Tennis – Olympics: Day 8

RIO DE JANEIRO, BRAZIL - AUGUST 13: Juan Martin Del Potro of Argentina reacts after defeating Rafael Nadal of Spain in the Men's Singles Semifinal Match on Day 8 of the Rio 2016 Olympic Games at the Olympic Tennis Centre on August 13, 2016 in Rio de Janeiro, Brazil. Del Potro defeated Nadal 5-7, 6-4, 7-6(5). (Photo by Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Juan Martin del Potro und der Glaube an Olympia

Es ist Zeit für ein Geständnis: Vor Beginn der Olympischen Spiele in Rio hatte ich keine Lust auf dieses Mega-Event. Doping, Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Umweltsünden – ne, das wurde mir alles zu viel. Sollen sich doch alle anderen für die vom IOC mit aller Macht in Szene gesetzten Heldengeschichten begeistern – ich werde diesem einfachen Mechanismus nicht auf den Leim gehen. Schöne Bilder von schönen Athleten, die alles geben, sich verausgaben und am Ende ihre Medaillen stolz um den Hals hängen haben, damit das IOC sich in ihrem Glanze sonnen kann. Das ist so durchschaubar wie verlogen.

Spezielle Gemengelage im Tennis

Holger Gertz, sportaffiner Autor der Süddeutschen Zeitung, hat es in seinem Seite-Drei-Artikel der Samstagsausgabe so treffend wie kein anderer formuliert: „Je länger man Olympia anschaut – und je älter man wird – desto klarer zeichnen sich die Umrisse des Spiels ab, das die IOC-Bosse spielen. Sie leihen sich den Esprit der Athleten, den Glamour ihrer Schönheit, auch den Charme der rührenden Entschlossenheit all derer, die überfordert sind. […] Sie nutzen die Begeisterungsfähigkeit und den Wagemut dieser jungen Leute, sie kalkulieren auch mit deren naiven Blick. Um ein Image zu schaffen: Olympia als bessere Welt. Aber von den Bossen selbst wird dieses Image ständig konterkariert.“

Speziell im Tennis kam zu dieser Gemengelage hinzu, dass namhafte Profis – aus welchen Gründen auch immer – den Spielen fernblieben. Meine ganz persönliche Ansicht dazu verfestigte sich irgendwann in der steilen These: Tennis hat bei Olympia eigentlich nichts verloren. Vielen Profis sind unterm Strich eben doch Weltranglistenpunkte und Preisgelder, die es in Rio nicht gab, wichtiger. Und Olympia ist nur ein weiteres Turnier im eh schon dichten Terminkalender. Ein Wimbledontitel, den man jedes Jahr gewinnen kann, ist am Ende des Tages den meisten Spielern doch mehr wert als eine olympische Medaille, die man nur alle vier Jahre erringen kann. Also, überlasst die olympische Plattform den Sportarten, die sie wirklich brauchen. Denn Tennis braucht sie eigentlich nicht.

del Potro

MÜDE, ABER ENTSCHLOSSEN: Juan Martin del Potro in Rio.

Und dann kam Juan Martin del Potro. Er litt, er quälte sich, er kämpfte immer weiter und gab nie auf – in all seinen sechs Matches des Olympischen Tennisturniers riss er die Fans mit und lieferte genau das ab, was man sich beim IOC doch so sehr wünschte: Heldenfotos, Siegerposen, Kämpferqualitäten, Tränen, innige Umarmungen mit den Gegnern.

Beim Halbfinale gegen Rafael Nadal wurde mein Widerstand gebrochen. Ich konnte der Anziehungskraft dieser Schlacht nicht länger widerstehen und hing auf einer Party am Samstagabend nur noch am Liveticker meines Smartphones, saugte Bilder und Einschätzungen des Matches bei Twitter auf und freute mich über jeden Videoschnipsel zur Partie, den das Netz hergab. Spätestens nach dem Einzug del Potros ins Finale waren meine Vorbehalte, die ich eine Woche schwer mit mir rumtrug, verflogen.

Warum? Weil sich in Juan Martin del Potro jene olympischen Tugenden ballen, die für mich Jahrzehnte – als Hobbysportler und Sportjournalist – prägend waren, die zuletzt aber immer mehr verwässerten und von Zweifeln überlagert wurden. „Delpo“ nun gab mir ein fast schon verlorenen geglaubtes Grundgefühl zurück: Dass es sich als überbezahlter und kräftig gepimpter Tennisprofi noch lohnt, sich für eine Medaille bei Olympischen Spielen zu zerreißen. Mehr als 22 Stunden stand er auf dem Platz, um am Ende die Silbermedaille zu gewinnen. Auch nach längerer Recherche konnte ich keinen anderen Olympioniken finden, der länger für eine Medaille kämpfen musste. Selbst die Mannschaftssportler, die in der Endphase ihrer Wettbewerbe um Edelmetall spielen, kommen nicht auf solche Gesamtspielzeiten.

Vor neun Monaten trainierte del Potro die ersten Rückhände nach seiner dritten OP am linken Handgelenk – hier im Video:

Dabei hätte del Potro das alles nicht wirklich nötig gehabt. Wenn er zu denjenigen gehört hätte, die beim parallel zu Rio im mexikanischen Los Cabos veranstalteten ATP-Turnier antraten, hätte sich ein Aufschrei in sehr überschaubaren Grenzen gehalten. Die meisten hätten verständnisvoll darauf reagiert, weil del Potro nach Jahren von Verletzungen, Rehas und gescheiterten Comebackversuchen endlich wieder auf dem Weg nach oben ist und für ihn Weltranglistenpunkte (mit Position 141!) eine andere Relevanz besitzen als etwa für US-Profi John Isner, der als Top 20-Spieler lieber sein Heimturnier in Atlanta in der Olympia-Vorwoche als in Rio spielte – und dafür noch eine üppige Antrittsgage kassierte. Außerdem gewann del Potro in London 2012 eine Bronzemedaille. Und wenn man ehrlich ist: Dass er diese Leistung in Rio übertreffen würde, war mehr als unwahrscheinlich.

Die gefürchtete „Tomahawk-Vorhand“

„Als ich die Auslosung sah, habe ich eigentlich mehr ans Barbecue zu Hause als an eine Medaille gedacht“, versicherte del Potro originell. In der ersten Runde besiegte er den Weltranglistenersten Novak Djokovic, was für sich genommen schon eine Riesen-Story war. Danach ackerte er sich bis ins Finale durch. Von Spiel zu Spiel wirkte er müder, matter.

del Potro

KNACKPUNKT IM FINALE: Del Potro servierte zum 2:2-Satzausgleich, kassierte aber das Break. Wenig später war er geschlagen.

Im Endspiel gegen Murray war er eigentlich von Beginn an stehend K.o., aber er lief weiter, er prügelte wie ein Präzisionsuhrwerk seine gefürchtete „Tomahawk-Vorhand“ (hier geht es zur Schlaganalyse!) in die gegnerische Hälfte und irgendwann schien er – von der argentinisch dominierten Kulisse – durchs Stadion getragen zu werden. Bei 1:2-Satzrückstand und 5:4-Führung im vierten Durchgang hatte er es auf dem Schläger, diesem Match noch eine weitere Wendung zu geben – aber dann verließen ihn endgültig die Kräfte. Murray bekam den Applaus für die Goldmedaille, del Potro aber erhielt ihn als Sympathiebekundung – selbst von einigen Brasilianern, die vorher vermutlich noch nie einem argentinischen Sportler zugejubelt hatten.

Del Potro verzichtete für seine schwer erkämpfte Silbermedaille auf Weltranglistenpunkte, Preisgelder und Antrittsgagen. Er wird mit den Nachwirkungen dieser hohen Belastungen einige Tage, wenn nicht sogar Wochen, zu tun haben. Schließlich ist es mehr als drei Jahre her, dass er zuletzt vergleichbar oft bei einem Turnier auf dem Platz stand: Beim Wimbledon-Turnier 2013 verlor er nach fünf Siegen erst im Halbfinale gegen Novak Djokovic. Natürlich wird nun kräftig spekuliert, wann del Potro aus den „Big Four“ (Djokovic, Murray, Nadal, Federer) endlich die „Big Five“ formen wird. Es ist eine Zielvorgabe, an der er schon vor seinen vielen Zwangspausen scheiterte (hier geht es zum Rückblick auf seine Karriere!). Schafft er es dieses Mal? Vielleicht schon in New York bei den US Open, die er 2009 sensationell gewann?

„Delpo“, so die große Hoffnung, kann die ATP-Tour spannender und ausgeglichener gestalten. Mir hat er durch seine Auftritte in Rio den Glauben an die olympische Idee zurückgegeben.