Mail aus Wimbledon: Marcus Willis ist wieder da
tennis MAGAZIN-Chefredakteur Andrej Antic berichtet in seiner Kolumne „Mail aus Wimbledon“ täglich aus London vom All England Lawn Tennis and Croquet Club.
Faible für Cola und Snickers
Die schönsten Geschichten sind oft die abseits von den großen Bühnen. Andy Warhol, der vor 30 Jahren verstorbene, etwas abgedrehte Künstler und Filmregisseur, hat einmal gesagt: „In Zukunft wird jeder Mensch für 15 Minuten weltberühmt sein.“ Okay, im Fall von Marcus Willis war es fast eine Woche. Der Tenniscoach aus Warwick, Großbritannien, war letztes Jahr die große Story in Wimbledon. Über zwei Quali-Turniere spielte sich die damalige Nummer 775 der Weltrangliste ins Hauptfeld, schlug Ricardas Berankis (Nummer 54) und schenkte sich selbst einen Centre Court-Auftritt gegen Roger Federer.
Die Geschichte war auch deswegen so gut, weil man sich so gut mit ihm identifizieren konnte. Willis ist der Normalo, der Mann von der Straße, der sich plötzlich auf dem berühmtesten Platz der Welt wiederfindet. So als hätte eine Laune der Natur ihn dahin gespült, wo er eigentlich nicht hingehört. Ein Typ, der Schulden hat, der zum Übergewicht neigt, Cola und Snickers mag, mit der U-Bahn zur Anlage fährt. Der für ein paar Euro in der Regionalliga für den Kölner Tennisverein Marienburger Sport-Club (MSC) antritt und ansonsten Trainerstunden für 30 Pfund gibt.
Rundum zufrieden
Vor einem Jahr waren alle elektrisiert von der Willis-Story: die Mitspieler im MSC, die Fans weltweit, die Spieler in Wimbledon. Vor allem Federer, sein Gegner in der zweiten Runde. „Ich wollte, dass er ein cooles Erlebnis hat“, sagte der Schweizer Gentleman damals. Und Willis hatte sein cooles Erlebnis, trotz Dreisatz-Niederlage.
Natürlich steckte, wie bei jeder schönen Geschichte, eine Frau dahinter: Jennifer Bate, Zahnärztin, bildhübsch. Sie wollte ihren Freund siegen sehen. Sie überzeugte ihn, dass er ein guter Tennisspieler sei. Sie half ihm, dass er an sich glaubte.
Und jetzt? Was ist passiert nach einem Jahr? Am Mittwochabend um 19.45 Uhr sitzt Willis im kleinen Interviewraum zwei. Soeben hat er mit seinem 18-jährigem Partner Jay Clarke sein Doppel gewonnen. In fünf Sätzen. „Es kann nicht viel besser sein“, sagt er grinsend.
Vater und Ehemann
Ein paar Stunden zuvor auf Platz 9. Es steht 0:2 in Sätzen gegen Willis und Clarke. Eigentlich hätte man sich vorgestellt, dass mehr los ist nach dem Hype von 2016, aber es gibt kein Gedränge, kein besonderes Interesse an dem Match. Was sich aber im fünften Satz komplett ändern soll. „Die Stimmung war riesig. Die Leute standen auf den Bänken und haben uns gefeiert“, sagt Willis, Clarke nickt. Im Einzel ist Willis, der 26-Jährige, die Nummer 380. Clarke steht auf Position 368. Einzel hat Willis auch gespielt – aber die Quali nicht überstanden.
Jetzt also Doppel. Aber die entscheidende Frage: Was ist in der Zwischenzeit passiert? Jenem Mittwoch, als er dem besten Spieler in der Geschichte des Tennis gegenüberstand, und dem Mittwoch, an dem er als Doppelspieler in den All England Club zurückkehrte? Zunächst: „Federer“, sagt Willis, „habe ich noch nicht gesehen. Die gesetzten Spieler haben ihre eigenen Umkleidekabinen.“ Ansonsten hat sich eine Menge getan, etwas, das viel wichtiger ist, als gelbe Filzkugeln durch die Gegend zu prügeln. Willis hat seine Zahnärztin geheiratet und ist Vater geworden. Er spielt immer noch für den MSC (Bilanz in dieser Saison 1:1) und freut sich, demnächst wieder auf Tour zu gehen.
Aber erst einmal steht zumindest ein Match noch an. Gegen die an Position zwei gesetzten Piere-Hugues Herbert und Nicolas Mahut. Es sind die Vorjahressieger. „Leichte Auslosung“, grinst Willis, „Ich bin Meister darin, gute Zweitrunden-Lose zu bekommen.“
Wie es auch ausgeht: Willis wird es genießen – und man freut sich mit ihm. Auch weil die kleinen Geschichten am Rand oft die schönsten sind.cheap air jordan 1 low | cheapest place to get jordan 1