Tennis Europe CEO Thomas Hammerl: „Viele Talente bleiben auf der Strecke”
Thomas Hammerl, Geschäftsführer bei Tennis Europe, schildert im Interview die Hauptaufgaben seines Verbandes und die Auswirkungen des Ukraine-Krieges.
Herr Hammerl, was sind die Aufgaben von Tennis Europe?
Tennis Europe ist der europäische Dachverband, der als Regionalverband der ITF dient. Wir sind eigenständig und wurden 1975 in der Schweiz in Basel gegründet, dort haben wir heute noch unseren Hauptsitz. Wir sind so etwas wie die Servicestelle für die 50 europäischen nationalen Verbände, veranstalten für die ITF alle World-Tennis-Tour-Turniere in Europa, also die Einstiegsebene in das Profitennis. Das sind circa 700 Turniere im Jahr, 300 bei den Damen und 400 bei den Herren. Unsere Hauptaufgabe war aber immer schon die Betreuung des Jugendtennis: U12, U14 und U16. Hier betreiben wir eine weltweit bekannte Tour mit knapp 480 Turnieren, haben wir einen eigenen Kalender, eigene Ranglisten und auch ein eigenes Regelwerk. Außerdem unterstützen wir gemeinsam mit der ITF europäische Nationen, die finanziell weniger gut ausgestattet sind, also zum Beispiel Kosovo, Montenegro oder Albanien mit Know-how, Geld und Material für ihre Verbände und die besten Jugendlichen in ihren Ländern.
Thomas Hammerl: „Der Tennissport ist leider noch etwas ungerecht“
Wie sieht die „Entwicklungshilfe“ aus?
Der Tennissport ist leider immer noch etwas ungerecht, was die Entwicklung von guten Spielern betrifft, weil Kinder aus reichem Haus es leichter haben. Es gibt viele Talente, die auf der Strecke bleiben, weil sie sich den Sport nicht leisten können. Unsere besten Jugendlichen in Europa steigen fast alle zwei Wochen ins Flugzeug und spielen dabei nicht um Preisgeld, sondern um Ranglistenpunkte. Diese Reisekosten muss jemand zahlen. Hier versuchen wir als Tennis Europe, in Kooperation mit der ITF entgegenzuwirken. Spieler wie Marcos Baghdatis aus Zypern und Victoria Azarenka aus Weißrussland haben von unseren Programmen profitiert und sind große Champions geworden.
Sie waren zuvor Geschäftsführer des österreichischen Verbandes. Wie steht es eigentlich um das österreichische Tennis?
Ich denke der österreichische Verband ist gut aufgestellt, es gibt mit Jürgen Melzer einen Profi im Sportbereich. Er war sowohl im Einzel als auch im Doppel unter den Top 10 der Welt und ist ein Vorbild für Jugendliche in Sachen Davis Cup-Einsätze. Wir erkennen seit einem knappen Jahr einen deutlichen Aufwärtstrend von österreichischen Jugendlichen in den europäischen Ranglisten. Österreich stellt auch den aktuellen U16-Jugend-Europameister.
Thomas Hammerl: „An dieser Stelle helfen wir“
Was tut Tennis Europe genau für die Jugendspieler?
Bei unseren Turnieren messen sich die Jugendlichen zum ersten Mal mit Spielern ihres Alters aus anderen europäischen Ländern. Aber auch abseits des Platzes helfen wir den Spielern. Wir haben ein Projekt mit dem Namen „Junior School“, bei dem wir zu den acht größten Jugendturnieren in Europa fahren und mit unseren Mitarbeiten spannende Vorträge über viele Themen halten: Was ist die ITF? Wie melde ich mich zu einem Turnier an? Wie funktioniert ein Dopingtest? Was ist Matchfixing? Was soll ich essen vor dem Match? Wie soll ich mich in den Sozialen Medien verhalten? Wie gebe ich ein richtiges Interview? Alles Dinge abseits des Platzes, die man auf dem Weg zum Tennisprofi braucht und verstehen sollte.
Unsere „Junior School“ ist weltweit das einzige von allen drei Tennis-Institutionen (ATP, WTA und ITF) offiziell genehmigte Programm. Es ist wichtig, dass Jugendliche mit diesen Themen früh in Kontakt kommen und dann weiterführende Informationen auf der Tour erhalten. Es gab früher viele Talente, die auf die Tour gekommen sind und keinerlei Ahnung von den Abläufen hatten. Die haben zwar super Tennis gespielt, aber es gehört mehr zur Arbeit eines Profis als nur das Spielerische. Die eigenen Verbände machen oft wenig, die Eltern sind wissensbedürftig. Deshalb helfen wir an dieser Stelle.
Diese Spieler haben vom „Junior Reserved Places Program“ profitiert
Die Diskrepanz im Herrentennis zwischen Europa und dem Rest der Welt ist enorm. Seit 20 Jahren dominiert Europa das Herrentennis. Ist die gute Arbeit von Tennis Europe ein Grund hierfür?
Ja, absolut. Unsere 50 europäischen Verbände arbeiten am professionellsten, vor allem in der Nachwuchsarbeit. Tennis bekommt in Europa eine große Wertschätzung. In Indien gibt es Cricket, in den USA gibt es American Football und Basketball, in Kanada ist es Eishockey. In Europa ist Tennis in den meisten Ländern hinter Fußball die Nummer zwei bei der Aufmerksamkeit. Das spiegelt sich dann im ATP-Ranking wider mit neun Europäern in den Top 10.
Viele talentierte Junioren schaffen nicht den Übergang zu den Profis. Gibt es Lösungsansätze, damit Talente nicht wegfallen?
In der ITF gibt es ein „Junior Reserved Places Program“, bei dem die Top-Junioren und Juniorinnen bei den Profieinstiegsturnieren der ITF fixe Startplätze bekommen, wenn sie es nicht von sich aus ins Hauptfeld schaffen. So bekommen die Junioren die Möglichkeit, die ersten Weltranglistenpunkte zu sammeln, um später, wenn sie älter als 18 sind, selbständig in die Profi-Hauptfelder zu gelangen. Spieler wie Stefanos Tsitsipas, Holger Rune und Coco Gauff haben alle von diesem „Junior Reserved Places Programm“ profitiert. Bei Tennis Europe gibt es zudem ein Programm für die besten 15- und 16-Jährigen, dass diese problemlos in die stärksten U18-Turniere kommen, um sich mit älteren Junioren messen zu können.
Thomas Hammerl: „Spieler in Russland bekommen keinerlei finanzielle Förderung“
Welche Auswirkungen hat der russische Angriffskrieg auf die Ukraine auf Tennis Europe?
Russland und Weißrussland sind Mitglieder bei Tennis Europe. Wir haben aber über die Vorgabe des IOC und der ITF diese beiden Verbände derzeit suspendiert. Das war ein gewaltiger Schritt. Sie dürfen nicht vergessen, dass Russland in 2021 sowohl Davis Cup- als auch Billie Jean King Cup-Sieger war und somit die beste Teamnation der Welt. Wir hatten 21 Jugendturniere in Russland, 15 in Weißrussland. Die sind allesamt weggefallen. Die Spieler aus Russland und Weißrussland bekommen derzeit keinerlei finanzielle Förderung, deren Teams sind nicht startberechtigt. Ein ranghoher Funktionär des russischen Tennisverbandes hat mir erst kürzlich erzählt, dass der russische Tennissport durch diese Sanktionen in der sportlichen Entwicklung um mindestens 20 Jahre zurückgeworfen wird. Über die Wiederaufnahme von Russland und Weißrussland zu Tennis Europe entscheidet die Generalversammlung – es braucht eine Zweidrittelmehrheit der 50 Verbände. Das wird eine schwierige Entscheidung, da dies ein hochpolitisches Thema ist. Die Suspendierung war hingegen eine klare Entscheidung.
Welche Sprengkraft hat der Krieg für Tennis Europe?
Das Thema polarisiert ungemein. Wir bekommen immer wieder Briefe von Ländern aus Europa, in denen steht, dass sie Junioren aus Russland und Belarus ihren Turnieren nicht zulassen, obwohl die Regel klar besagt, dass Russen und Belarussen nur von Mannschaftswettbewerben ausgeschlossen sind, nicht aber von individuellen Turnieren. Die Entscheidung von Wimbledon, Russen und Belarussen zu boykottieren, hat diese Entwicklung natürlich befeuert.
Ist das überhaupt rechtmäßig?
Nein, grundsätzlich nicht. Man muss, wenn man ein Tennis Europe-Turnier veranstaltet, gewisse Regeln einhalten. In diesen Regeln steht klar drin, dass der einzige Grund, warum man Russen und Belarussen nicht zu individuellen Turnieren zulassen darf, der ist, wenn eine Regierung sagt, dass Sportler aus Russland und Belarus nicht einreisen dürfen. Wenn ein Turnierveranstalter dies aber selbständig entscheidet, dann verstößt er gegen unsere Regeln. Im schlimmsten Fall ist es dann so, dass wir ihm die Turnierlizenz entziehen können.
Digitalisierung der Junior Tour
Was hat Tennis Europe für 2023 geplant?
Unser großes Projekt 2023 ist die Digitalisierung unserer Junior Tour. Wir haben eine eigene neue App geplant und wir werden eine neue Partnerschaft mit der Firma Crionet vorstellen, die es uns ermöglicht, so viel wie möglich Jugendturniere live im Internet oder auf unserer App zu streamen und auch Live-Scores anzuzeigen. Damit wollen wir Junioren-Tennis einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen. Wir glauben an die Kraft von eigenen Daten und eigenem Content und sind gespannt auf dieses tolle Projekt.Cheap air jordan 1 low womens | air jordan outlet app