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Mail aus Melbourne: Amerikanischer Aufschwung

Am heutigen Donnerstag ist „Australia Day“ – der australische Nationalfeiertag. Und so donnerten gegen Mittag Kampfjet-Formationen lautstark dröhnend über die Rod-Laver-Arena. Geschmacksache, ob militärisches Macht-Getöse generell und speziell in diesen Zeiten eine gute Idee ist.

Es gibt andere Überflieger, die mir mehr Spaß machen. Die sportlichen, mit denen man so nicht rechnen konnte. Bezogen auf die Australian Open fällt dabei auf, dass sich eine ganz große Tennis-Nation wieder aufmacht, mit Masse und Klasse Richtung Spitze vorzustoßen: die USA.

Momentaufnahme oder Trend? Eher Trend. Vermutet der in der USA lebende Tommy Haas. „Die USA haben wieder sehr interessante und sehr starke Spieler“, sagt Haas, der hier bei den Australian Open vor Ort ist und bei den Legenden-Matches eine immer noch erstaunliche Fitness an den Tag legt.

Der letzte Grand Slam-Triumph durch einen männlichen US-Profi liegt genau zwei Jahrzehnte (!) zurück. 2003 hatte Andy Roddick die US Open gewonnen, Anfang des Jahres 2003 zuvor Andre Agassi in Melbourne (gegen Rainer Schüttler übrigens).

Bei den Frauen gab es den letzte US-Titel vor drei Jahren (Sofia Kenin in Melbourne 2020). Aber auch dort drängte sich der Eindruck auf, dass nach dem Karriere-Ende von Serena Williams eine längere US-Tennis-Durststrecke beginnt.

Das US-Tennis ist titeltauglicher

Doch urplötzlich sieht die Zukunft des US-Tennis wieder viel titeltauglicher aus. Zumal besonders interessante Spielertypen ins Rampenlicht rücken. So hat sich Tommy Paul (25), die Nummer 35 der Welt, hier in Melbourne geradezu sensationell ein Halbfinale gegen Novak Djokovic erspielt. Ja, da ist er krasser Außenseiter. Djokovic hat noch nie (!) ein Halbfinale der Australian Open verloren. Aber Paul zieht sein Selbstbewusstsein aus seinem ganz persönlichen Trend. 2018 lag er noch als „No Name“ auf Weltranglistenplatz 201, seitdem: 90, 54, 43, 32.

In der ersten Runde hatte er übrigens Deutschlands Nummer 5, Jan-Lennard Struff, in drei Sätzen humorlos abgefertigt. Im Viertelfinale hatte Paul das US-Duell gegen Ben Shelton gewonnen. Shelton ist erst 20 Jahre jung – und perspektivisch ein fast noch spannenderer Typ als Paul. Noch 2021 stand er im ATP-Ranking auf Platz 568. Noch nie hat er einen Titel gewonnen, noch nie hat er außerhalb der USA gespielt. Doch nun liegt der Linkshänder immerhin schon auf Platz 89 und hat sich einen Namen gemacht. Auch hier gilt: „the trend is his friend.“

Besonders auffällig ist gleichwohl ein US-Talent mit einem großen Namen. Sebastian Korda (22), Sohn von Petr Korda (Sieger Australian Open 1996). Korda junior spielt spektakuläres Tennis, ist neben Dynamik und Athletik mit einem herausragenden Ballgefühl ausgestattet. Er war und ist ein Sport-Multi-Talent, wollte eigentlich Eishockey-Profi werden. Noch immer spielt er das regelmäßig. Korda liegt auf ATP-Rang 31. Hier in Australien verlor er das Viertelfinale gegen Karen Khachanov. Er musste mit einem verletzten Handgelenk aufgeben. Trotzdem: Seine Perspektive ist großartig. Zumal er als Persönlichkeit über echtes Star-Potenzial verfügt. Seine Schwester Nelly ist übrigens Golf-Olympiasiegerin!

Überholspul-Amerikaner

Zwei weitere Überholspur-Amerikaner ­– wenn auch vom Talent her keine Überflieger – stoppten hier zwei weitere Deutsche. Der Lucky Loser Michal Mmoh (25) warf in der zweiten Runde Alexander Zverev raus. Bereits in der ersten Runde war Deutschlands Nummer drei, Daniel Altmaier, gegen Frances Tiafoe (25) chancenlos. Tiafoe spielt „Streetfighter-Tennis“, seiner Herkunft in herausforderndem Umfeld entsprechend. Er hat sich bereits bis auf Platz 17 der Weltrangliste vorgearbeitet. Taylor Fritz (25) hat keine guten Australian Open gespielt, Aus in zweiter Runde), auf ATP-Rang neun ist er dennoch der am besten platzierte US-Boy.

Kurzum: In der erweiterten Spitze sind die US-Amerikaner so breit vertreten, dass von ihnen wieder Turniersiege zu erwarten sind. Nicht zwingend direkt bei den Grand Slams, aber definitiv bei anderen hochwertigen Turnieren.

Und bei den Frauen? Da hatte mit Jessica Pegula (28) die letzte US-Vertreterin in Melbourne im Viertelfinale gegen Victoria Azarenka die Segel streichen müssen. Aber die Weltranglistendritte hat die Klasse, Turniere zu gewinnen.

Zweite Top-Ten-Spielerin der USA ist Coco Gauff (Rang sieben). Mit 19 Jahren gilt sie noch immer als Wunderkind. Das ist so, seit sie im Vorjahr das Finale der French Open erreicht hat. Seitdem hat sie es jedoch schwer. Es wirkt, als würde sie überfrachtet mit (eigenen) Erwartungen und Verpflichtungen. Auch hier in Melbourne schied sie bereits im Achtelfinale gegen Jelena Ostapenko aus. Danach weinte Gauff bittere Tränen. Der Druck.

Es ist nicht leicht, als Überflieger oder Überfliegerin wahrgenommen zu werden.

Erst recht, wenn man daran zweifelt, ob man das überhaupt ist.nike air jordan 1 factory outlet | air jordan 1 retro high og heritage release date