Roger Federer im Interview: „Es geht nicht nur um die Grand Slams”
Er ist der Mann der Rekorde, der immer noch in neue Sphären vorstößt: Roger Federer. tennis MAGAZIN sprach mit dem Schweizer über Pläne, seine Familie und den perfekten Profi.
Herr Federer, Sie haben etliche Rekorde gebrochen. Schielen Sie noch auf weitere Bestmarken? Zum Beispiel die von Jimmy Connors bei der Anzahl der Titel und Gesamtsiege.
Ich glaube, entweder passiert es oder es passiert nicht. Wenn das wirklich mein oberstes Ziel wäre, dann würde ich viel mehr kleinere Turniere spielen. Im Extremfall alle Masters 1000-Events auslassen und nur noch 250er- und 500er-Turniere bestreiten. Sollte ich die Turniere tatsächlich knacken, dann liegt es daran, dass ich ganz lange und sehr erfolgreich spiele. Sonst sind diese Bestmarken nicht einzuholen. Aber ganz ehrlich: Ich beschäftige mich zur Zeit nicht mit Rekorden. Sie kommen von alleine – wie die älteste Nummer eins.
Wie lange hält das Glücksgefühl nach einem Titel wie bei den Australian Open 2018 an?
Letztes Jahr sehr lange. Eigentlich von Australien bis Wimbledon. Und dann von Wimbledon bis Australien wieder. Darum habe ich das Jahr auch als sehr kurz empfunden. Klar brauchte ich die Siege wie in Halle, Indian Wells, Miami, Shanghai und Basel, die mich noch weiter auf dieser Welle haben reiten lassen. Dieses Jahr war bisher alles viel einfacher. Direkt nach Melbourne habe ich die Situation mit der Nummer eins abgecheckt. Letztes Jahr war klar, dass ich mich erst einmal erholen muss, weil ich am Oberschenkel verletzt war. Diesmal ging es vor allem darum, wie bekomme ich meinen Terminplan mit der Familie koordiniert. Ich wusste, nach Rotterdam würde sie nicht kommen, nach Dubai wahrscheinlich auch nicht. Dann fängt die ganze Mathematik an, zwischen den Tagen hin und her zu rechnen. Wie lange bin ich von den Kindern weg? Bekomme ich alles unter einen Hut? Wenn es dann so läuft wie in Rotterdam mit einer ausverkauften Halle, ist es perfekt. Ein paar Tage später ist man zu Hause und alle gratulieren dir. Manchmal kommt man von einer langen Reise zurück und keiner beglückwünscht einen, weil die Siege schon so lange her sind.
Sind die Olympischen Spiele 2020 in Tokio ein Thema?
Das ist gar nicht mehr bei mir im Kopf drin. Wenn es den Moment gibt, bei dem ich mich entscheiden muss zu spielen oder nicht, dann ist das super. Es ist kein Ziel, wie es London oder Rio war. Damals dachten die Leute, ich höre schon vor 2012 auf. Ich habe gesagt, bis dahin spiele ich sicher. Mit Rio war es die gleiche Situation. Ich konnte den langen Vorlauf nutzen, um den Leuten zu zeigen, dass mit mir noch lange zu rechnen ist. Aber ich will nicht wieder zweieinhalb Jahre vorausdenken. Es könnte sein und es wäre cool, aber ich beschäftige mich nicht groß mit Tokio.
Ihr ehemaliger Trainer Stefan Edberg hat eine Karriere mit einem Abschiedsjahr ausklingen lassen. Wäre das etwas für Sie?
Das würde ich ausschließen. Da hat Stefan selbst mir auch total von abgeraten. Denn du möchtest nicht ein ganzes Jahr lang bei jedem Turnier verabschiedet werden. Beim vierten Turnier denkt man sich: ‘Oh Gott, und schon wieder’ und dann hört man hundertmal die gleiche Rede. Ich verstehe die Idee dahinter, aber ich glaube, er war danach total ausgepumpt und zum Schluss macht es dann auch keinen Spaß mehr. Es muss bei so einer Entscheidung alles passen. Der Unterschied ist auch: Stefan war wesentlich jünger als ich.
Wie lautet Ihr Erfolgsrezept?
Die Lust, sich verbessern zu wollen, den Gleichstand als Rückschritt anzusehen, Demut zu haben und zu wissen, was man noch besser machen kann. Gleichzeitig auch positiv denken und ehrlich zu sich selbst sein. Die Kämpfernatur, sich im Training und im Match überwinden zu können, hat mir sicher schon etliche Siege gebracht.
Wenn man so viel gewonnen hat wie Sie, kann man sich dann überhaupt noch sportliche Ziele setzen?
Ja, auf jeden Fall. Man weiß ja, was möglich ist. Man ist realistisch im negativen wie im positiven Sinne. Man kennt ja die eigenen Stärken und Schwächen im Spiel und in der Persönlichkeit. Sich immer wieder Ziele zu setzen, ist kein Problem.
Worin liegt der Reiz, dass Sie immer noch spielen? Sind es die Bestmarken, die Sie noch knacken wollen, das Spiel als solches oder das Erlebnis vor 15.000 Zuschauern auf dem Platz zu stehen?
Das kann man nicht auf einen Punkt bringen. Es muss ein bisschen von allem sein. Vielleicht auch um mir zu beweisen, dass ich 15 Jahre nach meinem ersten Grand Slam-Turnier noch einmal ein großes Turnier gewinnen kann. Ich habe das Gefühl, dass ich heute anders spiele als noch vor drei oder vier Jahren. Ich möchte sehen, wie weit ich mich noch entwickeln kann. Nach meiner Verletzung war es ohnehin eine Neuorientierung, wie ich den nächsten Schritt angehe. Ich habe im Laufe der Jahre auch immer wieder neuen Input von meinen Coaches bekommen. Das umzusetzen, reizt mich immer wieder. Das Ganze mit der Familie auf die Beine zu bekommen, ist auch höchstsinteressant. Dazu kommen Siege gegen Topspieler, Titel, die Vorbereitung auf Wimbledon und die ganz großen Turniere, die mir auch heute noch wichtig sind. Ich spiele weniger Turniere, aber sie haben Priorität für mich. Wichtig ist auch der Spaß am Training.
Ist der immer noch so groß wie am Anfang?
Ja, ich trainiere einfach gerne. Ein Training wie zu Beginn beim Turnier von Rotterdam, bei dem ich 45 Minuten Bälle schlage, ist ein wenig wie ein Wasserhahn, den man nur ganz wenig aufdreht. Es plätschert so dahin, aber es passiert eigentlich nichts. Man verbessert sich nicht. Man macht es, um sich an den Platz zu gewöhnen und sich zu beruhigen.
Hatten Sie nach Ihrer Verletzung 2016 Zweifel, ob Sie Ihr Topniveau noch einmal erreichen könnten?
Ja, das ist auch total normal. Man weiß nie, was nach einer Operation kommt. Egal, wie klein oder wie groß der Eingriff ist, es bleibt immer ein Restrisiko. Man muss geduldig sein, seinem Team und dem Prozess vertrauen. Es war eine interessante Zeit für mich. Ich habe viel über mich gelernt. Die Zweifel waren natürlich da und auch berechtigt. Ich wusste, dass ich sicherlich noch mal Turniere spielen werde, davon war ich überzeugt. Drei erfolgreiche Turniere hätte ich mir zugetraut, auch wenn das Knie nicht richtig gewollt hätte. Die Angst, dass ich nie wieder Tennis spiele, die war nicht da. Aber die Frage war: Wie lange noch? Als ich die Entscheidung getroffen habe, sechs Monate Pause zu machen, hatte ich schon das Gefühl, dass das viel Zeit ist. Aber ich wusste, dass ich irgendwann wieder bei hundert Prozent sein würde. Deshalb war ich guten Mutes.
Haben Sie im Zusammenhang mit der Verletzung Ihr Gewicht reduziert? Sie sehen noch schlanker aus als in den letzten beiden Jahren.
Danke für das Kompliment! Ich habe nicht unbedingt darauf geschaut, dass ich Gewicht verlieren würde. Aber ich habe das Gefühl, dass ich im Gesicht ein bisschen schlanker geworden bin. Als ich zwanzig Jahre alt war, hatte ich noch ein Babyface. Im Verlauf der Jahre bekommt man etwas markantere Gesichtszüge. Aber es stimmt schon: Wenn man nicht so viel trainieren und Matches spielen kann, musst du darauf achten, was du zu dir nimmst.
Damit Sie nicht an Gewicht zulegen?
Genau. Aber zum Glück habe ich auch weniger Hunger, wenn ich mich nicht verausgabe. Im Jahr 2009 hatte ich noch ab und zu Rückenprobleme, dann bin ich auf die Waage gegangen und dachte: ‘Oh Gott, ich habe drei Kilogramm zugenommen, obwohl ich nichts anderes gegessen habe.’ Aber da habe ich dann sofort reagiert, bevor es zu viel wurde.
Noch einmal zur Familie: Wie bekommen Sie Tennis auf fünf Kontinenten, vier Kinder und die Ehefrau unter einen Hut?
Durch gute Kommunikation und Organisation mit meiner Frau und meinem Team. Solange es meinen Kindern gut gefällt, muss ich mir nicht zu viele Gedanken machen. Natürlich haben wir uns am Anfang schon Sorgen gemacht, wie das mit Zwillingen auf der Tour gehen soll. Und dann bekamen wir sogar zweimal Zwillinge. Aber es funktioniert gut und wir ziehen alle an einem Strang. Ich spiele mittlerweile auch etwas weniger. Es ist manchmal besser, wenn ich alleine zu einem Turnier fahre wie in Rotterdam. Wir waren einen Monat in Dubai, einen Monat in Australien, dann einen Monat in der Schweiz und gehen dann einen Monat nach Amerika. Danach sind wir mehrere Monate in Europa. Das hört sich auf einmal gar nicht mehr so brutal an, wie man sich das eigentlich vorstellt. Dafür muss man gut organisiert sein. Es darf nicht nur für mich stimmen, sondern auch für die Familie. Wir sind da sehr offen und ehrlich zueinander.
Was können Sie von Ihren Kindern lernen?
Kinder denken anders als Erwachsene und sind sehr direkt, sehr logisch in ihrer Denkweise. Wir sind da manchmal zu kompliziert. Kinder holen einen zurück auf den Boden der Tatsachen und das macht einen auch jünger. Man versetzt sich als Papa in die eigene Kindheit und lernt viel von ihnen über sich selbst als Person. Ich bin auch immer wieder beeindruckt, was sie schon alles können. Das sind schöne Zeiten.
Worüber ärgen Sie sich?
Bei den Kindern muss man immer wieder kämpfen, wenn auch beim zehnten Mal keiner zuhört. Das ist manchmal frustrierend. Beim Tennis ärgere ich mich auch, wenn ich einen Fehler mache. Im Training sogar mehr als im Match. Aber ich bin schon eher gefasst und positiv denkend.
Die öffentliche Wahrnehmung fokussiert sich immer mehr auf die Grand Slam-Turniere. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Ich probiere da immer, ein bisschen gegen anzukämpfen. Ich glaube, es hat angefangen mit Pete Sampras, der den Grand Slam-Rekord unbedingt wollte und das auch klar kommuniziert hat (Sampras gewann bei den US Open 2002 einen 14. Grand Slam-Titel, d. Red.). Das hat den Status der Grand Slams weiter nach oben gehoben. Aber Sampras redet nicht für alle, sondern hat vor allem für sich selbst geredet. Ich habe immer gesagt, dass die Grand Slams zwar schön sind, aber eben nur vier von zwanzig Turnieren, die ich im Jahr spiele. Es geht mir nicht nur um die Grand Slams. Zu jedem Turnier habe ich eine spezielle Beziehung, egal, ob es die ATP-WM, der Davis Cup oder der Laver Cup ist. Du musst für dich entscheiden, was wichtig ist. Dass die Presse heute denkt, es gehe nur noch um vier Veranstaltungen und der Rest ist egal, finde ich schade. Ich habe stets betont, dass Halle für mich kein Vorbereitungsturnier auf Wimbledon ist und Cincinnati auch keines für die US Open. Ich sehe nicht gerne die anderen Turniere als Mittel zum Zweck. Aber die Bedeutung der Grand Slams wurde auch durch die Spieler nach oben gehievt. Jetzt reisen alle nach Australien, alle spielen auf Rasen, auf Sand und auf Hartplatz. Das war früher nicht so.
Welche Wünsche haben Sie bezüglich möglicher Regeländerungen?
Ich sehe keinen Grund, die Regeln groß zu verändern. Wir hatten bei den Australian Open die 1-5-1-Regel. Nachdem wir auf den Platz angekommen sind, hatten wir nur eine Minute bis zum Münzwurf, dann fünf Minuten zum Einspielen und dann noch einmal eine Minute bis zum ersten Aufschlag. Das ist ein ganz kleiner Unterschied für uns Spieler, aber für die Zuschauer ist es gut zu wissen, dass es in spätestens sieben Minuten losgeht. Solche kleinen Änderungen finde ich okay. Ich wäre allerdings überrascht, wenn zum Beispiel Regeln wie die No-Let-Rule angenommen werden. Sehr beeindruckt war ich bei den NextGen Finals vom Hawk-Eye Live. Ich weiß aber nicht, was passieren würde, wenn das System mal nicht klappt. Dann muss man spontan eine ganze Armada an Linienrichtern hereinbringen. Wünschen würde ich mir, dass noch mehr Daten und Statistiken im Tennis erhoben werden. Wenn man zum Beispiel US-Sport schaut, da ist alles Statistik. Im Tennis hinken wir hinterher, obwohl es in den letzten fünf Jahren deutlich besser geworden ist.
Was wäre noch vorstellbar?
Ich glaube, dass wir noch ganz coole Sachen wie Animationen entwickeln könnten. Ich bin da guten Mutes. Tennis hat immer das Potential, neue Superstars hervorzubringen. Ich bin selbst gespannt, was alles an Änderungen kommt. Die Zählweise würde ich so beibehalten.
Alexander Zverev hat letztes Jahr den großen Durchbruch geschafft. Bei den Grand Slams blieb er bislang hinter den Erwartungen zurück. Haben Sie einen Rat für ihn?
Ich habe das Gefühl, dass er sich zu hohe Ziele setzt. Er geht ins Turnier und denkt sich: ‘Ich sollte vielleicht mal ein Grand Slam gewinnen, nachdem ich bereits in Rom und Montreal siegreich war.’ Das ist eine normale und logische Denkweise, aber wenn du sich schon mit dem Finale beschäftigst, wenn du in der zweiten Runde stehst und mit Breakball hinten liegst, dann ist das eine Belastung. Man ist im Kopf zu weit weg, anstatt sich auf den Punkt zu konzentrieren, der gerade ansteht. Das gleiche Problem hatte ich auch zu Beginn meiner Karriere. In Wimbledon und Paris verlor ich sang- und klanglos in drei Sätzen in der ersten Runde. Das ging so lange so, bis ich gemerkt habe, dass ich mich Satz für Satz, Spiel für Spiel und Punkt für Punkt konzentrieren muss. Man darf träumen, aber man darf nicht schon mental an einem Punkt sein, der längst noch nicht eingetreten ist. Sascha wird dies herausfinden, denn er ist ein zu guter und intelligenter Spieler, als dass er diesen Schluss nicht ziehen könnte. Er muss mental einen anderen Ansatz finden und sich selbst hinterfragen. Ich glaube aber nicht, dass dies längerfristig ein Problem sein wird.
Sie haben mit Zverev zusammen beim Laver Cup gespielt. Hat sich Ihr Verhältnis zu Ihren Kollegen durch das Turnier, dass Sie ja selbst mitinitiiert haben, verändert?
Zu Rafa nicht besonders, auch wenn es total speziell war, mit ihm Doppel zu spielen und in der gleichen Mannschaft zu gewinnen. Sascha Zverev und Dominic Thiem habe ich in Prag viel besser kennengelernt. Marin Cilic hatte ich ja noch später in den Winterferien getroffen. Vor allem mit den jungen Profis in einer Mannschaft zu spielen, hat gut getan und enorm viel Spaß gemacht. Meine Vorfreude in Chicago gegen das Team World zu spielen, ist nun riesengroß. Team Europe wird wieder sehr stark sein. Ich bin auf jeden Fall dabei und gespannt auf die Zeit, wenn die Rivalen dann als Kameraden Seite an Seite um Punkte für ihr Team kämpfen.
Wenn Sie den perfekten Tennisspieler basteln könnten: Wie würde er aussehen?
Das fängt an mit einem Wahnsinnsaufschlag wie bei John Isner, Ivo Karlovic oder auch Pete Sampras, wenn er unter Druck servierte, an. Bei der Vorhand würde ich jemanden nehmen, der sehr schnell Power generieren kann. Zum Beispiel Rafael Nadal, Fernando Gonzalez oder James Blake. Bei der Beinarbeit würde ich Novak Djokovic wählen. Beim Return denke ich an Spieler, die den Ball sehr früh nehmen wie Andre Agassi oder David Nalbandian. Aktuell könnte man auch Kei Nishikori oder David Goffin nennen. Auch Djokovic, der die Bälle später nimmt, aber fast alles zurückbringt, wäre eine Alternative. Bei der Rückhand nehme ich Nalbandian, aber auch Spieler wie Marat Safin und Stan Wawrinka kämen in Frage. Fehlt noch was? Ach ja, Volleyspieler. Da würde ich bis in die Zeit von Stefan Edberg, Patrick Rafter und Tim Henman zurückgehen.
Haben Sie sich nicht selbst vergessen?
Ich könnte mich auch nennen, aber gegen diesen perfekten Spieler hätte ich keine Chance!Cheap Air Jordans 1 low For Sale | how many shoes are made per release