Angelique Kerber: Trotz Niederlage bei Olympia einer ihrer größten Siege
Das Viertelfinale bei den Olympischen Spielen in Paris gegen Qinwen Zheng war das letzte Match von Angelique Kerber. Der 7:6, 4:6, 6:7-Thriller war sinnbildlich für ihre ganze Karriere.
„Ich kann nicht mehr.“ Man musste keine Lippen lesen können, um diesen Satz zu verstehen. Angelique Kerber sagte ihn in Richtung ihrer Box auf dem Court Philippe Chatrier, auf dem es so laut zuging wie selten. Da war die 36-Jährige schon gezeichnet von den Anstrengungen. Man könnte auch sagen, Kerber war komplett platt. Aber wenn es etwas gibt, dass die Kielerin immer ausgezeichnet hat, dann ist es ein Wille, den nur Champions haben. Mag die Situation noch so ausweglos sein, die Option aufzugeben, gibt es nicht.
Und so schaffte Kerber beinahe etwas, was vor Turnierbeginn kein Mensch geglaubt hätte: Ins Halbfinale einzuziehen. Zwei Chancen auf eine Medaille zu haben: das Spiel um Bronze. Wäre sie ins Finale gekommen, wäre Silber sicher gewesen. Eine Medaille für Kerber? Für eine, die vor Turnierbeginn ihr Karriereende verkündete? Die nur auf Platz 212 in der Weltrangliste rangiert? Deren beste Zeiten weit zurückliegen? Unmöglich hätte man meinen können. Oder doch nicht?
Ein letztes Aufbäumen
Kerber schlug bei Olympia in Paris – das hat man schon fast vergessen bei der Dichte der Ereignisse – Naomi Osaka in Runde eins. In zwei Sätzen. Es folgte der Dreisatzsieg gegen die unbekannte Rumänin Jaqueline Cristian. Nächster Coup im Achtelfinale gegen die wiedererstarkte Kanadierin Leylah Fernandez, nebenbei bemerkt die Nummer 16 der Welt. Und dann das Viertelfinale gegen Qinwen Zheng, Nummer sechs der Setzliste, auf einer der größten Bühnen, die es im Welttennis gibt. „Angie, Angie“-Rufe hallten über den Court Philippe Chatrier.
Im letzten Satz war das Dach geschlossen, was die Lautstärke noch intensivierte. 4:1 führte Kerber im dritten Satz. Aber dann spielte Zheng stark – 4:4. Im Tiebreak wehrte Kerber bei 3:6 drei Matchbälle ab. Den vierten nicht mehr – ihre Vorhand landete im Netz. Am Ende stand es 7:6, 4:6, 6:7 Es war der Schlussakkord einer grandiosen Karriere mit drei Grand Slam-Titeln, mit Silber bei Olympia 2016 in Rio, mit 34 Wochen auf Platz eins. Nach der Mama-Pause gelang ihr Vieles nicht mehr. Beim Masters in Miami schaffte sie es noch einmal ins Achtelfinale. In Paris – das konnte jeder spüren – wollte sie noch einmal den Paukenschlag, eine Medaille. „Ich habe mein Herz auf dem Platz gelassen.“ Diesen Satz von ihr hörte man immer wieder.
Angelique Kerber’s professional career has come to an end.
And what a career it’s been.
🔹2016 Australian Open Champion
🔹2016 US Open Champion
🔹2018 Wimbledon Champion
🔹2016 Olympic silver medal
🔹Former world #1
🔹14 career titles
It was never going to be easy to… pic.twitter.com/Hyef1zCPJT
— The Tennis Letter (@TheTennisLetter) July 31, 2024
Kerber die Kämpferin
Und es stimmt ja: Mehr Einsatz geht nicht. Mehr Cleverness auch nicht. Denn dass sie ihre Gegnerin nicht würde abschießen können, war klar. Im Match gegen Zheng spielte Kerber Mondbälle, die man auf der Tour so noch nie gesehen hat und brachte ihre Gegnerin teilweise aus dem Konzept. In diesen Phasen erinnerte das Match an die legendäre Partie zwischen Michael Chang und Ivan Lendl in Paris 1989, in der der von Krämpfen geschüttelte Chang den hohen Favoriten Lendl niederrang.
KUNTENSERVENNNNN pic.twitter.com/BUKEhUuNCn
— Rio (@impetigorx) July 31, 2024
Episch war auch Kerbers letztes Match. Es dauerte mehr als drei Stunden. Stars tun sich oft schwer, ihre Karriere zu beenden. Rafael Nadal und Andy Murray sind aktuelle Beispiele. Kerber hat alles richtig gemacht. Sie hat ein klares Ende angekündigt. Sie hat in ihrem letzten – sorry – Gefecht noch einmal alles gezeigt, was sie in mehr als 20 Jahren ausgezeichnet hat. Mehr als 1.000 Matches hat sie gespielt, fast 33 Millionen Dollar Preisgeld erspielt. Sie hat 14 Turniere gewonnen. Man möchte ihr zurufen: „Angie, auch wenn es mit der Medaille nicht geklappt hat: Olympia in Paris war einer deiner größten Siege!“