Marketa Vondrousova

Frau für die großen Turniere: Nach dem Finale bei den French Open 2019 und Olympiasilber 2021 gelang Marketa Vondrousova in Wimbledon 2023 der große Sieg. ©Imago/Susan Mullane

Marketa Vondrousova: „Der Doppelfehler beim Matchball hat geholfen”

Die Tschechin Marketa Vondrousova gewann 2023 sensationell in Wimbledon. Wir haben mit ihr gesprochen – über Probleme auf Rasen, ihre sportverrückte Familie und die Tattoo-Wette mit ihrem Coach.

Interview: Florian Goosmann

Frau Vondrousova, Sie haben im vergangenen Jahr völlig überraschend Wimbledon gewonnen. Wie hat sich Ihr Leben ­seither verändert?

Es hat sich sehr verändert, vor allem in Tschechien. Ich spüre dort mehr Druck, mich kennen mehr Leute als ­früher. Es ist schön zu erleben, wie speziell ­Kinder zu einem aufschauen. Überhaupt war alles sehr verrückt. Ich hatte vorher kaum ein Spiel auf Rasen gewonnen und erinnere mich noch an die Zeit nach den French Open. Da habe ich zu meinem Trainer gesagt: „Jetzt kann ich ohne Druck ein paar Turniere auf Gras spielen.“

Und dann haben Sie plötzlich angefangen zu gewinnen.

Ich habe in Berlin ein paar gute Matches gespielt, im Doppel das Endspiel erreicht. Da dachte ich schon, okay, vielleicht kann ich auch in Wimbledon ein paar Runden überstehen. Bis dahin hatte ich dort nur ein Match in meiner gesamten Laufbahn gewonnen. 

Warum war es so schwierig für Sie, gut auf Rasen zu spielen?

Ich habe mich auf Rasen nicht sonderlich gut bewegt. Ich war es gewohnt, mich sehr schnell zu bewegen, auf Sand und auf Hartplatz. Aber ich konnte in Tschechien etwas auf Rasen spielen – nicht auf demselben wie in Wimbledon, aber es hat mir bei der Bewegung geholfen. Ich habe eigentlich kaum trainiert, aber viele Punkte und ein paar Sätze gespielt. Ich habe mich an die schnellen Ballwechsel gewöhnt, mit Volleys abgeschlossen. Dabei habe ich meinen Stil auf Rasen entdeckt. Ich hatte im vergangenen Jahr zudem das Gefühl, dass mir mein Slice sehr hilft, vor allem beim Return. Es ist alles zusammengekommen. 

Die Rasensaison dauert nur ein paar Wochen, speziell jüngere Profis haben oft Probleme – vielleicht, weil sie in ihrem Leben noch nicht allzu viel auf Gras gespielt haben?

Das stimmt. Es ist zum einen diese andere Art, sich zu bewegen. Aber auch der Kopf. Man muss lernen, ruhig zu bleiben – weil man oft weiß: einmal den Aufschlag ver­lieren und das war’s. 

Marketa Vondrousova

Mit links: MarketaVondrousova ist die dritte linkshändige Wimbledonsiegerin aus Tschechien nach Martina Navratilova und Petra Kvitova. ©Imago/Charlotte Wilson

Gab es in Wimbledon diesen einen Moment, in dem Sie dachten: „Verdammt, ich kann das ganze Turnier gewinnen!“

Solche Selbstgespräche führe ich nicht (überlegt). Aber als ich Donna Vekic geschlagen habe und in die zweite Woche eingezogen bin, wollte ich noch weiterkommen. Wenn man mal die zweite Woche bei einem Grand Slam-Turnier erreicht hat, weiß man nie, was passieren kann. Ich habe mich das gesamte Turnier über toll gefühlt, aber dass es zum Titel reichen könnte, darüber habe ich nicht nachgedacht. 

Im Finale haben Sie sehr cool gewirkt, während Ihre Gegnerin Ons Jabeur nervös war. Wie sah es innerlich bei Ihnen aus?

Das Finale bei den French Open im Jahr 2019 hat mir sehr geholfen. Ebenso die Olympischen Spiele in Tokio im Jahr 2021 (Anm. d. Red.: Dort gewann Vondrousova die Silbermedaille). Das Endspiel in Wimbledon zu erreichen, war schon ein toller Erfolg. Ich bin mit dem Gedanken ins Spiel gegangen, es einfach zu genießen. Denn in Paris war ich sehr nervös, das Spiel lief zu schnell weg. Ich habe in Wimbledon versucht, anders mit dieser besonderen Situation umzugehen.  

Es hilft also tatsächlich, ein solches Erlebnis schon mal durchgemacht zu haben?

Es bereitet einen besser vor. Allerdings bin ich extrem nervös geworden, nachdem ich Ons zum 5:4 im zweiten Satz gebreakt hatte. Da wusste ich: Okay, jetzt musst du ausservieren! Ich lag dann mit 40:0 vorne und war völlig erledigt! Dann habe ich einen Doppelfehler fabriziert. Er hat mir verrückterweise geholfen, wieder ruhiger zu werden. Ich dachte dann: Okay, jetzt einfach aufschlagen und aggressiv bleiben.

Ein paar Minuten später haben Sie die berühmte Siegerinnenschale in den Händen gehalten. Wo bewahren Sie Ihr Exemplar auf?

Die Schale steht in meinem Wohnzimmer. Ich hatte sie tatsächlich lange Zeit in einer Kiste und habe sie erst vor ein paar Wochen ausgepackt. Sie ist nur etwas kleiner als die echte. Es ist ein schönes Gefühl, sie zu sehen, wenn ich nach Hause komme. Dann denke ich immer: Oh, das ist ja tatsächlich passiert!

Über dem Eingang zum Centre Court in Wimbledon hängt die berühmte Tafel mit dem Auszug des Gedichts „If“ von Rudyard Kipling: „If you can meet with Triumph and Desaster / and treat those two imposters just the same.“ Übersetzt: „Wenn du Siege und Niederlagen aushältst / Und beide Hochstapler gleichbehandelst.“ Wie gut können Sie mit Niederlagen umgehen?

Besser als früher. Wenn man älter wird, geht man anders damit um. Natürlich sind manche Niederlagen einerseits schwer zu verarbeiten, andererseits spielen wir Tennisspieler jede Woche. Bei den Olympischen Spielen habe ich ein paar Athleten erlebt, die nur alle vier Jahre einen großen Wettkampf haben. Wenn wir hingegen ein Match verlieren, spielen wir eineWoche später ein neues. Ich habe herausgefunden, dass es mir nicht guttut, traurig zu sein nach Niederlagen. 

Sie kommen aus einer sehr sportlichen Familie: Ihr Opa hat erfolgreich antiken Fünfkampf betrieben, Ihre Mutter war Volleyballprofi. Sie selbst haben in Ihrer Kindheit viel ausprobiert – Skifahren, Fußball, Tischtennis, Floorball. Was hat den Ausschlag für Tennis gegeben?

Mein Vater hat mich zum Tennis gebracht. Er wusste nicht so recht, was er mit mir als Mädchen machen soll (lacht). Aber ja, ich habe viel Sport betrieben. Leichtathletik ebenso. Ich war ein sehr aktives Kind, da hatten meine Eltern irgendwann genug von mir (lacht).

Man musste Sie irgendwie müde bekommen für den Abend?

(lacht) Ja, deshalb die vielen Sportarten. Mit 15 Jahren bin ich dann nach Prag gegangen, dort ging es mit dem Tennis richtig los. Aber meine Eltern haben mich nie zu irgendetwas gezwungen, nie Druck ausgeübt. Es lag an mir zu entscheiden, was ich tun möchte. 

Haben Ihr Großvater oder Ihre ­Mutter Ihnen klargemacht, wie viel Disziplin es braucht, um es nach ganz oben zu schaffen?

Die Disziplin hatte ich schon in mir drin, bereits als kleines Mädchen. Ich hatte großen Spaß beim Tennis, musste nie zum Training gezwungen werden.

Marketa Vondrousova

Das geht unter die Haut: Marketa Vondrousova hat eine
große Vorliebe für Tattoos. ©Imago/Javier Garcia

Auf der Tour sind Sie bekannt für Ihre vielen Tattoos. In Wimbledon hatten Sie erzählt, dass Ihr Coach auch eines bekommen würde, wenn Sie gewinnen. Hat er?

Oh ja, in New York, im Rahmen der US Open. Wir haben uns beide das Datum des Wimbledon-Endspiels stechen lassen. 

Wie viele Tattoos haben Sie eigentlich insgesamt?

Ich? Oje, keine Ahnung, ich zähle nicht mit. Aber ich habe mir auch eines gemeinsam mit meiner Schwester machen lassen, ebenfalls mit Bezug auf Wimbledon. Ein kleines W – eine schöne Erinnerung.

Vita Marketa Vondrousova

Marketa Vondrousova hat mit vier Jahren mit Tennis begonnen, als Juniorin schaffte sie es bis auf Platz eins im Ranking. 2014 gab sie ihr Profidebüt. 2019 erreichte sie überraschend mit nur 19 Jahren das Finale der French Open, das sie gegen Ashleigh Barty verlor. Bei den Olympischen Spielen 2021 gewann sie Silber. Ihr größter Erfolg: der Wimbledontitel 2023. Ihr bestes WTA-Ranking: Platz 6. Vondrousova ist verheiratet, gab jedoch kürzlich bekannt, sich von Ehemann Stepan Simek getrennt zu haben.