Davis Cup: So lief das Viertelfinale für die Deutschen
Es war wie nach einer durchgemachten Nacht: Am Tag nach der Viertelfinalniederlage des deutschen Davis Cup-Teams in Malaga fiel alles ziemlich schwer.
Dass es keine einfache Partie gegen die Titelfavoriten aus Kanada werden würde, war Teamkapitän Michael Kohlmann und seinem Team natürlich bewusst. Die Nummer sechs und Nummer 18 der Welt, Felix Auger-Aliassime und Denis Shapovalov, führten das nordamerikanische Team an. Bei den Deutschen hingegen fehlte die Nummer eins Alexander Zverev, weil er sich noch immer von einem Knochenlödem erholt. Deshalb reisten sie mit Oscar Otte (ATP 68), Jan-Lennard Struff (ATP 152), Yannick Hanfmann (ATP 138) und dem Erfolgsdoppel Kevin Krawietz/Tim Pütz nach Spanien.
Kohlmann: „Jeder gibt 100 Prozent“
Trotz der Außenseiterrolle war das Team aber zuversichtlich. „Wir haben schon in den vergangenen Jahren bewiesen, dass wir höher gerankte Gegner schlagen können“, hatte der Teamchef vorab gesagt. „Sobald wir hier sind, gibt jeder 100 Prozent.“ Zudem hatten sich Struff & Co. auch schon in der Vergangenheit in der Rolle als Außenseiter wohl gefühlt.
Schon sechs Tage vor dem Viertelfinalmatch kamen sie in Málaga an und stürzten sich in die Vorbereitung. Intensive Trainingseinheiten mit Schwerpunkten auf den Grundschlägen, der Matchpraxis und vereinzelten Korbdrills standen auf dem Programm. Ein großes Augenmerk lag aber auch auf gemeinsamen Aktivitäten wie Padel- oder Spikeballspielen, Fußball schauen oder zusammen Essen gehen, um eben genau das weiter fördern, wofür die deutsche Mannschaft steht: den Teamgeist.
Überraschungssieg mit anderer Taktik
Am Donnerstag um 17 Uhr war es dann so weit. Die vorangegangene Partie zwischen den USA und Italien entschied sich über das Doppel, deshalb war der Start um eine Stunde nach hinten verschoben worden. Nach der „Eröffnungszeremonie“ mit der Vorstellung der Spieler und den Nationalhymnen legte Jan-Lennard Struff dann gegen Dennis Shapovalov los.
Für den 32-Jährigen, der im Oktober zum zweiten Mal Vater geworden ist, hätte es kaum besser starten können. Er knüpfte dem um 134 Ränge besser platzierten Kanadier gleich das erste Aufschlagspiel ab und ging in Führung, gab diese im ersten Satz nicht mehr ab. 6:3 nach gerade mal 30 Minuten. Im zweiten Satz taute Shapovalov dann langsam auf, ergatterte sich mehrere Breakchancen und entschied ihn schließlich mit 6:4 für sich. Also ab in den dritten Satz.
Für Struff ein Neustart, den er nutzte. Vom deutlich größeren und lauteren Fanblock der Kanadier ließ Struff sich nicht irritieren, sondern er blieb bei sich. Erst, als er Shapovalov das nächste Aufschlagspiel abnahm und auf 3:1 erhöhte, nahm Struff die Fans wahr. Aus Frust zerhackt sein Gegner nämlich den Schläger, woraufhin er vom Publikum ausgebuht und der Deutsche umso lauter unterstützt wird. „Da war dann mal kurz Stimmung für mich“, stellte Struff später fest.
Wenige Minuten später servierte die Nummer 152 im Ranking dann zum Matchgewinn. Doch statt einem sicheren Aufschlagspiel folgt eine Zitterpartie. Struff versuchte seine Serve-and-Volley-Taktik durchzupressen – erfolglos. Er vergibt nicht nur einen Matchball, sondern kassiert gleich im Anschluss das Rebreak zum 5:3. Auch einen weiteren Matchball beim Stand von 5:3, 30:40, bei Aufschlag Shapovalov kann der Deutsche nicht nutzen, sodass es in den Tiebreak geht. Den entscheidet Struff schließlich souverän mit 7:2 für sich. Im Anschluss verrät er, dass er seine Taktik umgestellt habe. „Kohlmann hat mir gesagt, dass ich 15 Mal Serve-and-Volley gespielt habe und vielleicht drei Punkte gewonnen habe. Deshalb hat er mir davon abgeraten“, sagte Struff.
Otte: „Ich kann mir nichts vorwerfen“
Für Oscar Otte stand dann vor der Monster-Aufgabe, den Top-Ten-Spieler Auger-Aliassime zu schlagen. Mit toughen Grundlinienschlägen hielt der 29-Jährige dem aggressiven Spiel des Kanadiers bis zum Tiebreak entgegen. „Bis dahin habe ich mich eigentlich ganz gut gefühlt“, sagt Otte. „Mein Doppelfehler zu Beginn war unnötig. Dann ist der Tiebreak ein bisschen weggeplätschert.“
Auch im zweiten Satz blieb Otte an seinem Gegner dran und servierte aggressiv. „Felix hat gezeigt, warum er die Nummer 6 der Welt ist“, analysierte Teamkapitän Kohlmann im Nachgang. Also nicht verwerflich, dass der Deutsche eine knappe 6:7, 4:6 Niederlage einstecken musste. Das weiß er auch selbst: „Felix‘ Spiel war unglaublich drückend, er ist über mich hinweg gerollt. Ich hätte vielleicht einen Tick aggressiver spielen können. Aber ich bin bei mir geblieben, bin mit mir zufrieden und kann mir nichts vorwerfen“, so Otte.
Es lief also wie schon in den letzten drei Partien bei den Gruppenspielen: Über Sieg oder Niederlage mussten Krawietz und Pütz entscheiden. Im Gespräch mit tennis MAGAZIN vor der Partie hatte Pütz noch gescherzt: „Die Jungs machen es uns nicht leicht. Sie können nie mit 2:0 oder 0:2 vorlegen. Es hängt immer an uns.“ Doch bislang konnten Krawietz und Pütz ihrem Team immer den Sieg bescheren. 8:0 lautete die gemeinsame Bilanz des Erfolgsdoppels vor dem Showdown gegen Kanada. Seit 2017 hatte die deutsche Mannschaft kein Doppelmatch mehr verloren. Heißt: 15 Doppelsiege in Serie. Diesmal sprachen die Zahlen klar für Kohlmann und sein Team. Das machte Hoffnung.
Krawietz: „Wie die Fußballnationalmannschaft“
Während zu den Einzelspielen noch schätzungsweise 7.000 Zuschauer anwesend waren (9.800 passen in die Halle), leerten sich die Ränge, als es um 22:30 Uhr in das Entscheidungsmatch ging. Krawietz und Pütz legten selbstbewusst los, ließen keinen Zweifel daran, dass sie der Favorit in dieser Partie waren. Doch im zweiten Satz wendete sich das Blatt. Ihre Doppelgegner Pospisil und Shapovalov drehten voll auf. „Sie haben ihr Niveau unglaublich gesteigert, haben enorm aufgeschlagen. Wir haben keine Chancen mehr bekommen“, analysierte Kohlmann. Auch im dritten Satz blieben die Möglichkeiten für die Deutschen aus. Endstand nach einer Stunde und 43 Minuten: 6:2, 3:6, 3:6.
„Es war ein bisschen wie bei der deutschen Fußballmannschaft. Die spielen unglaublich bis zur 60. Minute. Wir spielen nur den ersten Satz und können es dann nicht zu Ende bringen“, verglich Krawietz. So humorvoll der Coburger auch zu sein versuchte, so deutlich standen ihm und seinem Doppelpartner aber auch die Frustration ins Gesicht geschrieben. „Ich schätze, dass keiner von uns nach Hause fährt und sagt: ‚Hey, war ein tolles Jahr, wir haben im Viertelfinale verloren.‘ Nein, wir sind hergekommen, um das Ding zu gewinnen“, sagte Pütz. „Es war eine harte Niederlage für uns.“, befand auch Krawietz, zeigte sich aber demütig. „Unsere ganze Mannschaft hat gezeigt, dass wir mit jedem mithalten können. Es spielt keine Rolle, wer für uns spielt“, so der 30-Jährige. Alle Spieler mussten sich eingestehen, dass die Kanadier an diesem Tag die bessere Mannschaft waren.
„Wir sind natürlich sehr enttäuscht. Aber ich denke in ein paar Tagen können wir erkennen, was wir in den letzten Jahren erreicht haben“, hoffte Pütz. Nun steht für das Team erst mal eine kurze Auszeit auf dem Programm: „Urlaub, Vorbereitung und dann kommt die Saison 2023“, merkte Krawietz kurz und knapp an. Im nächsten Jahr geht der Kampf um den Davis Cup-Titel dann wieder von vorne los. Vermutlich können Struff & Co. dann auch wieder auf die deutsche Nummer eins Alexander Zverev zählen. Pütz ist sich sicher: „Er würde uns noch in bisschen stärker machen.“ Und wer weiß, vielleicht reicht es dann im kommenden Jahr mit ein paar Prozentpunkten mehr zum Titel.nike air force 1 uv color change da8301 100 101 release date | nike outlet at tanger outlet mall