Australian Open: Ist das noch der Happy Slam?
Die Eventisierung bei den Australian Open schreitet in rasantem Tempo voran. Am heutigen Tag gab es mal wieder einen Zuschauerrekord. Entwickelt sich das Turnier in die richtige Richtung?
Als ich 2008 zum ersten Mal bei den Australian Open als normaler Zuschauer war, habe ich mich riesig gefreut. Endlich ein Besuch bei meinem Lieblingsturnier. Wimbledon war das Turnier mit der größten Strahlkraft, aber die Australian Open waren für mich schon immer das Nonplusultra. Es ging mir damals so ähnlich, wie Jan-Lennard Struff nach seiner Auftaktniederlage gegen Novak Djokovic auf Instagram beschrieben hat. Als Kind habe ich bis tief in die Nacht Tennis aus Melbourne geschaut, und ich war Feuer und Flamme für die Night Sessions.
Bei meinem ersten Live-Erlebnis in Melbourne wurde ich gleich Zeuge von Tennisgeschichte. Als sich Lleyton Hewitt und Marcos Baghdatis in der Rod Laver Arena bis um 4:34 Uhr die Bälle um die Ohren schlugen, war ich vom ersten bis zum letzten Ballwechsel im Stadion. Das Erlebnis beim denkwürdigen Rekordmatch hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Am nächsten Tag war Court Hopping auf den Außenplätzen angesagt. Ich sprang zwischen den Partien von Sabine Lisicki gegen Caroline Wozniacki und Philipp Kohlschreiber gegen Jarkko Nieminen hin und her.
Macht der Happy Slam noch happy?
Der sogenannte Happy Slam hat mich jedes Jahr happy gemacht. Zwölf Jahre später bin ich zum fünften Mal als Journalist bei den Australian Open vor Ort. Man erlebt jedes Jahr hautnah, in welch rasantem Tempo sich das Turnier verändert. Zum Positiven? Darüber lässt sich streiten. Es ist längst nicht mehr alles so happy beim Happy Slam. Jedenfalls für mich.
Wer all die kleinen Randgeschichten an den ersten Spieltagen, die Matches der Topstars und Pressekonferenzen im Auge behalten möchte, der muss multitaskingfähig sein. In den ersten Tagen bei einem Grand Slam herrscht im Pressezentrum das „Fomo“-Syndrom. „Fomo“ was? Ja, „Fomo”! Das Wort steht für „Fear of missing out”, also die Angst, etwas zu verpassen. Und verpassen kann man eine ganze Menge, wenn man nicht gut organisiert ist. Den Überblick behält man am besten im Pressezentrum.
Court Hopping? Schwer möglich
Aber nichts geht über Live-Tennis – wenn man denn dazu kommt. Denn ähnlich wie in Wimbledon und bei den French Open wird es in Melbourne immer schwerer, Court Hopping zu betreiben. Bei der Partie zwischen Cedrik-Marcel Stebe gegen Benoit Paire sind wie bei fast allen Courts auf der Anlage kaum freie Plätze zu finden. Einerseits gut für die Spieler, andererseits schlecht für den Tennisfreak, der so viel Live-Tennis und Eindrücke wie möglich sammeln möchte. Ich ergattere noch einen der wenigen freien Plätze und schaue mir einen Satz zwischen Stebe und Paire an, ehe es zurück ins Pressezentrum geht.
Auf der Anlage sind überall lange Schlangen: vor den Eingängen zu den Courts, an den Essenständen oder auch in den Merchandising-Shops. Im Melbourne Park ist eines gefragt: viel Geduld. Als ich beim Match zwischen Laura Siegemund und Coco Vandeweghe sitze und hinter mir eine Amerikanerin während des Seitenwechsels aufsteht, um sich etwas zu essen zu holen, sagt sie aufgrund des Trubels auf der Anlage scherzhaft zu ihrer Begleitung: „Bis Weihnachten“.
58.637 Zuschauer in der Day Session
Die Anlage ist in diesem Jahr noch weitaus größer als ohnehin schon. Sie wurde um ein Practice Village ergänzt, das fast bis zum benachbarten Melbourne Cricket Ground ragt. Von der einen Seite der Anlage bis zur anderen Seite ist man zu Stoßzeiten gerne mal 15 Minuten unterwegs. Für den Fan wird eine Menge Entertainment geboten: vom virtuellen Selfie mit Rafael Nadal, dem Signieren lassen eines Tennisballes mit seinem Namen, bis hin zu einem umfassenden Musikprogramm. Tennis kann dabei gerne mal in den Hintergrund rücken.
Für den Tennisfreak, der so viel Tennis wie möglich schauen möchte, kann die Fülle der Zuschauer auf der Anlage zum großen Hindernis werden und das Live-Erlebnis etwas schmälern. Am zweiten Turniertag waren alleine in der Day Session 58.637 Zuschauer auf der Anlage – ein neuer Rekord für den ersten Dienstag in Melbourne. Zum Vergleich: Beim ATP-Turnier in Hamburg waren letztes Jahr im gesamten Turnierverlauf ähnlich viele Zuschauer auf der Anlage. Die Eventisierung bei den Australian Open nimmt immer mehr zu. Lassen die Veranstalter zu viele Zuschauer auf die Anlage? Aus meiner Sicht ein klares Ja. Man muss nicht auf Biegen und Brechen die Zitrone so lange auspressen, bis sie keinen Saft mehr gibt.
Millman: „Wir sind ein Unterhaltungsbusiness”
Ganz anders sieht es der Australier John Millman. Dem Lokalmatador gefällt die Entwicklung bei seinem Heimturnier. „Die Australian Open sind nicht nur ein Unterhaltungsevent. Es sollte ein Tennisevent sein. Ich denke, dass die Organisatoren einen unglaublichen Job machen, dass es nicht nur ein Tennisspektakel ist. Wir sind ein Unterhaltungsbusiness. Wir müssen Leute von allen Ebenen durch die Tore bekommen und Tennis wertschätzen sowie die anderen Dinge wertschätzen“, meint Millman.
Natürlich steht im Vordergrund, so viele neue Tennisfans wie möglich zu gewinnen. Der eingefleischte Hardcore-Fan darf dabei aber nicht auf der Strecke bleiben. 796.435 Zuschauer kamen im letzten Jahr auf die Anlage im Melbourne Park. Im Jahr 2018 waren es 743.667 Zuschauer. In diesem Jahr könnte die 800.000er-Marke geknackt werden. Und in einigen Jahren dann die Schallmauer von einer Million Zuschauer im Melbourne Park? Gut möglich, dass dies passiert. Die rasante Entwicklung bei den Australian Open gefällt mir zwar nicht, aber der Happy Slam bleibt weiterhin mein Lieblingsturnier. Auch wenn er mich nicht mehr so happy wie früher macht.
Rückblick auf Tag 2 der Australian Open
Unsere Kollegen von „Chip & Charge“ versorgen Sie mit Ihrem Podcast „Daily Down Under“ jeden Tag mit einer Zusammenfassung des Tages von den Australian Open.
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