Jannik Sinner: „Die Rivalität mit Alcaraz kann richtig gut werden”
Jannik Sinner spricht im Interview über den Tennis-Boom in Italien, seine sportliche Entwicklung und künftige Duelle.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 12/2022.
Herr Sinner, das italienische Herrentennis boomt. Die ATP Finals finden in Turin statt, die NextGen Finals in Mailand. Dieses Jahr gab es neben Rom zwei weitere ATP-Turniere in Florenz und Neapel. Mit Ihnen, Matteo Berrettini und Lorenzo Musetti gibt es viele Topspieler. Wie nehmen Sie derzeit Tennis in Italien wahr?
Das ist eine tolle Entwicklung mit den vielen Events und Topspielern, die wir derzeit haben. Was man nicht vergessen darf: Wir haben auch viele Challenger- und Future-Turniere. Ein Italiener kann fast das komplette Jahr auf unteren Levels in der Heimat spielen und so auch leichter den Sprung auf die ATP-Tour schaffen. Junge Spieler bekommen Wildcards für die Turniere in Italien, können sich so mit den Besten messen und ihr Spiel verbessern. Die Struktur wird immer besser. Wir haben viele gute Trainer in Italien, die individuell auf die Spieler eingehen können.
Sie sind erst 21 Jahre alt, standen bereits in den Top 10 und sind neben Matteo Berrettini der große Star in Italien. Wie ist die Erwartungshaltung an Sie in Italien?
In Italien ist der Druck schon groß, aber das ist auch normal, wenn man in jungen Jahren in der Weltrangliste so weit oben steht. Die Fans erwarten sehr viel von mir. Die größte Erwartung kommt aber von mir. Ich möchte immer gewinnen, ich möchte immer besser werden. Was die anderen sagen, kommt an zweiter Stelle.
Jannik Sinner: „Die Fans unterstützen bedingungslos“
Sie kommen aus Südtirol. Andreas Seppi kommt ebenfalls aus Südtirol. Er hat lange Zeit das italienische Herrentennis mit nach vorne gebracht. War Seppi eine Art Mentor für Sie?
Andreas ist ein feiner Kerl und ein guter Freund. Als ich auf der Tour angefangen habe, konnte ich stets zu ihm gehen und Fragen zu meinem Spiel stellen. Er hat mir gerne Tipps gegeben, was ich besser machen kann. Als junger Spieler ist es immer gut, wenn es so eine Unterstützung gibt, wenn man sich noch etwas unsicher im Circuit fühlt.
Letztes Jahr fanden die ATP Finals erstmals in Turin statt. Sie kamen als Ersatzspieler für Matteo Berrettini zweimal zum Einsatz. Wie haben Sie die Atmosphäre wahrgenommen?
Es war eine coole Atmosphäre. Aus italienischer Sicht wäre es besser gewesen, wenn sich jemand anderes verletzt hätte, dann wären zwei Italiener dabei gewesen. Ich habe sehr gut gespielt in Turin, gegen Hubert Hurkacz klar gewonnen und gegen Daniil Medvedev mit zwei Matchbällen im Tiebreak des dritten Satzes verloren. Die Atmosphäre war wie im Davis Cup, weil die Fans einen bedingungslos unterstützen.
In Wimbledon spielten Sie sehr stark. Im Viertelfinale führten Sie gegen den späten Sieger Novak Djokovic 2:0 in den Sätzen. Ist zu diesem Zeitpunkt etwas passiert in Ihrem Kopf?
Eigentlich ist da nicht viel passiert. Mir war klar, dass ein Satz sehr lang sein kann. Ich habe probiert, so weiterzuspielen wie bisher. Novak hat sein Level extrem angehoben. Das musste er auch tun, sonst hätte er sehr wahrscheinlich gegen mich verloren. Im fünften Satz habe ich alles richtig gemacht, bloß die entscheidenden Schläge nicht richtig platziert. Das ist normal, wenn man gegen Djokovic spielt. Das ist seine Qualität: sein Level steigern und dann Vollgas geben. Er hat eindrucksvoll gezeigt, warum er 21 Grand Slams gewonnen hat.
Jannik Sinner: „Ich kann in der Physis noch einiges verbessern“
Sie haben in Wimbledon im Achtelfinale gegen Carlos Alcaraz gewonnen, kurz darauf auch im Finale in Umag. Bei den US Open haben Sie ein fantastisches Match gegen ihn verloren. Glauben Sie, dass Sinner gegen Alcaraz die Rivalität der Zukunft auf der ATP-Tour werden kann?
Ich wünsche mir, dass es passiert. Unsere Rivalität kann richtig gut werden. Wir beide sind gute Typen und auch gute Spieler, die ein sehr hohes Level spielen können. Carlos ist in seiner Entwicklung noch vor mir, obwohl er jünger ist. Er ist ein Ausnahmetalent. Physisch sowie bei den Schlägen ist er bereits ausgewachsen.
Sie haben gesagt, dass Sie derzeit nicht auf die Weltranglistenposition schauen, sondern ein vollständiger Spieler werden möchten. In welchen Bereichen können Sie sich noch verbessern?
Ich kann mich vor allem bei der Physis noch um einiges verbessern. Wenn ich noch etwas kräftiger werden würde, dann würden mir viele Dinge leichter fallen. In den Wochen ohne Turnier mache ich viel Fitnesstraining. An meinem Aufschlag habe ich extrem gearbeitet, bei dem immer noch viel Potential ist, genauso wie beim Volley. Wenn ich ehrlich bin, muss ich mich in jedem Bereich verbessern. Ich brauche auch mehr Spielpraxis, weil ich als Junior nicht allzu viele Matches bestritten habe. Mal schauen, wo ich in ein bis zwei Jahren stehe. Ich weiß, dass ich Turniere gewinnen kann. Das habe ich schon gezeigt. Um die großen Turniere zu gewinnen, braucht es vor allem Spielpraxis und auch Rückschläge. Da sind solche Niederlagen mit 2:0-Satzführung wie gegen Djokovic in Wimbledon hilfreich.
Jannik Sinner: „Federer war immer mein Idol“
Mit Darren Cahill, dem Ex-Trainer von Andre Agassi, Lleyton Hewitt und Simona Halep, haben Sie nun einen erfahrenen Coach an Ihrer Seite. Was versprechen Sie sich von der Zusammenarbeit?
Zuallererst ist Darren ein sehr feiner Mensch. Mein gesamtes Team kommt gut mit ihm aus. Das ist das Wichtigste. Er hat viele verschiedene Spieler und Spielerinnen trainiert, von jung bis alt. Wir beide glauben, dass daraus etwas richtig Gutes entstehen kann. Der Glaube steht ohnehin immer an der ersten Stelle.
Sie sagten neulich, dass Sie gerne einen Tag lang Roger Federer sein möchten. Woher kommt dieser Wunsch?
Es muss herrlich sein, wenn man so leicht und elegant Tennis spielt. Auch wie entspannt er abseits des Platzes mit allem umgeht. Er hat ein sehr gutes Gleichgewicht zwischen Training und Freizeit. Er war immer mein Idol. Ich habe gehofft, dass er noch weiterspielt und ich die Chance bekomme, gegen ihn zu spielen. Denn Roger fehlte noch auf meiner Liste. Leider wird das nicht mehr passieren.
Jannik Sinner: „Die Corona-Zeit war nicht leicht“
Sie waren einer der besten Skifahrer in der Jugend in Italien und hätten auch eine Karriere im Ski einschlagen können. Fahren Sie privat noch Ski oder ist die Verletzungsgefahr mittlerweile zu groß?
Für mich als Südtiroler ist es normal, Ski zu fahren. Ich mache das weiterhin. Es ist immer schön, mit ein paar Freunden einige Tage auf der Piste zu sein, mit den Brettern runterzufahren und dabei nicht viel nachzudenken. Dennoch muss ich jetzt beim Fahren viel mehr aufpassen, als ich zwölf oder 13 Jahre alt war.
Sie haben zu Beginn der Corona-Pandemie Spenden gesammelt. Wie hat Sie die Corona-Lage in Italien beeinflusst?
Italien war zu Beginn der Pandemie eine rote Zone. In Bergamo war die Situation dramatisch. Die Krankenhäuser waren überfüllt, es musste ein neues Krankenhaus gebaut werden. Ich habe etwas Geld gespendet. Das war nicht der Rede wert. Das Wichtigste ist, dass man hilft, mit dem, was man hat. Die Corona-Zeit ist immer noch nicht vorbei. Die Situation ist aber nun deutlich entspannter.
Wie haben Sie den Beginn von Corona wahrgenommen, als alle Turniere abgesagt wurden. War es gut, um an seinem Spiel zur arbeiten oder schlecht, weil man sich keine Matchhärte erarbeiten konnte?
Das war in beiderlei Hinsicht eine Herausforderung. Man hat stets trainiert, ohne zu wissen, wann das nächste Turnier stattfindet. Die Zeit war nicht leicht, weil die Trainingsbedingungen nicht ideal waren. Ich habe immer das Positive gesehen, ich bin gesund, habe nichts gespürt und konnte zu Hause ganz normal weitertrainieren. Das einzige, was fehlte, war eben die Matchpraxis.
Gibt es einen Ratschlag fürs Leben, den Sie bekommen haben?
Wenn man Lust hat, etwas zu tun, dann soll man es machen. Ich bin immer nach dieser Devise verfahren. Wenn ich Lust auf Skifahren hatte, dann bin ich Ski gefahren. Dann habe ich Tennis gespielt, weil ich es mag. Auf dem Weg zum Topspieler muss man manchmal Sachen machen, die man nicht tun möchte. In der Freizeit sollte man aber das tun, wonach einem ist und versuchen, so frei wie möglich zu leben.
Vita Jannik Sinner
Der Italiener, 21, aus Sexten, Südtirol, ist derzeit die Nummer eins in Italien (bestes ATP-Ranking: 9) und gewann bislang sechs ATP-Titel. Er erreichte bei allen Grand Slam-Turnieren das Viertelfinale. In Wimbledon (gegen Novak Djokovic) und den US Open (gegen Carlos Alcaraz) scheiterte er im Viertelfinale nach großem Kampf in fünf Sätzen. Er war als Jugendlicher einer der besten Nachwuchsskifahrer Italiens und spielte Tennis nur nebenbei. Mit 13 Jahren ging er in die Tennis-Akademie von Riccardo Piatti nach Bordighera und entwickelte sich dort zum Weltklassespieler.
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