Jan-Lennard Struff: „Ich hatte keine Ahnung, ob ich es nach oben schaffen würde”
Er hat sich zum Lieblingsspieler vieler deutscher Fans entwickelt, weil er mitreißende Matches abliefert, im Davis Cup-Team unverzichtbar ist und Haltung zeigt: Jan-Lennard Struff, 30, spricht im Interview über seine tennisverrückte Kindheit, den stetigen Aufstieg in die Weltklasse und verrät, warum er der Coronapause auch etwas Positives abgewinnen kann.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 6/2020
Jan-Lennard Struff hat gerade seine alltägliche Trainingseinheit absolviert und sitzt jetzt im Wohnzimmer seiner Wohnung in Witten. Seit dem Lockdown durch das Coronavirus hält er sich hauptsächlich dort auf. Zusammen mit seiner Freundin Madeleine und seinem Sohn Henri. Die Skype-Verbindung zwischen Witten und Hamburg steht. Er trinkt noch einen ordentlichen Schluck, dann beginnt das Gespräch, für das er sich mehr als eine Stunde Zeit nehmen wird. Als noch ein Screenshot zur Dokumentation angefertigt werden soll, steht er kurz auf und sucht sich einen anderen Platz vor einer neutralen weißen Wand. „Hier ist es besser, da kann man keine Bilder von meinem Sohn sehen“, sagt er. Wie sich später herausstellen wird, ist ihm dieses Thema sehr wichtig. Als der Screenshot fertig ist, blickt Deutschlands zweitbester Tennisspieler freundlich in seine Notebook-Kamera.
Jan-Lennard, zunächst noch nachträglich alles Gute zum 30. Geburtstag!
Besten Dank. Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass nun vorne eine drei steht. Es fühlt sich etwas merkwürdig an.
Coronabedingt gab es wohl keine Feier.
Ich habe nichts gemacht. Wir waren zu Dritt zu Hause – meine Freundin Madeleine, Henri und ich. Zusammen haben wir eine Radtour unternommen. Von Madeleine habe ich zum Geburtstag ein Fahrrad geschenkt bekommen, das wollte ich dann gleich ausprobieren.
Du hattest vorher keins?
Nein. Zuletzt besaß ich zu Schulzeiten ein Rad. Ich habe allerdings schon länger einen Home-Trainer zu Hause, auf dem ich mich fit halte.
Jeder nennt dich „Struffi“. Woher kommt der Spitzname eigentlich?
Das weiß ich nicht mehr. Er war auf einmal da und er gefällt mir. Allerdings nennen mich nur die Leute aus der Tennisszene so. Im familiären Umfeld bin einfach nur Jan.
Das Coronavirus hat nun die Profitour bis auf Weiteres gestoppt. Wie erlebst du diese wirren Zeiten?
Ich war das letzte Mal vor elf Jahren so lange am Stück zu Hause …
… als du gerade mit dem Profitennis begonnen hattest.
Exakt. Ich ging damals noch zur Schule, 13. Klasse.
Fällt es dir schwer, nun nur noch zu Hause sein zu müssen?
Am Anfang dachte ich schon, dass das jetzt eine extrem schwierige Situation ist, eine komplette Kehrtwende. Jahrelang bin ich immer unterwegs gewesen und von heute auf morgen nur noch zu Hause! Aber ich habe schnell gemerkt, dass diese Zeit auch ein Geschenk für mich sein kann. Bei meinem Sohn kann ich jeden kleinen Entwicklungsschub hautnah miterleben, das ist schon irre. Der lernt so viel, fast jeden Tag kann er mehr! Im Moment zieht er sich überall hoch und steht dann stolz auf seinen wackeligen Beinchen. Bald wird er bestimmt seine ersten Schritte gehen. Mich fasziniert das. Ich bin dankbar dafür, so viel Zeit mit meiner Familie verbringen zu können.
Wie hältst du dich fit während der Coronapause?
Generell geht es darum, eine gewisse Grundfitness beizubehalten. Niemand weiß, wann die Tour wieder beginnt. Aber wenn irgendwann der Startschuss fällt, intensiviere ich das Training und brauche dann sicher nicht lange, um wieder bei 100 Prozent zu sein. Es bringt aber nichts, jetzt die ganze Zeit am Limit zu trainieren. Das wäre kontraproduktiv.
Was machst du genau?
Ich habe den Home-Trainer, darauf trainiere ich. Die Einheiten sind meistens unterschiedlich. Mal intensiv, mal moderat, mal im Intervallmodus. Und dann habe ich mein Fitness-Programm, das ich überall durchziehen kann, weil es ohne Gewichte absolviert wird. Es sind Übungen mit dem eigenen Körpergewicht, die mein Fitnesstrainer Uwe Liedtke für mich zusammengestellt hat. Beim Training schaltet er sich manchmal per Videocall dazu und gibt mir noch ein paar Anweisungen.
Hast du eine Lieblingsübung?
Eigentlich nicht. Gym-Workouts habe ich
über die Jahre zu schätzen gelernt. Mir gefällt es, mich körperlich anzustrengen. Zum
Laufen muss ich mich da schon mehr überwinden. Aber dieses Gefühl, wenn man zwölf Kilometer runtergerissen hat, macht mich zufrieden.
Du läufst also zwölf Kilometer am Stück?
Nicht immer, aber es kommt schon vor. Grundsätzlich jogge ich nicht so oft. Und wenn doch, dann bauen wir da Tempowechsel, Steigerungsläufe und Sprints mit ein.
Wie läuft das reine Tennistraining?
Als ich Anfang April aufgrund einer Ausnahmegenehmigung wieder im Stützpunkt des Westfälischen Tennis-Verbands in Kamen trainieren durfte, fühlte sich das schon etwas komisch an. Ich hatte zuvor nie so lange keinen Schläger in der Hand gehabt. Mit meinem Coach Carsten Arriens ziehe auf dem Platz jetzt aber nicht voll durch. Auch hier geht es darum, ein gewisses Level zu halten. Manchmal kommt mir das etwas ziellos vor, weil ich nicht weiß, wofür ich eigentlich trainiere. Sonst habe ich immer ein Ziel vor Augen. Man muss für die French Open in Form kommen. Oder für Wimbledon. Das fällt jetzt alles weg . Das macht die Situation schwierig.
Fehlt dir der Wettkampf?
Klar, auf den Platz zu gehen, ins Duell Mann gegen Mann und dann den Sieg davonzutragen – das vermisse ich. Das ist ja mein Job, dafür investiere ich viel. Allerdings ist das Leben auf der Tour auch Stress pur. Es geht immer hin und her. Und natürlich zählt nur Leistung, Leistung, Leistung. Ich fahre dort ständig auf Vollgas und komme selten zur Ruhe. Deswegen kann ich diese Phase hier zu Hause umso mehr wertschätzen.
Der Deutsche Tennis Bund will im Juni eine nationale Profi-Serie veranstalten, bei der du mitspielen wirst. Warum?
Es ist eine gute Gelegenheit, um Matchpraxis zu sammeln und gibt uns Spielern die Möglichkeit, sich dem Tennispublikum via Livestream zu zeigen. Das wiederum hilft auch meinen Sponsoren.
Befürchtest du da Kürzungen?
Naja, etliche Unternehmen haben in diesen Zeiten starke Einbrüche. Es wäre nachvollziehbar, wenn davon auch meine Sponsoren betroffen wären und mir weniger zahlen würden. Ich bin da loyal und kooperativ. Wir sind schließlich Partner. Es soll ja nicht so sein, dass die Firmen in einen Athleten investieren, aber dann nichts von ihm zurückbekommen, weil er nicht spielen kann.
Was hältst du von der Idee, dass die Top-Profis für schlechtere Spieler einen Fonds gründen, um diese finanziell zu unterstützen?
Ich finde es wichtig, den weniger privilegierten Kollegen jetzt zu helfen. Wenn ich an meine eigene Karriere denke und mir vorstelle, dass mich so eine Krise vor ein paar Jahren erwischt hätte, als ich noch nicht zu den Top 150 gehörte, dann wäre ich auch über jede Hilfe froh gewesen. Denn sonst hätte ich womöglich nicht weiterspielen können.
Dominic Thiem findet die Idee nicht so gut.
Ja, das habe ich gehört. Dominic ist ein guter Kumpel von mir und ich kann seinen Einwand auch ein Stück weit nachvollziehen. Er will nicht Spieler unterstützen, von denen er
nicht zu hundert Prozent weiß, dass sie alles für den Sport geben. Und natürlich gibt es auch unter den Profis ein paar schwarze Schafe, die auf 300, 400 oder 500 in der Weltrangliste stehen und die lieber Party machen statt zu trainieren. Die haben dann auch tatsächlich keine finanzielle Unterstützung verdient. Vielleicht findet man Kriterien, nach denen man die Verteilung der Gelder gerecht gestalten kann. Denn unterm Strich möchte ich meinen Kollegen gerne unter die Arme greifen.
Wird es 2020 noch internationales Profitennis geben?
Nein. Weil ich mir nicht vorstellen kann, dass man 2020 auf der ganzen Welt komplett frei reisen kann. Und genau das muss sichergestellt sein, damit die Chancengleichheit auf der Tour gewährleistet bleibt. Allerdings habe ich neulich gelesen, dass einige Staaten jetzt im Tourismus durchstarten wollen. Das hat mich sehr gewundert. Ich lasse mich also gerne eines Besseren belehren.
Kämen für dich Geistermatches in Frage?
Für mich sind Fans extrem wichtig. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil unseres Sports. Ich will bei ihnen Begeisterung entfachen, wenn sie Geld dafür ausgeben, mich spielen zu sehen. Es gibt nichts Schöneres, als vor vollen Tribünen zu gewinnen. Fans können mich als Profi durch ein Match tragen. Wenn ich etwa an das Davis Cup-Spiel in Valencia denke, als wir 2018 knapp gegen Spanien verloren, dann kriege ich heute noch eine Gänsehaut. Sollten wir jedoch irgendwann vor die Entscheidung gestellt werden, die Tour noch länger pausieren zu lassen oder ohne Zuschauer wieder anzufangen, würde ich Geisterspiele befürworten. Auch, um den Fans etwas zu bieten, die die Matches dann zu Hause mitverfolgen könnten. Tennis an sich ist ja ein kontaktloser Sport, die Profis könnten sich ohne großen Aufwand an die Hygiene- und Abstandsregeln halten.
Im Fußball ist das schwieriger, trotzdem soll die Bundesliga nach Meinung der Vereine wieder starten – vor leeren Kulissen.
Ich bin ein großer Fan von Borussia Dortmund und ich würde mich unfassbar freuen, wenn ich den BVB im TV wieder spielen sehen könnte. Aber man muss das in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext stellen. Viele können jetzt nicht richtig arbeiten, sitzen mit Kindern im Homeoffice fest und dann soll alles dafür getan werden, dass in der Bundesliga der Ball wieder rollt? Ich sehe das kritisch.
Was hältst du von virtuellen Turnieren wie dem von Madrid?
Das ist eine coole Idee, aber für mich wäre das nichts.
Warum nicht?
Ich habe keine Playstation.
Ich dachte immer, so ein Ding steht in den Wohnzimmern aller Profisportler?
Bei mir nicht.
Was machst du denn dann abends, wenn Henri schläft und Entspannung angesagt ist?
Ich schaue gerne Netflix. Dort läuft im Moment „The Last Dance“, eine fantastische Doku.
Die Story von Basketball-Legende Michael Jordan und den Chicago Bulls.
Genau! Ich liebe solche Sport-Dokumentationen. Die könnte ich mir stundenlang anschauen.
Guckst du dir Talkshows an?
Eher selten. Es sei denn, es ist ein bekannter Sportler zu Gast, den ich richtig bewundere.
Wen würdest du dort gerne sehen?
Mmh, Dirk Nowitzki wäre super. Ich habe neulich seine Biografie gelesen.
Meinst du „The Great Nowitzki“?
Ja, ein wunderbares Buch. Kann ich jedem empfehlen, der sich für Sport interessiert.
Liest du viel?
Es ist mehr geworden in den letzten Jahren, aber mein Bücherkonsum spielt sich eher auf einem überschaubaren Level ab. Abends, wenn ich mich ausruhen will, stehe ich oft vor der Wahl: Netflix oder Buch. Zu oft wird es dann Netflix.
Lass uns mal zu deinen Anfängen als Tennis-
spieler zurückkehren. Deine Eltern sind beide Tennistrainer. Hattest du eigentlich eine Wahl in Sachen Sport als Kind?
Die hatte ich. Bis zu meinem zwölften Lebensjahr habe ich viel Fußball gespielt. Das hat mir großen Spaß gemacht. Aber klar: Bei dem familiären Umfeld kam ich früh mit Tennis in Kontakt und meine Eltern haben es mir beigebracht. Sie haben mir dabei alle Freiheiten gelassen. Das Wichtigste, was sie mir mit auf den Weg gegeben haben, war: Wenn du dich für einen Sport entscheidest, dann mach’ ihn auch richtig.
Und du hast dich dann für Tennis entschieden.
Ja, ich war schon als Kind komplett tennisverrückt. Ich habe mir alle Matches, die im Fernsehen übertragen wurden, reingezogen. Teilweise morgens vor der Schule, wenn die Australian Open liefen. Ich stand jeden Tag auf dem Platz. Es war eine verrückte Zeit. Meine Mutter holte mich von der Schule ab, im Auto gab es Mittagessen und ich bin dann mit dem Zug zum Landesleistungszentrum nach Kamen gefahren, um dort zu trainieren. In Soest habe ich mit Spielern aus der Westfalen-Liga trainiert. Ich kann mich an viele Abende erinnern, an denen ich im Winter abends im Dunkeln vor der abgeschlossenen Halle stand und auf meinen Vater wartete, der mich dort abholen sollte. Es wurde auch schon mal halb zehn, weil er selbst noch lange arbeiten musste. Bis nach Hause in Warstein waren es knapp 30 Kilometer.
Warst du als Junior ein Überflieger?
Überhaupt nicht! Ich war kein schlechter Spieler und stand immer ganz gut in den Verbandsranglisten. Beim nationalen Jüngstenturnier in Detmold war ich viermal dabei, aber ich gehörte nie zu den besten Nachwuchsspielern in Deutschland.
Wann entwickelte sich der Gedanke, Profispieler zu werden?
Das kam einfach so, es gab kein spezielles Aha-Erlebnis. Mein Leben war auf Tennis ausgerichtet und dann wollte ich es nach dem Abi einfach probieren. Der Traum, Profispieler zu werden, war immer da, aber ich hatte keine Ahnung, ob ich das schaffen würde. Meine Eltern unterstützten mich bedingungslos. Es war mein Ziel, nach dem ersten Profijahr in den Top 700 zu stehen. Das klappte und irgendwann glaubte ich daran, weit nach oben kommen zu können.
Wem hast du damals nachgeeifert?
Meine Idole waren Pete Sampras und Tommy Haas.
Zwei Spieler mit einhändiger Rückhand.
Ja, ein herrlicher Schlag, so ästhetisch. Ich habe nie eine einhändige Rückhand gespielt. Ich fand aber auch einige Beidhänder richtig toll: Lleyton Hewitt, Marat Safin und Nicolas Kiefer zum Beispiel.
Warum eigentlich Sampras und nicht Becker?
Für Becker war ich etwas zu jung. Den habe ich nie so richtig erlebt. Außerdem hatte mein Vater den Sampras-Schläger, diesen schwarzen Pro Staff. Den habe ich dann später auch spielen dürfen.
Jetzt bist du elf Jahre auf der Tour unterwegs. Welche Phase war die schwierigste für dich?
Ich habe meine Entscheidung für das Profitennis nie grundsätzlich in Frage gestellt, aber es gab früher auch mal kurze Phasen, in denen ich negativ und deprimiert war. Wenn du bei einem Future-Turnier irgendwo in Rumänien unglücklich in der ersten Runde verlierst, dann zieht dich das einfach runter. Oder wenn du durch schlechte Ergebnisse im Ranking abrutschst und plötzlich wieder kleinere Turniere spielen musst. Davon kann jeder Profi ein Lied singen. Mir war aber immer klar, dass ich mich da durchkämpfen muss.
Wie stark tauschst du dich jetzt noch mit deinen Eltern über Tennis aus?
Meine Eltern freuen sich immer, wenn wir darüber reden, aber sie lassen mich größtenteils damit in Ruhe. Sie wissen, dass ich nicht ständig nur über Tennis, Tennis, Tennis reden möchte. Aber es gibt mir ein gutes Gefühl, dass meine Eltern so tennisaffin sind und sich gut auskennen.
Du bist insbesondere in letzter Zeit deutlich präsenter in den Medien. Hättest du dir diese Rolle vor zwei, drei Jahren vorstellen können?
Ich war früher vielleicht etwas scheu und zurückhaltend im Umgang mit den Medien. Interviews waren nicht so mein Ding. Aber ich bin da reingewachsen. Auch weil ich zu einigen Themen, die mir wichtig sind, Stellung beziehen will. Hinzukommt, dass ich nie aufgegeben habe, meinen Traum weiter zu verfolgen, auch wenn ich es erst etwas später nach oben geschafft habe. Nun sind meine Leistungen in den letzten Jahren ordentlich gewesen und ich habe für Deutschland im Davis Cup oder beim ATP-Cup viele wichtige Punkte geholt. Das befeuert dann natürlich das Medieninteresse.
Aber das allein reicht nicht unbedingt.
Nein, es hat auch etwas mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Mir geht es in erster Linie darum, vollen Einsatz zu zeigen und gerade in Matches für Deutschland alles reinzuhauen, was ich habe.
Du vermittelst Grundwerte wie Ehrlichkeit und Bodenständigkeit.
Danke, das fasse ich jetzt mal als Kompliment auf.
Woher kommt diese klare Haltung?
Ich denke, dass ich schon immer so war. Ich verstelle mich nicht.
Wie sehr hat sich dein persönliches Umfeld über die Jahre verändert?
Wenig. Ich halte mich, wenn ich in Deutschland bin, größtenteils in meiner Geburtsstadt Warstein und in der Heimat meiner Freundin, in Witten, auf. Meine Eltern wohnen nicht weit weg. Zu den alten Schulkameraden habe ich kaum Kontakt, aber meine besten Kumpels habe ich noch. Mein Nachbar von früher, mit dem ich aufgewachsen bin, gehört dazu. Und ein Freund, mit dem ich als Zehnjähriger zusammen Tennis gespielt habe. Mit den Beiden bin ich nicht ständig in Kontakt, aber das ist auch nicht nötig. Wenn wir uns sehen, ist alles so wie früher. Das bedeutet mir sehr viel.
Der Autor Felix Hutt, der auch eine Kolumne für das tennis MAGAZIN schreibt, hat dich als Mentalitätsmonster beschrieben. Was meint er damit?
Dass ich nie den Glauben an mich verloren und mich immer durchgebissen habe. Und er meint wahrscheinlich auch, dass ich auf dem Court eine positive Ausstrahlung habe. Ich weiß, dass dies nicht immer so war. Das hat sich erst in den letzten Jahren so entwickelt. Mir ist es wichtig, immer mit der richtigen Einstellung an mir zu arbeiten und auf dem Platz alles zu geben.
Kennst du sein Buch „Lucky Loser“?
Ja, das hat er mir mal geschenkt. Er beschreibt darin perfekt die Niederungen des Profitennis. Ich habe in dem Buch viel von dem wiederentdeckt, was ich in meinen Anfangsjahren als Profi selbst erlebt habe. Von beschissenen Plätzen, uralten Bällen, maroden Hotels, katastrophaler Turnierorganisation – das ist schon verrückt.
Boris Becker hat zu Beginn des Jahres beim ATP-Cup über dich gesagt: „Wenn ich einen Mann immer haben will, ob im Einzel oder Doppel, dann ist das Jan-Lennard Struff!“ Er scheint ziemlich begeistert von dir zu sein.
Mehr Wertschätzung kann man im deutschen Tennis wohl nicht bekommen. Das ehrt mich natürlich. Er sieht meine Qualitäten als Teamplayer und als Spieler, der alles für sein Land gibt. Boris ist eine Legende und mit ihm zu arbeiten, macht einfach richtig Spaß. Er hat wertvolle Tipps drauf und weiß, wovon er spricht.
Zu deiner Entwicklung gehört auch, dass du Themen abseits der Courts klar ansprichst. Anfang des Jahres hast du dich etwa für den Klimaschutz stark gemacht. Wie setzt du dich persönlich dafür ein?
Ich kompensiere meine Flüge und finanziere dadurch klimafreundliche Projekte. Natürlich könnte ich viel mehr machen – wie jeder andere auch. Mein Auto etwa stößt zu viel CO2 aus. Ich bin auch kein Klimaexperte, habe mich aber mit dem Thema beschäftigt und würde mir wünschen, dass sich mehr Menschen damit auseinandersetzen.
In einem Interview mit dem Spiegel hast du gesagt: „Vielen Profis ist der Klimaschutz letztlich scheißegal.“ Hast du darauf Rückmeldungen bekommen?
Null. Das lag wahrscheinlich daran, dass das Interview auf Deutsch war.
Worüber regst du dich in der Profiszene sonst noch auf?
Über die schlechten Manieren vieler junger und auch einiger älterer Spieler. Mein Profikollege Robin Haase hat das Thema einmal bei euch im tennis MAGAZIN angesprochen und hat damit völlig Recht. Es gibt viele, die keinen Respekt vor anderen Spielern und der Umwelt haben. Die lassen auf Trainingsplätzen einfach alles liegen – ihren Müll, abgespielte Bälle, verschlissene Griffbänder, etliche leere Plastik-Wasserflaschen. Interessiert die alles nicht. Wenn ich dann auf so einen Platz komme, werde ich wütend.
Bist du dann jemand, der die Spieler direkt darauf anspricht?
Es kommt eh immer die Standardantwort: Das war ich nicht, so sah es schon vorher hier aus.
Blicken wir mal nach vorne in die Zukunft. Wo würdest du am liebsten deinen ersten ATP-Titel gewinnen?
Gerne in Deutschland.
In Halle?
Das wäre toll, ist ja mein Heimturnier. Mein Problem ist nur, dass ich dort echt eine miese Bilanz bislang habe: erst ein Sieg bei sieben oder acht Teilnahmen.
Tommy Haas hat früher einmal gesagt, dass er solange spielen will, bis ihn seine erstgeborene Tochter bewusst als Tennisprofi erlebt. Könntest du dir das auch vorstellen?
Es ist grundsätzlich eine schöne Vorstellung, dass Henri mich als guten Tennisspieler noch sehen könnte. Ich müsste dann noch einige Jahre durchhalten. Aber ich will das nicht so plakativ kommunizieren und ihn da lieber raushalten. Es gibt von Henri keine öffentlichen Bilder, weil ich das nicht möchte. Er soll nicht übergangen werden, das fände ich respektlos. Ich kann das verstehen, wenn Eltern Fotos ihrer Kinder posten, aber für mich kommt das nicht in Frage.
Was steckt noch in dir? Mit 30 Jahren bist du doch im besten Tennisalter.
Die Sache mit dem Alter ist wirklich verrückt. Als ich 2009 anfing, habe ich mir mal die Mühe gemacht, dass Durchschnittsalter der Top 100-Spieler auszurechnen. Das lag damals bei knapp 26 Jahren. Ich nahm mir vor, spätestens in dem Alter selbst in den Top 100 zu stehen. Ich war dann etwas jünger, 23 und ein halbes Jahr etwa. Jetzt hat sich das alles so weit nach hinten verlagert. Allein wie stark die „Big Three“ sind – unfassbar. Aktuell stehe ich kurz vor den Top 30 und natürlich will ich noch mehr. Ich formuliere aber ungern konkrete Weltranglistenpositionen als Zielvorgabe.
Weil man dann zu sehr darauf festgenagelt wird?
Exakt. Wenn ich sage, ich will in die Top 20 kommen und verliere dann gegen einen vermeintlich nicht so starken Gegner, heißt es direkt: „Top 20 kann er vergessen, wenn er so spielt!“ Das will ich vermeiden, weil es nur Unruhe schafft. Aber klar ist, dass ich große Ambitionen habe. Platz 33 oder 34 reicht mir nicht.
Vita Jan-Lennard Struff
Kommt aus Warstein im Sauerland, Jahrgang 1990. Wurde 2009 Profi und beendete 2014 erstmals eine Saison in den Top 100 (Rang 59). Erreichte mit Platz 29 im Sommer 2020 seine bislang höchste Ranglistenposition. Aktuelles Ranking: 34. Gewann fünf Challenger-Turniere und drei ATP-Titel im Doppel. Spielte zehnmal für das deutsche Davis Cup-Team, erstmals 2015. Bilanz: 7:5-Einzelsiege, 4:0-Doppelsiege. Bestes Grand Slam-Resultat: Achtelfinale in Roland Garros 2019. Lebt in Warstein und Witten mit seiner Freundin Madeleine und dem einjährigen Sohn Henri. Luxury Online Shop | High-End Designer Fashion Store Shopping | JmksportShops | how often does nike release jordan 1