Angelique Kerber – die große Verunsicherung der Nummer eins
Kerber hat es sich zur Angewohnheit gemacht, sich hinter hohlen Floskeln und stets wiederholenden Sätzen zu verschanzen. Bemerkenswert war 2017 eigentlich nur ihre vorsichtig vorgetragene Kritik an der Stuttgarter Wildcard für Maria Sharapova. Ansonsten kommt sie brav, lieb und angepasst daher. Das kann man ihr ankreiden. Oder man kann es als große Tugend ansehen. Manchmal ist es, gerade im Profisport, nämlich auch hilfreich, nicht über das eigene Tun allzu viel nachzudenken.
Noch profitiert Kerber vom Traumjahr 2016
Langsam allerdings drängt die Zeit. Noch profitiert Kerber von ihrem Traumjahr 2016, als sie – so schien es zumindest – frei von Selbstzweifeln und getragen von eben jener Leichtigkeit, die ihr nun abhanden gekommen ist, zwei Grand Slam-Turniere gewann und noch die Endspiele von Wimbledon und der Olympischen Spiele erreichte.
Spielerisch hat sich Kerber 2017 zu dem zurückentwickelt, was sie lange vor ihren großen Erfolgen war: eine eher zaudernde, defensiv-passiv eingestellte Konterspielerin, die wenig eigene Punkte macht, auf die Fehler der Gegnerin angewiesen ist und deren Aufschlag, insbesondere der zweite, zu zahm ist. Auch diese Kerber muss man erst einmal schlagen. Vor ihrer Transformation zur furchtlosen aggressiv-kreativen Shootmakerin anno 2016 war sie schließlich erfolgreich genug, um sich in den Top 10 zu etablieren.
Im Moment allerdings erhält man den Eindruck, dass ihre alten Muster, auf die sie nun zurückgreift, auch für – mit Verlaub – Durchschnittsgegnerinnen zu durchschaubar geworden sind. Wer das Finale von Monterrey verfolgte, musste insbesondere im dritten Satz mit ansehen, wie Kerber als Weltranglistenerste von der Russin Anastasia Pavlyuchenkova, Nummer 16 der Welt, regelrecht vorgeführt wurde. Kerber fehlte die Länge in den Schlägen, sie ärgerte sich oft und viel zu lange über knappe Entscheidungen, die sie wegen eines fehlenden Hawkeye-Systems nicht überprüfen lassen konnte. Und sie ließ schließlich auch ihre gefürchtete Kampfkraft vermissen, durch die sie in der Vergangenheit schon etliche Matches noch drehen konnte.
¡Felicidades a @NastiaPav! Campeona del #AbiertoGNPSeguros por hacer vibrar el #EstadioGNPSeguros y demostrar que #Viviresincreíble pic.twitter.com/ruyT4JBMZR
— GNP Seguros (@GNPSeguros) April 9, 2017
Pavlyuchenkova ließ nicht nach, feuerte Winner um Winner ab – am Ende der Partie waren es insgesamt 49! – und erdrückte Kerber mit Power und Präzision. Was aber auffiel: Sobald es Kerber schaffte, die nicht sehr bewegliche Russin in längere Ballwechsel zu verwickeln, machte sie den Punkt. Bezeichnend war ein Dialog Mitte des zweiten Satzes mit ihrem Trainer Torben Beltz, als Kerber – nach verlorenem ersten Durchgang – in Führung lag. „Wir haben Pavlyuchenkova da, wo wir sie haben wollen. Sie ist konditionell am Ende. Zwing sie in lange Ballwechsel, spiel deine Fitness aus“, riet ihr Beltz. Zunächst ging der Plan auf: Kerber rettete sich in den dritten Satz und Pavlyuchenkova zertrümmerte ihr Racket.
Kerber nicht im Kopf der Gegnerin
Was aber dann geschah, passte zur verunsicherten Kerber. Ihr Spiel entglitt ihr, innerhalb weniger Minuten lag sie 0:5 hinten. Sicher, Pavlyuchenkova erhöhte das Risiko, spielte alles oder nichts. Doch Kerber machte es ihr zu einfach. Sie verschaffte sich selbst gar nicht erst die Möglichkeit, sich im Entscheidungssatz wirklich festzubeißen. Pavlyuchenkova gewann erstmals in ihrer Karriere gegen eine Weltranglistenerste. Auch, weil sie es „nicht im Kopf hatte“, dass Kerber die Nummer eins ist, wie sie später im Sieger-Interview zugab.