Durch die Nacht mit Angie
Im zweiten Satz passiert dann das, womit ich eigentlich von Beginn an gerechnet hatte. Azarenka dominiert mehr und mehr die Duelle von der Grundlinie. Sie serviert besser, gibt den Ton an. Nach frühem Break führt sie 3:1. Angie bekommt jetzt mehr und mehr Probleme. Vor allem beim ersten Aufschlag. Der Prozentsatz erster Aufschläge verringert sich von 75 Prozent im ersten Durchgang auf 53 Prozent im zweiten Satz. Jetzt kann jeder deutlich sehen, wohin die Reise geht. Kerber kann ihre Aufschlagspiele nicht mehr durchbringen, Azarenka hingegen schafft das relativ locker, macht auch nicht mehr so viele Fehler. 2:5 aus Sicht von Kerber, dann erspielt sich „Vika“ bei eigenem Aufschlag drei Satzbälle – 40:0. Kerber hat den zweiten Satz doch schon lange abgehakt, geht es mir durch den Kopf. Aber im dritten Druchgang wieder ins Match zu finden, wird nicht einfach, wenn eine Spielerin wie Azarenka einen Lauf hat, wird es ganz schwer. Wenn eine Top-Spielerin zu schlagen ist, dann doch eher in zwei als in drei Sätzen. Am Ende regeln die Großen es eben immer doch noch irgendwie.
Kerber startet ihre irre Aufholjagd im zweiten Satz
Aber dann beweist mir Kerber, dass ich sie in diesem Match deutlich unterschätzt habe. Ein Fehler von Azarenka, drei Winner in Folge von Kerber und ein Doppelfehler. Break Kerber! Angie ist zurück. Ihr Aufschlagspiel bringt sie in der Folge auch noch durch. 4:5 aus Sicht der Deutschen. Azarenka hat die zweite Chance auszuservieren und erspielt sich erneut zwei Satzbälle. Aber wieder liefert Kerber ab, erneut returniert sie im entscheidenden Moment nervenstark und spielt mutig, vor allem über ihre Rückhand, auf die sie sich das ganze Match über verlassen kann. Einstand.
WAHNSINN! Kerber schlägt Azarenka zum ersten Mal in ihrer Karriere.
Azarenka versagen jetzt die Nerven – Doppelfehler und Breakball für Angie Kerber. Die Deutsche zeigt nun, dass sie bereit ist für ihr nächstes Grand Slam-Halbfinale. Mit einer starken Vorhand-Longline holt sie sich das Break zum 5:5. Die Partie kann sie gar nicht mehr verlieren! Vor allem darf sie sie nicht mehr verlieren. Wer fünf Satzbälle abgewehrt und aus 2:5 ein 5:5 gemacht hat, muss das Match jetzt nach Hause bringen. Was für eine fantastische Einstellung von Kerber. Azarenka macht wieder einfache Fehler, ihr Siegesglaube ist langsam erloschen. Mit 6:5 geht Kerber in Führung und so wie sie spielt ist klar, dass der Satz nicht im Tiebreak entschieden wird. Kerber returniert zweimal stark und nach einem weiteren Fehler hat sie ihren ersten Matchball. Und den nutzt sie! Wahnsinn! Wieder die Vorhand, mit der sie schon das ganze Match mutig agierte, viel riskierte und am Ende alles gewann. Was für ein Match von Kerber.
Nachdem ich noch einige Minuten Kerbers zurecht überschwänglichem und noch ungläubigen Jubel folgte, schaute ich auf die Uhr meines Handys – kurz nach drei in der Nacht. Noch immer saß ich aufrecht vor dem Fernseher. Von meiner anfänglichen Müdigkeit war nichts mehr zu spüren. Letztendlich hat es sich mehr als gelohnt wach zu bleiben. 104 Minuten offensives Tennisspektakel lagen hinter und eine sehr kurze Nacht vor mir.
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