Stan Smith: „Jeder kennt meine Schuhe”
Tennislegende Stan Smith spricht im Interview mit tennis MAGAZIN über die neue Stärke des US-Herrentennis, sein Leben auf der Tour und über die eigene Schuhmarke.
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 9/2023
Herr Smith, vor einigen Jahren war das US-Tennis am Boden. Jetzt gibt es elf Spieler unter den Top 100. Keine andere Nation bei den Herren hat diese Leistungsdichte. Wie erklären Sie sich das?
Es liegt daran, dass unser Verband, die USTA, seit einigen Jahren die Förderung intensiviert hat. Geld, Trainer, Zeit – man hilft den Spielern mit allen möglichen Mitteln. Vor sechs Jahren entstand in Orlando ein neues nationales Tennis Center. Die Ergebnisse sehen wir jetzt.
Ist das so einfach?
Es gibt nie die eine Erklärung, aber entscheidend ist, dass sich die Spieler gegenseitig pushen. Die USTA fördert, dass die Spieler untereinander eine Kameradschaft aufbauen. Sie sollen sich miteinander identifizieren. Wenn einer von den Spielern den Durchbruch schafft, dann denken die anderen: Ich kann es auch schaffen.
Sehen Sie das auch so?
Absolut. Es ist eine neue, junge Garde, die ihre Möglichkeiten längst noch nicht ausgeschöpft hat. Sie ist immer noch auf dem Weg nach oben. Ben Shelton oder Sebastian Korda haben großes Potenzial. Taylor Fritz und Frances Tiafoe stehen bereits in den Top Ten. Sie führen diese Gruppe an. Tommy Paul folgt knapp dahinter. Alle sind noch weit vom 30. Lebensjahr entfernt. Sie haben noch mehrere Jahre gutes Tennis vor sich.
Wie gut können Sie werden?
Ben Shelton könnte in die Top Ten kommen. Schon sein Vater war ein toller Spieler. Es ist eine großartige Familie, die hinter Ben steht. Das hilft enorm. Die Einstellung der Sheltons zum Tennis, zum Leben ist sehr gut. Sebastian Korda hat eine ähnlich gute Basis (Vater Petr Korda war die Nummer zwei der Welt und gewann 1998 die Australian Open; Anm. d. Red.). Leider war er wegen seiner Handgelenksverletzung lange außer Gefecht. Sie passierte, als er vielleicht sein bestes Tennis spielte. Im Finale von Adelaide gewann er beinahe gegen Novak Djokovic. Wenn Sebastian sein Potenzial ausschöpft, kommt er in die Top Ten. Aber ich gebe ungern Prognosen ab. Alexander Zverev spielte letztes Jahr unglaublich stark gegen Rafael Nadal in Paris. Dann passierte dieser Unfall und es dauerte ein Jahr, bis er auf die große Bühne zurückkam. Er kämpft noch immer um den Anschluss.
Was halten Sie von Christopher Eubanks, der in Wimbledon überraschend ins Viertelfinale kam?
Er findet gerade seinen Weg. Christopher hatte Jahre lang Probleme, auf der Tour Fuß zu fassen. Jetzt scheint er den nächsten Schritt zu machen. Er ist ein sehr talentierter Spieler.
Sehen Sie in der aktuellen Generation einen künftigen Grand Slam-Sieger?
Ich sage so etwas nicht gerne, weil es Druck auf die Spieler ausübt. Ich glaube ein paar von diesen Profis können etwas Besonderes erreichen. Aber es gehört Glück dazu. Und Gesundheit. Man muss die Chancen nutzen, wenn sie sich einem bieten. Ich mag den Spielstil und die Geschichte von Jessica Pegula, die es unter die Top 5 geschafft hat. Sie hatte so viele Verletzungen, aber sie hat unglaublich hart gearbeitet. Wir haben sie in unserer Akademie ausgebildet.
Die Smith Stearns Tennis Academy in Hilton Head Island, South Carolina.
Ja, wir haben sie vor 21 Jahren gegründet. Jessica hat zu Beginn ihrer Karriere mehr als sechs Jahre bei meinem Partner Billy Stearns trainiert. Jetzt ist sie 29 Jahre alt und hat sich in den letzten beiden Jahren noch einmal enorm verbessert. Sie ist auch im Doppel zusammen mit Coco Gauff großartig. Es macht Spaß, ihre Entwicklung zu beobachten.
Leben Sie in Hilton Head Island oder in Kalifornien? Dort sind Sie geboren. Wegen Ihrer Körpergröße von 1,93 Metern war Ihr Spitzname „der Turm von Pasadena“.
Ich lebe seit 51 Jahren in Hilton Head Island. 25 Jahre hatten wir ein WTA-Turnier. Steffi Graf und Gabriela Sabatini haben zu Beginn ihrer Karriere bei uns trainiert. South Carolina ist mein Zuhause. Die Akademie macht mir immer noch Spaß.
Reisen Sie noch viel?
In den letzten 25 Jahren war ich bei allen Grand Slam-Turnieren. Ich habe eine Firma – Stan Smith Events. Wir haben Kooperationen mit Unternehmen wie American Express oder ATNT (multimilliardenschwerer US-Telefonriese; d. Red.). Wir reisen mit ihren Kunden zu Turnieren. Sie schauen sich Tennis an, ich erzähle von meiner Karriere. Bis Ende 2021 war ich Präsident der International Tennis Hall of Fame. Ich war immer am globalen Tennis interessiert.
Vor 20 Jahren gewann Andy Roddick die US Open. Wie denken Sie darüber, dass bei den Herren anschließend kein Amerikaner mehr siegte?
Man realisiert, dass die internationale Konkurrenz immer stärker wird. Fast jedes Land hat heute mindestens zwei oder drei sehr gute Spieler. Sie arbeiten hart und Tennis ist in vielen Ländern wichtiger als in den USA. Bei uns gibt es Football, Baseball, Basketball – Sportarten mit den besten Athleten der Welt. Dazu kommt: Herausragende Spieler wie Pete Sampras oder Andre Agassi kann ein Verband nicht produzieren. Man kann sie durch Coaching zu einem bestimmten Punkt bringen, aber um es wirklich weit zu schaffen, muss man ein geborener Champion sein.
Hat einer von den jungen US-Spielern das Charisma und den Charakter, um Tennis in den USA wieder populärer zu machen?
Kein Mensch weiß, wie die Zukunft aussieht. Noch einmal: Es braucht eine besondere Persönlichkeit, um ein herausragender Athlet zu werden. Man muss mit der Erwartung umgehen können und unter Druck seine besten Leistungen abrufen. Was für alle Weltklassespieler gilt: Sie spielen ihr bestes Tennis, wenn es darauf ankommt. Federer, Nadal oder Djokovic haben Alles dafür getan, der Beste zu sein. Sie haben dem Sport alles andere untergeordnet und waren immer in exzellenter körperlicher Verfassung.
Es sieht so aus, als sei Carlos Alcaraz nun das Maß aller Dinge.
Ja, er spielt fantastisch. Alexander Zverev hat ebenfalls noch die Chance, oben mitzuspielen, aber er ist 26. Taylor Fritz auch bald, Frances Tiafoe ist 25. Die über 25-Jährigen gehören schon fast zu den Älteren. Junge Spieler wie Jannik Sinner oder Holger Rune klopfen an die Tür.
Frances Tiafoe hat sich als Sohn von Einwanderern aus Sierra Leone, die kein Geld hatten, durchgebissen. Hat er Star-Potenzial?
Ja. Es ist eine spannende Geschichte. Er hat viel Selbstvertrauen getankt im letzten Jahr, herausragende Siege gefeiert. Er entwickelt sich immer noch. Er hat seine Technik verbessert, er hat gute Coaches um sich herum. Man wird sehen, ob er die Mentalität für ganz oben hat.
Sie erwähnten die Konkurrenz durch andere Sportarten. An welcher Stelle kommt Tennis in den USA?
Das ist eine gute Frage, in jedem Fall hinter Baseball, Football und Basketball. Nehmen wir an, Jugendliche wären beispielsweise nicht zum Basketball, sondern zum Tennis gegangen. Wer weiß, was passiert wäre? Gute Basketballspieler bewegen sich ausgezeichnet, haben eine großartige Augen-Hand-Koordination. Tennis ist immer noch ein teurer Sport und der Zugang nicht so leicht. Es ist toll zu sehen, dass Tiafoe es geschafft hat. Aber von den Talenten auf der Straße ist er wahrscheinlich die Ausnahme.
Welchen Stellenwert haben die US Open? Sind sie in den USA bedeutender als Wimbledon?
Schwer zu sagen. In jedem Fall haben die US Open unglaubliche Einschaltquoten und die meisten Zuschauer vor Ort.
Was auch daran liegt, dass das Arthur Ashe Stadium mit 23.771 Plätzen die mit Abstand größte Arena ist.
Ich finde das Stadion zu groß.
In Deutschland hat das Fernsehen zu Zeiten von Boris Becker Tennis groß gemacht. Wie ist die TV-Präsenz in den USA?
Die Tennissender machen einen guten Job. Jeder der Tennis schauen möchte, kann dies tun. Auf Tennis Channel kann man ohne Ende Tennis sehen.
Aber es ist Pay-TV.
Ja, aber es ist nicht teuer, fast jeder kann es schauen. Über die Jahre hat sich das enorm ausgebreitet und die Tennisfans in den USA haben davon profitiert. Manche Tennisspieler wechseln jetzt zum Pickleball. Tennis hat es schwer, weil es nicht nur mit vielen Sportarten konkurriert, sondern auch mit digitalen Unterhaltungsformaten.
In Deutschland gibt es eine große Diskussion über den Nachwuchs. Es heißt, die Kinder heute seien satter, können sich weniger konzentrieren und seien nicht bereit, so viel in den Sport zu investieren wie frühere Generationen. Ist das in den USA auch so?
Absolut, es ist genau das Gleiche. Sie bekennen sich weniger zu einer Sache, haben viel mehr Optionen als die Generationen vor ihnen.
Was machen Sie außerhalb vom Tennis?
Nicht viel (lacht). Wenn ich zuhause bin, dann fahre ich jeden Nachmittag in die Akademie. Mit meiner Firma veranstalte ich etwa acht oder neun Events im Jahr.
Klingt nicht nach Ruhestand.
Ich lese die Bibel und dort habe ich an keiner Stelle etwas über Ruhestand entdeckt. Das Wort existiert nicht. Ich genieße, was ich tue. Ich habe 16 Enkelkinder. Ich versuche, sie so oft wie möglich zu sehen.
Weltberühmt sind Ihre Schuhe – die Marke Stan Smith. Was bedeutet Ihnen das?
Viel. Adidas ist ein großer Teil meiner Arbeit. Den Schuh gibt es seit mehr als 50 Jahren. 1972 fragte man mich, ob ich mit einsteige, weil sie eine größere Aufmerksamkeit in den USA erreichen wollten. Ich war die Nummer 1 der Welt. Dann haben sie ein Foto und meinen Namen auf den Schuh geklebt. Bis zum letzten Jahr wurden über 100 Millionen Paare verkauft.
Ich hoffe, Sie bekommen eine angemessene Provision?
Es ist ein geringer Prozentanteil, aber es ist okay. Es ist schön zu sehen, dass Männer und Frauen, Jungs und Mädchen, alt und jung meine Schuhe tragen. Heute machen viele Firmen Schuhe, die so aussehen sollen wie meine.
Letzte Frage: Welcher Titel war Ihnen wichtiger: der 1972 in Wimbledon oder der 1971 bei den US Open?
Der Wimbledontitel war der Schlüssel, um mich auf der Welt bekannt zu machen. Der US Open-Titel (damals in Forest Hills auf Rasen; Anm. d. Red.) war großartig, weil es in meiner Heimat passierte. In meinem Buch schreibe ich: Die meisten Menschen denken, ich bin ein Schuh. Die alten wissen, dass ich ein ziemlich guter Tennisspieler war.
Vita Stan Smith
Als „Turm von Pasadena“ ging der Amerikaner (76) in die Geschichte ein. Er gewann das erste Masters (1970), die US Open (1971) und Wimbledon (1972). Siebenmal siegte er für die USA im Davis Cup. Nach der Karriere arbeitete er als Coach für die USTA. Er lebt in Hilton Head Island, South Carolina.