Peng Shuai: Chinas traurige Propaganda-Show
Ein inszeniertes L’Équipe-Interview, Besuche bei Olympischen Wettbewerben und ein Treffen mit IOC-Präsident Thomas Bach: Im Fall Peng Shuai läuft Chinas Propaganda-Maschine auf Hochtouren.
Peng Shuai sieht auf dem Cover der französischen Sporttageszeitung L’Équipe gelöst und glücklich aus. Mit roter Trainingsjacke, die zum Outfit des chinesischen Eishockeyteams gehört, blickt sie lächelnd aus den tiefen Fenstern des offiziellen Hotels des Chinesischen Olympischen Komitees (COC) auf das unter ihr liegende Peking. „Mein Leben war so, wie es sein sollte: nichts Besonderes …” lautet die ins Foto montierte Schlagzeile. Es geht kaum unspektakulärer. Alles ist gut, alles voll harmonisch hier in der plötzlichen Wintersportstadt Peking, in der gerade die Olympischen Winterspiele stattfinden.
[ENGLISH VERSION] For the first time since her public reappearance and the turmoil caused by her 2 November message, Chinese tennis player Peng Shuai talks to an international and independent medium. https://t.co/8ygjVnKZOz pic.twitter.com/cGA57iwhDA
— L'ÉQUIPE (@lequipe) February 6, 2022
Es ist eine perfekte Inszenierung. So sollen sich alle Sorgen der westlichen Länder um die einstige Nummer eins der Damen-Doppelweltrangliste einfach verflüchtigten. Tatsächlich aber sind sie so groß wie noch nie seit Beginn des Falls Peng Shuai.
Kurze Rückblende: Peng Shuai veröffentliche Anfang November 2021 auf der chinesischen Social Media-Plattform Weibo einen Post, in dem sie dem ehemaligen Vizepremierminister Chinas, Zhang Gaoli (75), vorwarf, er habe sie früher gegen ihren Willen sexuell bedrängt und missbraucht. Eine halbe Stunde später war der Beitrag verschwunden – genauso wie Peng Shuai selbst. „Where is Peng Shuai?”, fragte sich der Rest der Welt. Es folgten: diplomatische Verstimmungen zwischen westlichen Ländern und dem chinesischen Regime, offensichtlich von den Machthabern orchestrierte Auftritte Peng Shuais in der Öffentlichkeit und schließlich ein Dementi der 35-Jährigen gegenüber einer Zeitung aus Singapur, die auf Chinesisch erscheint: Sie hätte die Vorwürfe gar nicht erhoben, lebe frei in Peking und stehe nicht unter Aufsicht – ein großes Missverständnis also.
Traurig-verlogenes Schauspiel vor aller Welt
In der Zwischenzeit hatte die WTA-Tour ihre Drohung, alle Damenturniere aus China abzuziehen, solange den von Peng Shuai erhobenen Vorwürfen nicht nachgegangen wird, tatsächlich umgesetzt. Stand jetzt wird es 2022 kein Damentennis auf höchstem Level in China geben, dem größten Wachstumsmarkt der WTA-Tour während der letzten 20 Jahre. WTA-Boss Steve Simon, dem Menschenrechte offensichtlich wichtiger als Geld sind, bot China die Stirn: „Ich kann unsere Athletinnen nicht guten Gewissens bitten, dort anzutreten, wenn Peng Shuai nicht frei sprechen darf und anscheinend unter Druck gesetzt wurde, ihren Vorwurf der sexuellen Übergriffe zurückzunehmen.” Für seine Courage wird Simon seitdem derart abgefeiert, wie es ein Sportfunktionär wohl noch nie erlebt hat.
Wie es Peng Shuai nun wirklich geht, weiß niemand genau, doch es steht zu befürchten, dass sie Teil einer minutiös geplanten Propaganda-Show inmitten der Olympische Spiele in Peking ist. Erst war sie verschwunden, jetzt wird sie herumgereicht. Es ist ein traurig-verlogenes Schauspiel – und wir, die Menschen der westlichen Welt, schauen dabei zu.
Kein aussagekräftiges Interview mit Peng Shuai
Wir sehen Peng Shuai als lachende Marionette auf dem L’Équipe-Cover, als Sitznachbarin des unsäglichen IOC-Präsidenten Thomas Bach bei Olympischen Wettbewerben und als patriotische Zuschauerin, der ihre Landsleute beim Curling, Eiskunstlaufen und Freestyle-Ski eifrig anfeuert. Das Sportlerbündnis Global Athlete schrieb dazu in den sozialen Netzwerken: „Peng Shuai besucht Sportstätten. Sie scheint ruhig, lächelnd. Das IOC erzählt, es gehe ihr gut. Es sollte einem Magenschmerzen verursachen. So verdeckt man etwas. Man macht es vor der ganzen Welt.”
Das Interview in der L’Équipe hat die Bezeichnung streng genommen nicht verdient, was die Zeitung auch selbst einräumt und die Aussagekraft des Gesprächs stark anzweifelt. Als erstes ausländisches Medium traf die L’Équipe zwar Peng Shuai am Sonntag, doch die Fragen mussten zuvor eingereicht werden und die Antworten kamen von Wang Kan, dem Stabschef des COC. Peng Shuai sprach Chinesisch, der Funktionär übersetzte ihre Antworten.
Am Ende wurde – welch Überraschung – natürlich nur das gesagt, was den olympischen Zauber und das chinesische Regime nicht weiter stört. Der Weibo-Post von Anfang November? Ach, den habe sie selbst gelöscht und sie wolle keinen „weiteren Medienhype darum”. Auch sei sie niemals verschwunden gewesen, „jeder konnte mich sehen”, sagte Peng. Und weiter: „Viele Menschen wie meine Freunde, auch vom IOC, haben mir Nachrichten geschickt. Und es war einfach unmöglich, auf so viele Nachrichten zu antworten.”
WTA fordert Untersuchung und Vier-Augen-Gespräch
WTA-Boss Steve Simon reagierte so wie in den letzten Monaten auch: höflich-kritisch. „Das jüngste Interview von Angesicht zu Angesicht lindert nicht unsere Bedenken, was ihren ursprünglichen Social-Media-Post vom 2. November angeht”, so Simon in einem WTA-Statement. „Es ist immer schön, sie zu sehen, sei es in einem Interview oder als Zuschauerin bei den Olympischen Spielen. Doch, um unsere Ansicht zu wiederholen: Peng Shuai hat einen mutigen Schritt gemacht, indem sie mit dem Vorwurf an die Öffentlichkeit ging, von einem führenden Mitglied der chinesischen Regierung sexuell missbraucht worden zu sein. Wie wir es bei allen unseren Spielerinnen weltweit tun würden, haben wir eine formelle Untersuchung der Vorwürfe durch die zuständigen Behörden und eine Gelegenheit für die WTA gefordert, sich mit Peng – unter vier Augen – zu treffen, um ihre Situation zu besprechen.”
Ob es jemals dazu kommen wird? Einen #MeToo-Fall mit Vergewaltigungsvorwürfen, die sich gegen einen mittlerweile pensionierten Politiker aus dem innersten Machtzirkel Chinas richten, der als verantwortlicher Koordinator für die Planung der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking fungiert hatte, wird es in China nicht geben – Punkt.
Das traurige Schicksal Peng Shuais fasste am Sonntag in einem Interview mit der englischen Wochenzeitung The Observer der chinesische Künstler und Menschenrechtler Ai Weiwei so zusammen: „Sie befindet sich in den Händen der Kommunistischen Partei. Es gibt keinen Geist mehr für sie. Sie ist ein anderer Mensch geworden, und was immer sie Ihnen erzählt, ist nicht wahr.”nike air jordan 1 factory outlet | air jordan 1 retro high og chicago release date