die sie in die Weltspitze bringen könnten. Haben Sie überhaupt noch die Kraft und Motivation dazu?

Vladimir Lys: Wenn die Kinder Leistungssportler sind, dreht sich das Familienleben hauptsächlich um Sport. Viel Zeit für Urlaub oder Treffen mit Freunden bleibt nicht. Aber wir machen es gern.

Eva Lys

Das Familienunternehmen Lys: Nach Tochter Lisa, die inzwischen ihre Karriere beendet hat und Jura studiert, helfen Vladimir und Maria Lys nun Tochter Eva in die Weltspitze. ©Nathalie Sodeikat

Wie finanzieren Sie dieses Leben? Denn Geld kommt ja meistens erst in die Kasse, wenn Erfolge da sind.

Vladimir Lys: Eva hat zuletzt gute Ergebnisse erzielt. Seither ist die Situation entspannter. Trotzdem haben wir noch nicht die Möglichkeit, weitere Spezialisten zu beschäftigen. Ich versuche, ihr mit meiner Qualität als Trainer zu helfen, aber nebenbei arbeite ich Vollzeit. Das ist ein ziemlicher Spagat. Im Moment könnten wir Unterstützung durch Sponsoren oder andere Partner gut gebrauchen. Der DTB kann mit seiner Hilfe nicht alles abdecken. 

Wie schwierig ist es, Sponsoren als Unterstützer zu finden?

Maria Lys: Man denkt, Hamburg ist eine reiche Stadt. Aber auch im Club an der Alster hat man gemerkt, wie schwierig es ist, finanzkräftige Unterstützer zu finden. 

Im Profitennis gilt ein Weltranglisten-Platz unter den ersten 100 Spielerinnen als Schallmauer. Dann, so sagt man, wird es auch finanziell leichter.

Vladimir Lys: Ja. Wer in den Top 100 ist, steht bei den vier Grand-Slam-Turnieren automatisch im Hauptfeld und kann pro Saison mit rund 200.000 Euro abzüglich Steuer planen. Natürlich braucht man auch dann noch Sponsoren, aber vor allem braucht man sie in den Anfangsjahren. In Deutschland ist der Weg in die Weltspitze für einen jungen Spieler schwierig, wenn er nur auf die Unterstützung der Landesverbände und des DTB zählen kann. 

Eva ist Teil des Porsche Talent Teams. Wie sieht die Unterstützung da aus? 

Maria Lys: Sie bringen sich ein, wo es notwendig ist. Seit Eva erfolgreicher ist, darf sie selbst entscheiden, wie sie die Infrastruktur des DTB zum Training nutzt. 

Spürt Eva den Druck, dass die Finanzierung ihrer Tenniskarriere direkt von ihren Tenniserfolgen abhängig ist? 

Maria Lys: Eva spürt das, natürlich. Und sie gehört zu den Personen, die sich selbst am meisten unter Druck setzen. Sie weiß, wenn sie zwei Runden gewinnt, ist finanziell für das nächste halbe Jahr alles fein. Unsere Aufgabe ist es, diesen Druck möglichst von ihr fernzuhalten und ihr immer zu vermitteln: Du hast alle Zeit der Welt! Das Gute ist aber, dass sie die Unterstützung des Deutschen Tennis Bundes hat und in Sandra Reichel (Turnierveranstalterin und Tennismanagerin, d.Red.) eine Beraterin hat, die ihr zusätzlich hilft. Sandra steht seit zwei Jahren an ihrer Seite, nimmt eine wichtige Rolle ein. 

Hat Ihre Tochter einen Plan B, falls die Dinge anders laufen als geplant? 

Maria Lys: Einen Plan B hat Eva immer schon gehabt. Sie hat ganz genaue Vorstellungen, wie ihr Leben nach der Tenniskarriere aussieht. Das war auch wichtig für sie, weil es den Druck wegnimmt. 

Wie sieht dieser Plan B aus? Ein Studium wie ihre Eltern und Schwester?

Maria Lys: Sie interessiert sich sehr für Sportmedizin. Und Lernen macht ihr Spaß. Sie war eine fleißige Schülerin, hat ihr Abitur mit einem Schnitt von 1,7 gemacht. Sie ist in jeder Beziehung leistungsbereit.

Voraussetzung für jede Sportlerkarriere ist Talent. Woran erkennt man es?

Vladimir Lys: Grundsätzlich ist Talent gut, aber Fleiß ist wichtiger. Der Joker ist die Kombination. 

Kann jeder Trainer ein Talent erkennen? Und wenn, woran?

Vladimir Lys: Man muss qualifiziert sein und Erfahrung haben. Als Trainer-Vater kommt man mit den eigenen Kindern deutlich einfacher zum Ziel, wegen der leichteren Verfügbarkeit des Trainers. Ich bin ja immer da, unbegrenzt. Aber weil ich auch andere Kinder und Jugendliche trainiere, kann ich einschätzen, ob ein Kind Talent hat oder nicht. Der eine kann besser laufen, die andere ist fleißiger. Ich erkenne, ob ein Kind eine gute Koordination hat oder wie lange es die Konzentration halten kann. Dennoch ist es nicht einfach zu sagen: Das ist ein Talent, das ist kein Talent. Manchmal irren sich ja auch die Berühmtesten der Branche.

Erklären Sie bitte…?

Vladimir Lys: Nick Bollettieri beispielsweise hat einst Marat Safin für seine Academy abgelehnt; er sei nicht geeignet, Tennisprofi zu werden. Safin ist dann nach Spanien gegangen und wurde die Nummer eins der Welt. 

Hat Eva von ihrer Schwester profitiert, die vor ihr eine Profikarriere gestartet hatte. Oder anders: Lernt eine Generation von der anderen?

Vladimir Lys: Eva sagt, alles, was sie gelernt hat, hat sie durch ihre ältere Schwester gelernt. Lisa ist wie eine Lokomotive. Sie zieht die anderen hinter sich her.

Maria Lys: Die große Schwester ist das große Vorbild. Dadurch, dass Eva bei fast allen Turnierreisen dabei war, hat sie viel vom Profileben mitbekommen. Als sie begann, auf der Profitour zu spielen, hat Lisa oft ihre Freundinnen kontaktiert und beispielsweise eine Trainingseinheit für Eva organisiert. Heute ist Eva bei allen bekannt und überall willkommen.

Von Isabella heißt es, auch sie habe unglaublich viel Talent. Welche Rolle spielen die Gene? 

Vladimir Lys: Die Genetik spielt eine ganz große Rolle. Lisa war von 14 Jahren an meist unter den besten drei bis fünf in Deutschland. Eva hat deutlich seltener auf dem Tennisplatz verbracht, trotzdem hat sie weniger Zeit gebraucht, um in ihrer Altersklasse an die Spitze zu kommen. Wenn sie verletzungsfrei bleibt, hat sie eine richtig gute Zukunft vor sich. Und wie weit es einmal mit Isabella gehen wird, das werden wir dann sehen. 

Sie haben schon früh gesagt, Eva habe die Voraussetzungen, um mindestens Nummer zehn der Welt zu werden. Woher kommt dieses Selbstvertrauen?

Vladimir Lys: Eva hat klare Vorstellungen, was sie will. Und sie geht diesen Weg Schritt für Schritt. Natürlich weiß ich nicht, ob es tatsächlich so kommen wird. Aber wir haben einen Plan. Wenn man sagt, ich will unter die Top 100, ist das auch ein Plan, aber…

Maria Lys: … Eva formuliert ihr Ziel anders. Sie will unbedingt ein Grand Slam-Turnier gewinnen. Die Ranglistenposition ist ihr dabei egal.

Das Profileben erfordert hohe Resilienz und mentale Stärke. Jede Woche verlieren alle Spieler bis auf einen, der Sieger des Turniers. Angelique Kerber hat in 14 Jahren Profitennis ,nur‘ elf Turniere gewonnen. Wie hält man das aus? 

Vladimir Lys: Wenn man immer enttäuscht ist, weil man verloren hat, schafft man es nicht. Es gibt aber Methoden, wie man damit umgehen kann. Am Ende ist es Routine. Jeder Spieler weiß, dass er jede Woche verlieren kann. Und wenn man, wie beispielsweise Dominic Thiem, einmal ein Grand Slam-Turnier gewonnen hat (US Open, 2020 im Finale gegen Alexander Zverev, d.Red.), dann hat man diesen Titel für sein gesamtes Leben und ist vielleicht auch etwas entspannter als diejenigen, die es noch nicht geschafft haben. 

Eva Lys

Trainer-Vater Vladimir Lys fordert in jeder Trainingseinheit Disziplin und Einsatz von Tochter Eva. ©Nathalie Sodeikat

Wie geht Ihre Tochter Eva mit Niederlagen um? Hat sie die Routine, verloren Spiele zu akzeptieren? 

Maria Lys: Sie kann damit ganz gut umgehen. Aber die ersten fünf Stunden danach sollte man sie besser nicht ansprechen.

Dann wirft sie vermutlich beim Mensch-ärgere-Dich-nicht-Spiel auch die Figuren über den Tisch, wenn es nicht läuft?

Vladimir Lys: Das kann durchaus sein. Aber ich habe dazu noch einen anderen Gedanken: Eva ist der Typ Mensch, der beim Stand von 6:6 im Tiebreak sagt, noch zwei Punkte, dann habe ich gewonnen. Andere sagen, hoffentlich verliere ich die beiden Punkte nicht, sonst habe ich den Satz verloren.

Wer macht bei Ihnen die Turnierplanung? Profi sein heißt viel reisen und ist teuer.

Vladimir Lys: Die macht bisher Maria, neben all ihrer anderen Arbeit. Sie ist auch diesbezüglich ständig mit Sandra Reichel in Kontakt. Aber wir haben unser Leben nie als Belastung oder Nachteil wahrgenommen. Ja, wir haben unser Familienleben zu 98 Prozent dem Tennis unterworfen. Aber wir machen das aus Spaß, und wir machen es gern. Wir haben den Kindern immer gesagt, ihr werdet nie von uns hören, dass wir für euch unser Leben geopfert haben. Wir sind dankbar, dass wir dabei sind. 

Gibt es einen Zeitpunkt, an dem es dennoch Sinn macht, loszulassen und einen fremden Trainer zu verpflichten?

Vladimir Lys: Tatsächlich sind wir im Moment auf der Suche nach jemandem, der meine Aufgaben, zumindest ab und zu,  übernimmt. Ich kann immer einspringen,  im Schatten stehen und unterstützen, aber ich habe das Gefühl, dass Eva einen neuen Input gebrauchen kann. Im Moment läuft alles gut und wir haben eine positive Dynamik. Auf Sicht brauchen wir aber einen Tourcoach, der diese Aufgaben übernehmen könnte. 

Wie findet man einen Tourcoach? Sie können vermutlich nicht mal eben eine Stellenanzeigen schalten: „Weltklasse-Tourcoach gesucht“?

Maria Lys: Tatsächlich gibt es bei der WTA und ATP eine Jobbörse. Dort könnte man jemanden finden. Aber es muss auch die Qualifikation und die Chemie stimmen. 

War Tourtrainer zu sein nie eine Option für Sie, Herr Lys?

Vladimir Lys: Ich habe es früher einmal versucht, aber ziemlich schnell  gemerkt, was für ein schwerer Job das ist. Selten zu Hause, 24 Stunden mit einem Menschen zusammen sein, sieben Tage die Woche, das ist nicht meine Vorstellung von der Arbeit, die ich machen möchte. Und: Wenn du einen Spitzenspieler trainierst, bist du nie entspannt. Manchmal bin ich vier Wochen mit Eva unterwegs. Dann ist die emotionale Spannung extrem hoch, und ich bin froh, wenn ich wieder Zuhause bin, und die Leistungsspieler vor Ort unterstützen und trainieren kann. 

Sind Tennistrainer in Deutschland eigentlich gut ausgebildet?

Vladimir Lys: In vielen osteuropäischen Ländern darf man ohne Studium Kinder im Sport überhaupt nicht trainieren. Das heißt: Jeder Trainer im Nachwuchsbereich verfügt zwangsläufig über tiefe Kenntnisse in Pädagogik, Biomechanik, Sportpsychologie, aber auch Grundlagen der Sportmedizin und Ernährung. In Deutschland kann ein C-Trainerschein nach insgesamt drei Wochen und einem kurzen Praktikum erworben werden. Und als Übungsleiter braucht man überhaupt gar keinen Lehrgang. 

Warum schaffen es in Deutschland derzeit nur so wenige Spielerinnen und Spieler ganz nach ganz oben? 

Maria Lys: Das ist vielleicht auch ein strukturelles Problem. In Deutschland gibt es die Schulpflicht, und der Digitalunterricht ist an vielen Schulen noch nicht besonders gut organisiert. Erst nach dem Abitur entscheiden sich viele Spieler, ob sie im Sport Vollgas geben wollen oder nicht. Zudem gibt es wenige Turniere, auf denen man sich beweisen kann. Da steigt der ein oder andere schon früh wieder aus. 

Ist das in anderen Ländern anders?

Vladimir Lys: In Ländern, in denen Grand Slam-Turniere veranstaltet werden, ist die finanzielle Situation entspannter. Oder wenn man auf die USA guckt: Das College-System bringt viele herausragende Sportler hervor. Grundsätzlich hat das aber auch viel mit der Anerkennung zu tun. Ich habe das Gefühl, in Deutschland ist Leistungssport nicht so anerkannt. Das Interesse am Sport ist in Deutschland etwas unterentwickelt; außer im Fußball. Eva sagt immer, wenn sie jemandem erzählt, sie sei eine der besten deutschen Tennisspielerinnen, dann glauben ihr die Menschen zuerst nicht.

Familie Lys

Auch im Gespräch mit den Redakteuren Martina Goy und Andreas Eckhoff sind Vladimir und Maria Lys (l.) ein gutes Team. ©Nathalie Sodeikat