CINCINNATI, OH – AUGUST 19: Jannik Sinner of Italy during the final round of the Cincinnati Open on August 19, 2024, at

Jannik Sinner wurde im März positiv auf Clostebol getestet. Knapp ein halbes Jahr später wurde der Fall erst öffentlich gemacht.Bild: Imago/Ian Johnson

Dopingfall Jannik Sinner: Das Schreckgespenst im Tennis ist zurück

Im März wurde Jannik Sinner zweimal positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet. Erst fünf Monate später gab die „International Tennis Integrity Agency“ den Fall bekannt. Eine Sperre für den Weltranglistenersten gibt es nicht.

Ich mag Jannik Sinner. Ich halte ihn für einen grundguten Jungen. Dass er wissentlich dopt, halte ich für – vorsichtig formuliert – nicht wahrscheinlich. Aber es geht hier nicht um Sympathie. Doping ist das Schreckgespenst im Tennis. Ein Thema, an dem man sich leicht verbrennen kann. Es gibt die absurdesten Fälle. Erinnern Sie sich noch an den Fall Richard Gasquet? 2009 hatte er einen positiven Kokainbefund und wurde für zweieinhalb Monate gesperrt. Die Version des Franzosen: Er sei von einer Frau in einer Bar in Miami geküsst worden. So sei das Kokain in seinen Körper gedrungen. Absurd? Irgendwie schon. Am Ende bestätigte der Oberste Gerichtshof (CAS) in Lausanne die milde Strafe des unabhängigen ITF-Tribunals. Damals gab es die International Tennis Integrity Agency (ITIA) noch nicht. Ob man heute Gasquet mit Doping verbindet? Schwer zu sagen. Einen Makel aber gibt es.

Dopingfall Jannik Sinner erschüttert die Tennis-Welt

Gasquet war zwar ein Wunderkind des Tennis, aber mit Sinner ist er nicht zu vergleichen. Der Südtiroler ist die Nummer eins. Der Botschafter des Tennis. Das Gesicht einer Sportart, die natürlich damit wirbt, dass es bei ihr sauber zugeht. Mehr noch: Die Strahlkraft von Sinner geht weit über die gelbe Filzkugel hinaus. Insofern ist die Dimension eine ganz andere – unabhängig davon, was wirklich passiert ist. Unschön ist es in jedem Fall: Die beiden positiven Dopingtests von Sinner fanden am 10. und 18. März statt. Der erste war ein sogenannter „In competition“-Test beim Turnier in Indian Wells, der zweite ein „Out of competion“-Test. Das ist mehr als fünf Monate her und erst jetzt erfährt die Öffentlichkeit davon, weil der Fall abgeschlossen ist. Das Urteil der ITIA: keine Sperre für Sinner.

Merkwürdige Angelegenheit

Nachvollziehen kann man das per 35-seitigem Paper, das die Kommission am 20. August veröffentlicht hat. Es ist schwere Kost, aber der Fakt, dass die Substanz, das verbotene Steroid Clostebol, das man bei ihm fand, nur in geringer Menge bei Sinner vorlag, war wohl ausschlaggebend für das Urteil. Wie bei Gasquet ist es ein sonderbarer Fall. Die Kurzform: Sinners Physiotherapeut Giacomo Naldi hat eine Wunde am Finger. Er verarztet sie mit einem Spray. In dem Spray ist die verbotene Substanz. Naldi massiert Sinner, der ebenfalls eine Wunde hat und die Substanz dringt in dessen Körper ein. Ist das möglich? Ja. Ist es eine verrückte Geschichte? Auf jeden Fall.

Kyrgios fordert harte Strafe für Jannik Sinner

Und so gibt es Profikollegen wie Nick Kyrgios, der zwei Jahre Strafe für Sinner fordert. Was ich mich frage: In Summe war Sinner fünf Tage suspendiert. Vor dem Turnier von Madrid war nicht klar, ob er spielen wird (es stand dann aber fest: er durfte). Die 400 Punkte von Indian Wells und das Preisgeld, rund 300.000 Dollar, wurden Sinner gestrichen. Das ist zumindest eine Mini-Strafe. Wenn Sinner aber laut ITIA unschuldig ist, warum wird er bestraft?

Wie gesagt: Ich mag Sinner. Ich traue ihm nicht zu, verbotene Substanzen zu nehmen. Aber es ist eine merkwürdige Geschichte.