Iga Swiatek

Steuert gerne selbst: Iga Swiatek auf ihrem Weg von der Anlage in Cincinnati zum gemieteten Haus.

Iga Swiatek: „Ich brauche Kontrolle”

Wie tickt Iga Swiatek? Auf einer 15-minütigen Fahrt per Auto lässt sich die Frage nicht final beantworten. Aber: Es ist wirklich nett, mit der Polin zu plaudern.

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 10/2023

Einen Interviewtermin mit einem der Stars der Tour zu organisieren – egal, ob männlich oder weiblich – ist oft nicht einfach. Viele reden mit: der Manager, das Team, ATP oder WTA. Das Interview mit Iga Swiatek am Montag beim Mastersturnier in Cin­cinnati klappt dagegen recht einfach. Um kurz nach 14 Uhr erscheint die Polin gut gelaunt vor dem Spielereingang im Lindner Family Tennis Center. Die Idee: Sie muss ohnehin mit ihrem Wagen, einem 640 PS-starken Porsche Cayenne Turbo GT, nach Hause fahren. Da können wir auch während der Fahrt reden. Allerdings geht es weniger ums Sportliche. Die US-Hartplatzsaison war unter dem Strich weniger erfolgreich. In Montreal und Cincinnati verlor sie jeweils im Halbfinale, bei den US Open bereits im Achtelfinale. Womit auch klar war, dass sie nach 75 Wochen an der Spitze nicht mehr die Nummer eins ist. Unser Ansatz: Wir wollten Polens Star abseits des Courts kennenlernen. Zumindest ein bisschen.

Frau Swiatek, es sieht so aus, als würden Sie Autos mögen.

Oh ja, sehr.

Was genau mögen Sie? Die Geschwindigkeit?

Es hängt davon ab. Ich mag es, schnell zu fahren, wenn ich die Kontrolle habe. Kontrolle ist für mich wichtig – im Leben und auf dem Court.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn sie fahren?

Bei schnellen Autos ist es auf normalen Straßen unmöglich, das komplette Potenzial des Wagens auszuschöpfen. Ich liebe es, dass ich das Tempo in bestimmten Situationen nutzen kann. Wenn ich etwa ein anderes Auto überhole. Dass ich schnell beschleunigen kann, falls es nötig wird, gibt mir Sicherheit. Auf meiner Liste der Dinge, die ich gerne einmal machen würde, steht, einmal auf dem Silesia Ring (Rennstrecke in Polen; Anm. d. Red.) zu fahren. Das Adrenalin würde ich gerne spüren.

Es gibt auch andere Dinge, wie Ski­fahren oder Surfen, bei denen viele Menschen den Kick suchen. Mögen Sie solche Sportarten?

Wenn ich könnte, würde ich es gerne tun. Ich hatte nie die Möglichkeit, eine Sportart wie Surfen richtig zu lernen. Mit dem Terminplan eines Tennisprofis ist das sehr schwierig. Ich hatte ein paar Surfstunden, aber die ersten Unterrichtsstunden sind immer schwer. Man fällt ins Wasser, man steht auf und fällt wieder ins Wasser. Aber das gehört wohl dazu.

Ich bin immer zu den Jungs gegangen

Gibt es noch andere Sportarten, die Sie ausüben?

Ich spiele gerne Fußball. Es ist der beliebteste Sport in Polen. Als ich in der Schule war, bin ich immer zu den Jungs gegangen und habe mit ihnen Fußball gespielt. Ich liebte auch immer den Wettkampf.

Es heißt, Sie kennen den berühmtesten Fußballspieler Polens, Robert Lewandowski, gut. 

Um ehrlich zu sein, wir kennen uns nicht besonders gut, aber wir sind uns schon ein paar Male begegnet. Wir haben miteinander gesprochen. Er ist einer der Sportstars in meiner Heimat, der viele junge Menschen zuhause begeistert. Er zeigt, wie erfolgreich man sein kann als Sportler.

Wer hat Sie in Ihrer Kindheit inspiriert?

Ich habe nicht viel Tennis geschaut. Ich habe Tennis gespielt, aber wenn ich zuhause war, dann habe ich versucht, mich auf andere Dinge zu konzentrieren. Als ich mit 15 mein erstes Junioren Grand-Slam Turnier gespielt habe, da wurde mir klar, dass Rafael Nadal eines meiner Idole ist. Danach habe ich sein Spiel immer öfter beobachtet. Ich habe versucht zu verstehen, was nötig ist, um auf diesem Level zu spielen. Er gibt niemals auf, er vertritt die richtigen Werte, er ist auf dem Boden geblieben. Er ist immer noch derselbe, obwohl er so erfolgreich ist. Das mag ich besonders an ihm.

Haben Sie ein Lebensmotto?

Es gibt einen Satz, der mich motiviert: Du stehst morgens nicht auf, um durchschnittlich zu sein. Der Spruch steht in der Innentür meines Autos.

Interessieren Sie sich für die Tennishistorie?

Ja, aber ich weiß nicht viel, ich habe noch eine Menge zu lernen.

Iga Swiatek

Blick zurück ohne Zorn: Nach ihrer Karriere kann sich Iga Swiatek vorstellen, eine eigene Tennisakademie zu eröffnen.

In diesem Jahr feiert das ­Damentennis 50 Jahre WTA. Da fallen Namen wie ­Billie Jean King, Martina ­Navratilova, Chris Evert oder Steffi Graf. Haben Sie diese Karrieren auf YouTube oder ­woanders verfolgt?

Ja, da habe ich mir viel angesehen. Am meisten hat mich ihre Technik interessiert, wie sie den Ball schlugen. Ich hatte die Möglichkeit, mit Martina Navratilova darüber zu sprechen. Ihr Wissen und alles, was sie in dem Sport erreicht hat, ist unbeschreiblich. Ihr ist es auch wichtig, das Wissen an nachfolgende Generationen weiterzugeben. Ich habe nicht viele Matches über die gesamte Länge gesehen. Ich weiß aber, was diese Spielerinnen erreicht haben und wie großartig sie waren. 

Fühlen Sie selbst so etwas wie eine historische Dimension, weil Sie viele Wochen die Nummer eins der Welt waren und in einer langen Liste von Legenden standen?

Im Alltag fühle ich mich nicht sehr berühmt. Für mich ist es noch schwer zu begreifen, dass ich es geschafft habe, die Beste der Welt zu werden. Ich habe viele Erfolge für die Geschichtsbücher gefeiert. Wenn ich im Internet surfe, begreife ich, wie berühmt ich bin. Mein Team erinnert mich immer wieder an das, was ich erreicht habe, weil ich manchmal vergesse, was ich alles geschafft habe und dass ich stolz ­darauf sein sollte.

Ist es praktisch, das manchmal zu vergessen, damit der Druck nicht zu groß ist? 

Ich denke eher, es ist gut, nicht ständig daran zu denken, weil ich immer noch mehr erreichen will und mich auf die Zukunft fokussiere. Man muss sich aber auch die zurückliegenden Erfolge vor Augen führen, weil Siege der Grund sind, warum man Tennis spielt. Man will stolz sein auf das, was man erreicht hat. Ich brauche manchmal außenstehende Personen, die mir sagen, was ich alles geschafft habe, damit ich es glaube.

Sie siegten dreimal bei den French Open und einmal bei den US Open. Wie hart sind Grand Slam-Turniere für Sie? 

Jedes Grand Slam-Turnier ist anders. Wenn man ein Majorturnier gewinnt, dann hat man in den nächsten zwei Tagen keine Zeit, den Sieg zu feiern und alles zu verarbeiten. Man muss so viele Dinge erledigen. Die ganzen Fotoshootings, Presserunden, TV-Auftritte. Wenn ich nach Hause nach Warschau komme, dann warten so viele Fans auf einen, dass man gar nicht in Ruhe mit der Familie den Sieg feiern kann. 

Ist es störend oder genießen Sie es?

Es kann belastend sein. Wenn man ein Grand Slam-Turnier gewinnt, ist es klug, eine Woche komplett runterzufahren, um die vorherigen Wochen zu reflektieren. Ich brauche das, um das Erlebte zu verarbeiten. Physisch können die Grand Slams sehr erschöpfend sein, selbst wenn man nicht gewinnt und nur drei, vier Matches spielt. Bei diesen Turnieren kämpft jeder bis zum bitteren Ende. Keiner gibt auf, weil jeder auf diese Highlights hinarbeitet. Es kam vor, dass ich im Achtelfinale verloren habe und trotzdem viel Zeit brauchte, um meinem Körper zu regenerieren. Aber so richtig ausgelaugt war ich noch nie nach einem Turnier.

Sie trainieren viel mit den Herren. Warum?

Es ist einfacher, einen männlichen Trainingspartner zu finden, der mich wirklich fordern kann. Grundsätzlich ist jeder Spieler der ATP-Tour geeignet. Sie servieren mit über 200 km/h. Das gibt es bei den Damen in der Regel nicht. Es hilft mir, meine Reaktionen zu verbessern.

Wie pushen Sie sich vor Matches? 

Mit Musik. Ich mag AC/DC. Ich höre mir nicht jeden Tag Rock an, aber vor Matches höre ich Rock, um die Energie hochzuhalten. Es hilft mir, um mich auf das Match vorzubereiten. Das gehört zu meiner Routine. Ansonsten mag ich Pop, 80er-, 90er-Jahre- Musik. Ab und zu Jazz oder Oldies von Marvin Gaye oder Aretha Franklin.

Iga Swiatek

Entspannte Fahrt: Gleichzeitig fahren und reden, sei gar nicht so einfach, verriet Iga Swiatek tennis MAGAZIN-Chef Andrej Antic.

Sie sind ständig unterwegs. Wie empfinden Sie das Reisen?

Grundsätzlich mag ich es, aber manchmal, wenn man sehr müde ist und keine Zeit zum Regenerieren hat, kann es frustrierend werden. Andererseits: Wenn ich zwei Wochen zuhause bin, dann will ich wieder verreisen. Das ist wahrscheinlich ein Zeichen dafür, dass ich das Tour-Leben weiterhin leben möchte.

Gibt es ein Lieblingsziel?

New York ist immer wieder speziell. Es gibt keine vergleichbare Stadt auf der Welt.

Bekommen Sie mit, welch ein großer Star Sie in Polen sind?  

Ja. Mir ist klar, dass ich in den letzten Jahren sehr berühmt geworden bin. Die Leute erkennen mich fast überall. Ich musste mein Leben daran anpassen und kann nicht mehr so in der Öffentlichkeit sein wie früher. Zuhause ist es sehr schwer für mich, in Ruhe leben zu können.

Wie entspannen Sie?

Mit Lesen. Historische Romane sind meine Lieblingsbücher. Aber ich lese noch viel mehr, weil es von diesen Büchern nicht viele gibt. Ich lese Romane, die Geschichte mit fiktiven Handlungen verbinden. Ich lese viel und fast alles. Mittlerweile lese ich auch Autobiografien. 

Könnten Sie sich vorstellen, nach Ihrer Karriere ein Buch zu schreiben?

Schreiben? Ich glaube nicht, dass ich dafür das Talent habe. Da gibt es andere Dinge. Ich habe einige Ideen, was ich nach meiner Karriere machen könnte. 

Ich könnte mir vorstellen, eine eigene Akademie zu gründen

Zum Beispiel?

Ich würde versuchen, Tennis in Polen noch populärer machen. Ich würde gerne den jungen Tennisspielern in Polen helfen, weil die Ausbildung und das Training bei uns noch nicht so gut ist wie in anderen Ländern. Ich könnte mir auch vorstellen, eine eigene Akademie zu gründen. 

Wie Ihr Idol Nadal.

Ja. Was Rafa auf Mallorca gemacht hat, ist unglaublich und ein perfektes Vorbild für zukünftige Akademien.  

Sie unterstützen die Ukraine. In welcher Form?

Im letzten Jahr haben wir in Krakau ein großes Event gemacht, um Geld für die Ukraine zu sammeln. Ich habe die ukrainische Flagge an meiner Kappe angeheftet, wenn ich spiele. Viele vergessen, dass der Krieg immer noch anhält. Die Menschen leiden dort. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie schlimm das sein muss. Es ist unglaublich, dass der Krieg direkt neben meinem Heimatland passiert. Als er anfing, hatte ich Probleme zu verstehen, warum das passiert und wie es passiert. Ich möchte erreichen, dass mehr Menschen die Ukraine unterstützen. Den Leuten soll immer wieder bewusst sein, dass es schlimm ist, dass dort so lange schon Krieg herrscht. Zusammen kann man mehr erreichen als jemand alleine. Es wäre schön, wenn es in der Welt mehr Unterstützung geben würde. 

Haben Sie weitere Aktionen geplant?

Im Moment nicht. Mein Job ist es, Tennisspielerin zu sein. Es liegt ohnehin viel Druck auf meinen Schultern. Ich bin immer noch 22 Jahre alt. Ich möchte helfen, aber ich muss immer noch selbst entscheiden, wann der richtige Zeitpunkt dafür da ist.

Die Fahrt ist vorbei. Iga Swiatek parkt vor einem schicken Haus mit einem kleinen Teich in einer „Gated community“ in Cincinnati, das sie für die Zeit ihres Aufenthalts gemietet hat. Ihre Sportpsycholgin Daria Abramowicz steht schon vor der Haustür. Man plaudert noch ein wenig. Abramowicz sagt, wie wichtig es sei, bei Turnieren privat zu wohnen, um abzuschalten. In den Spielerlounges halte sich Swiatek kaum auf. Sie brauche viel Ruhe.

Vita Iga Swiatek

Iga Swiatek

Sie hat ihn: 2022 siegte Iga Swiatek zum zweiten Mal in Roland Garros. 2023 und 2024 folgten Titel Nummer drei und vier.

Die Polin gewann 2020 erstmals die French Open. Es folgten drei weitere Paris-Titel sowie ein Grand Slam-Sieg bei den US Open (2022). Swiatek wird trainiert von Tomasz Wiktorowski. Als engste Vertraute gilt ihre Sportpsychologin Daria Abramowicz. Neben Robert Lewandowski gilt Swiatek als größter Star Polens.