Mail aus Lille: Alles dreht sich um Roger Federer
Man hätte die Eröffnungsfeier für das Davis Cup-Finale kaum pompöser inszenieren können. Donnerstag, 11:30 Uhr: In zig Bussen werden die Journalisten zur Handelskammer auf dem Place du Theatre im Zentrum von Lille gekarrt. Vor dem Eingang stehen bereits eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung Dutzende Fotografen, Kamerateams, Fans und Touristen. Jo Wilfried Tsonga, Gael Monfils und Co. gegen Roger Federer und Stan Wawrinka – eine ganz große Nummer in Lille.
Das Ambiente in den Räumlichkeiten erschlägt einen: Decken fast so hoch wie in einer Kirche, prunkvolle Säulen mit Stuck, massive Kronleuchter. Vorn auf dem Podest ist der Pokal aufgebaut, auf einem kleinen Thron, ganz feierlich. Die so oft zitierte hässlichste Salatschüssel der Welt wirkt aus der Nähe gar nicht so hässlich. Im Gegenteil. Sie lässt einen für einen kurzen Moment ehrfürchtig erstarren und in Erinnerungen denkwürdiger Matches schwelgen. Um die Trophäe herum tummeln sich die Kollegen, knipsen Fotos wie in einem Museum. Insgesamt sind mehr als 400 Pressefuzzis (inkl. Fernsehteams) für das Davis Cup-Finale akkreditiert – deutlich mehr als bei den Endspielen der vergangenen Jahre. Als deutscher Journalist (es sind gerade einmal zwei in Lille vor Ort) ist man ein solches Brimborium um den Davis Cup nun wirklich nicht mehr gewohnt. Als das Team um Boris Becker und Eric Jelen 1989 in Stuttgart gegen Schweden den Titel gewann, soll es vorher ähnlich turbulent zugegangen sein.
In diesem Jahr ist der Grund für das Rieseninteresse klar: Es dreht sich alles um Roger Federer und seine historische Chance, den letzten noch fehlenden großen Titel zu gewinnen. Vor allem aber dreht sich alles um seinen Rücken. Seit der 33-Jährige am Sonntag das Endspiel in London absagen musste, schwemmt täglich eine Flut neuer Wasserstandsmeldungen durch soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook. Als Federer am Mittwochabend erstmals wieder trainierte, wurden Fotos seiner Einheit im World Wide Web gefeiert wie ein Nachwuchs im englischen Königshaus. Auch die Schweizer Pressevertreter atmeten einmal etwas tiefer durch als sonst. „Ein Finale ohne Federer wäre für uns alle eine Katastrophe“, erzählt ein Kollege. Ein wenig muss man an Michael Ballack und die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 denken. Damals zitterte die Nation tagelang um die Wade des Capitanos. Diesmal ist es eben der Rücken des Schweizer Maestros.