„Meine grauen Haare brachten mir Respekt“
Mister Martin, Sie …
Moment! Ich muss Sie unterbrechen. Wie groß sind Sie?
Ich? Zwei Meter und fünf.
Wow! Eigentlich gebe ich Personen, die größer sind als ich, keine Interviews. Ich bin nur knapp zwei Meter groß.
Wir können uns hinsetzen, da fällt der Größenunterschied nicht so auf.
Das ist erniedrigend für mich (lacht laut). Also gut, was wollen Sie von mir wissen?
Sind Sie der beste Spieler, der niemals ein Grand Slam-Turnier gewann?
Das denke ich nicht, auch wenn ich das recht oft zu hören bekomme. Ich hatte meine Chancen, zumindest einen großen Titel zu holen. Zweimal schaffte ich es bis ins Endspiel eines Grand Slam-Turniers, in Melbourne und in New York. Ich war die Nummer vier der Welt, gewann den Davis Cup. Aber es gibt einige Profis, die großartig spielen oder gespielt haben und nie ein großes Turnier gewannen. Marcelo Rios, David Nalbandian, Mark Philippoussis wenn man darüber nachdenkt, gibt es schon einige. Ich würde nicht von mir behaupten, dass ich in dieser Gruppe der Beste bin. Das ist eine müßige Diskussion.
Ihre Landsleute Sampras und Agassi räumten damals die Titel ab. Wie war es für Sie, mit den beiden aufzuwachsen?
Als wir Junioren waren, spielten Pete und Andre in einer ganz anderen Liga als ich. Mit zwölf Jahren war es bei den beiden absehbar, dass sie Profis werden würden. Ich dagegen spielte einfach nur zum Spaß. Sie hätten mich ausgelacht, wenn ich gegen sie hätte spielen müssen. Ich war ohne jede Chance.
Später, als Profi, gewannen Sie gegen beide.
Manchmal, das stimmt. Es war ein Vorteil, dass ich mich im Schatten der beiden entfalten konnte. Ich habe oft mit ihnen trainiert, das hat viel gebracht. Unterm Strich waren sie aber bessere Tennisspieler als ich. Deswegen hat es mich nicht überrascht, dass ich oft gegen sie verlor.
Wie unterscheidet sich Ihre Generation von den aktuellen Profis in den USA?
Die Jungs heute verstehen sich viel besser als wir. Sie spielen nicht so oft gegeneinander wie wir früher. Wir waren damals vor allem Konkurrenten. Andy Roddick, Mardy Fish, John Isner und Sam Querrey sind sehr gute Kumpels. Das hemmt ihre Entwicklung.
Steht das US-Herrentennis deswegen so schlecht da wie seit Jahrzehnten nicht?
Nein, nicht nur. Der Hauptgrund ist, dass Tennis ein globales Spiel geworden ist. Die Masse an guten Spielern hat zugenommen.
Das US-Tennis stagniert und wird vom Rest der Welt überholt?
Die Tennismacht USA gibt es nicht mehr. Aber das, was wir erleben, spielt sich auch in anderen etablierten Tennisnationen ab. Denken Sie an Schweden, Australien oder Deutschland. Auch dort sind absolute Topspieler heutzutage Mangelware.
Woran liegt das?
In den USA bilden wir die Spieler falsch aus und vermitteln ihnen illusorische Werte, weil unsere Kultur zu satt ist. Es geht vielen darum, mit wenig Aufwand möglichst viel zu erreichen. Aber es reicht eben nicht, wenn Spieler eine Woche lang hart trainieren und dann glauben, sie wären fit für die Tour. Es geht heute im Tennis mehr denn je vor allem um Leidenschaft, um Willenskraft, um den Wunsch, der Beste zu werden.
Haben Sie früher als Profi so gelebt?
Mein Leben kreiste damals nur um einen Gedanken: Wie kann ich besser werden? Ich dachte daran, als ich aufwachte, beim Frühstück, beim Mittagessen, vor dem Schlafengehen immer. Es ging mir nur darum, ein besserer Tennisspieler zu werden. Alles andere interessierte mich nicht.
Übertreiben Sie nicht ein wenig?
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich hatte kein eindimensionales Leben. Aber Tennis stand über allem. Diese Kompromisslosigkeit vermisse ich bei der heutigen Spielergeneration. Sie lässt sich zu leicht ablenken.
Wird Ryan Harrison, der als nächster US-Tennisstar gehandelt wird, Ihren sehr hohen Ansprüchen gerecht?
Meine Erwartungen an die Spieler sind nicht überzogen, sondern sie ergeben sich aus den heutigen Anforderungen im Profitennis. Ryan Harrison hat das, glaube ich, verstanden. Er ist erst 18 Jahre alt, aber mit welcher Hingabe er für Tennis lebt, ist bemerkenswert. Ich liebe ihn für seine Einstellung und für seine Spielweise. Er attackiert oft, geht viel nach vorne, spielt manchmal Serve-and-Volley herrlich.
Ist diese Spielweise nicht tot?
Im Moment vielleicht, aber sie wird bald wieder populär.
Was macht Sie da so sicher?
Weil das die normale Entwicklung ist. Alles wiederholt sich irgendwann und kommt zurück. Deswegen wird eines Tages auch Serve-and-Volley wieder mehr gespielt werden. Gerade ist aggressives Grundlinientennis angesagt, aber das ist nur eine Momentaufnahme. Das ist es, was ich als Tenniscoach versuche, an meine Spieler zu vermitteln: stetige Weiterentwicklung.
Scheiterte daran Ihre Zusammenarbeit mit Novak Djokovic, der Sie als Coach im April 2010 entließ?
Wir haben uns getrennt, weil wir andere Auffassungen davon hatten, wie Novak ein noch besserer Spieler werden kann.
Der beste deutsche Profi, Philipp Kohlschreiber, suchte lange einen erfahrenen Coach. Er hat Sie gefragt?
Wir hatten Kontakt, ja. Nach meiner Erfahrung mit Novak habe ich aber festgestellt, dass ich eher ein klassischer Tennislehrer für junge Spieler bin, die auf dem Sprung ins Profitennis sind. Das Coaching von absoluten Weltklasse-spielern liegt mir nicht so.
Was halten Sie von Kohlschreiber?
Er ist ein exzellenter Spieler, keine Frage. Sein Spiel ist komplett, er ist ehrgeizig und äußerst fit.
Warum stand seine Entwicklung dann zwei Jahre lang still?
Ich denke, dass er sich zu lange im gleichen Umfeld bewegte. Das förderte nicht gerade seine Karriere. Seine Fähigkeiten werden unterschätzt. Wenn er sich einen Betreuerstab aufbauen kann, der ihm den Glauben an seine Stärken zurückbringt, ist er ein Mann für die ersten zehn in der Weltrangliste.
Er wäre der erste deutsche Profi in den Top Ten seit Tommy Haas 2007.
Sehen Sie! Die großen Tennisnationen haben alle zu kämpfen. In Amerika ging im Vorfeld der US Open 2010 ein Riesenaufschrei durchs Land, weil wir zum ersten Mal seit 37 Jahren keinen Spieler in den Top Ten hatten, nachdem Andy Roddick auf Platz elf abgerutscht war ein Drama!
Erstaunlich, dass Tennis in denUSA dennoch so beliebt ist.
Wie kommen Sie denn darauf?
Der amerikanische Verband verkündete doch gerade, dass es in den USA mit 30 Millionen Tennisspielern so viele Aktive wie seit 25 Jahren nicht mehr geben würde.
Ganz ehrlich: Ich kann das nicht glauben und frage mich, wie der Verband seine Daten erhebt. Es mag vielleicht stimmen, aber wo sind diese Spieler denn? Was ich in den USA sehe, wenn ich unterwegs bin, sind vor allem leere Courts und verwaiste Clubs.
John McEnroe hat jetzt eine eigene Tennisakademie in New York gegründet.Wäre das auch etwas für Sie?
John verfolgt einen interessanten Ansatz, indem er nur Kinder aus der Region aufnehmen will. Es soll so niemand aus seinem gewohnten Umfeld gerissen werden, um an seiner Akademie zu trainieren das gefällt mir. Eine eigene Akademie wäre im Moment allerdings nichts für mich.
Warum nicht?
Ich habe drei Kinder, um die ich mich kümmern will. Eine Akademie erfordert einen Einsatz rund um die Uhr. Das wäre mir zu viel. Ich stelle meine Dienste als Trainer und Berater lieber nur stundenweise zur Verfügung.
Wer nimmt diese denn in Anspruch?
Der amerikanische Verband, aber auch Privatpersonen.
Das heißt: Jeder kann bei Ihnen eine Trainerstunde buchen?
Im Prinzip ja. Aber ich nehme nicht jedes Angebot an (lacht).
Was machen Sie sonst noch?
Das, was jeder US-Profi macht, der früher halbwegs erfolgreich war: Ich kommentiere Tennismatches für den Sportsender ESPN. Ich bin aber nicht an vorderster Front tätig, sondern arbeite für das Internetangebot.
Zurück zur Körpergröße: Sie gehörten früher zu den größten Profis, heute würden Sie kaum auffallen. Warum gibt es gerade jetzt so viele gute Zwei-Meter-Spieler?
Tennisspieler sind heute größer, weil die Menschheit im Allgemeinen größer wird. Es gibt aber auch einige Veränderungen im Tennis, die es den größeren Spielern erleichtern, gut zu spielen. Teppichböden oder weiche Rasenplätze, auf denen der Ball extrem tief abspringt, gibt es auf der Tour nicht mehr. Es wird heute mit viel mehr Topspin gespielt, wodurch die Bälle einen hohen Absprung bekommen. Das ist ideal für lange Kerle. John Isner etwa kommt mit dem Extremdrall in den Schlägen von Rafael Nadal besser zurecht als kleinere Profis.
War es eigentlich für Sie ein Problem, dass Sie als junger Profi mit 20 Jahren schon graue Haare bekamen?
Das hat mich noch keiner gefragt! Ich muss hier kleinlich sein: Meine ersten grauen Haare bekam ich erst mit 23 Jahren (lacht). Das war aber nie ein Problem für mich. Graue Haare stehen in den USA für vornehme und ehrbare Personen. Insofern habe ich durch meine Haarfarbe auf dem Platz Respekt ausgestrahlt.
Bekamen Sie deswegen den Spitznamen Professor?
Nein, den erhielt ich, weil ich so langsam redete und immer viel nachdachte, bevor ich sprach.
Das Gespräch führte Tim Böseler
Geburtstag: 8. Juli 1970
Geburtsort: Hindsdale, USA
Wohnort: Ponte Vedra Beach, USA
Größe: 1,98 Meter
Gewicht: 91 Kilogramm
Schlagarm: rechts
Profi: von 1990 bis 2004
Preisgeld: 8254455 Dollar
Bestes Ranking: 4 (13. 9. 1999)
Größte Erfolge: 8 Einzeltitel, 12 Finals (u.a. Australian Open 1994, US Open 1999), Davis Cup-Sieg 1995, 5 Doppeltitel.
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