Rafael Nadal Announces His Retirement File photo dated June 28, 2022 of Rafael Nadal (ESP) during his first round match

Was für eine Karriere: Mit Rafael Nadal tritt einer der ganz großen Athleten des Weltsports zurück. Bild: IMAGO / ABACAPRESS

Rafael Nadal: Er wird fehlen

Rafael Nadal hat seinen Rücktritt vom Profitennis in einer viereinhalbminütigen Videobotschaft verkündet. Aller Voraussicht nach wird man ihn noch zweimal als Profi auf einem Platz sehen: beim „Six King Slam“ in Saudi-Arabien Mitte Oktober und beim Davis Cup-Finale in Malaga vom 19. bis 24. November. Gedanken zu einer unfassbaren Karriere.

Wenn etwas Außergewöhnliches passiert, gehen sofort die Antennen an. Um 11:22 bekam ich ein Video von Nadals PR-Mann Benito Perez-Barbardillo zugespielt. Während ich diese Zeilen schreibe, befinde ich mich in Bol auf Brac, einem kleinen Ort auf einer Insel in Kroatien. Die Firma Hannes Zischka Tennisreisen veranstaltet ein Tennis-Camp. Ich war gerade dabei, einen Court für den Nachmittag zu buchen. Angenehme 20 Grad, rote Asche mit Blick auf die Adria. Ab und zu blitzt die Sonne hinter den Wolken auf, die sich am Nachmittag auflösen sollen.

Das erste Bild des Videos hat mich sofort in eine andere Welt katapultiert. Traurige Augen von Nadal. Ein Durchschnaufen, gerader Blick in die Kamera. Damit beginnt der 4:36 Minuten-Clip. Es war sofort klar, was jetzt kommt. „Rafa“ verkündet sein Karriereende. Ich habe nicht verfolgt, wie schnell die bewegten – und bewegenden – Bilder viral gingen. Es wird nicht lange gedauert haben, bis die globale Filzball-Community wusste: Es gibt einen Cut, eine Zäsur. Zu sagen, die Tenniswelt ist künftig eine andere, klingt pathetisch. Aber es ist ja so: Nach Federer geht die nächste Mega-Karriere zu Ende. Die Zahlen sprechen ohnehin für sich: 22 Grand Slam-Titel, 14 Roland Garros-Triumphe, 92 Turniersiege insgesamt, Davis Cup-Gewinner, 209 Wochen die Nummer eins. Aber im Fall Nadal war da noch mehr: der USP, wie Marketingleute es nennen. Nadal war einmalig in der Art, wie er spielte, wie er auftrat.

Nadals Karriereende kam nicht überraschend

War das Karriereende für mich überraschend? Nein. Aber wenn es dann so weit ist, haut es selbst den hartgesottenen Reporter in mir um. Als ich neulich lange mit Michael Stich fachsimpelte, sprachen wir auch über Nadal. Stich meinte, er hätte mit dem 14. Paris-Titel abtreten sollen. Und ja: Es hätte gepasst. Es war klar, dass wahrscheinlich kein großer Titel mehr folgen würde. Die Verletzungen zogen sich genauso durch die Karriere des Mallorquiners wie seine Siege. Und dennoch: Sollte man Spielern wie Nadal vorschreiben, wann sie abzutreten haben? Es ist anmaßend. Weil niemand in seinem Kopf, in seinem Körper steckt. Weil niemand, der nicht in dieser Liga spielt, bemessen kann, wie schwer so ein Abtritt fällt. Wenn Federer, Murray oder Nadal sagen, sie lieben diesen Sport so sehr, dann glaube ich das. Da mag ich romantisch sein. Der Antrieb ist nie das Geld.

Nadal ist – bald muss man sagen war – einer der größten und fairsten Sportsmänner in der Historie. Weit über das Tennis hinaus. Wenn es einen Makel gibt, dann der, dass er Botschafter Saudi-Arabiens ist, dass er jetzt noch, als verletzter Spieler, aller Wahrscheinlichkeit nach Mitte Oktober beim Six Kings Slam antritt, einem Turnier mit obszön hohem Preisgeld, wie es Ion Tiriac formulieren würde. Man kann das kritisch sehen. Man kann auch Nadals Version folgen, wonach er mit seinem Engagement dazu beitragen will, dass sich der Wüstenstaat öffnet. Gegenüber westlichen Werten? Gegenüber Demokratie? Es ist ein diffiziles Thema.

Nadal als scheuer kleiner Junge

Wenn ich an Nadal denke, dann gehen mir Bilder durch den Kopf: mein erstes Interview mit ihm 2003. Er spielte in Hamburg. Hatte am Vortag Carlos Moya geschlagen. Dann saßen wir in den Katakomben im Rothenbaum und dieser scheue Junge starrte fast während des kompletten Gesprächs auf sein Handy. In die Augen sah er einem nicht. Nadal war 16. Und für einige Insider war damals schon klar, dass er die Tenniswelt aus den Angeln heben würde.

Ein paar Jahre später verliehen wir ihm den „Michael Westphal Award“. Eigentlich sollte der Termin in Basel stattfinden, aber Nadal hatte abgesagt. Wir flogen nach Mallorca und trafen ihn in seinem Lieblingsrestaurant in Porto Cristo. Auch da war er scheu. Man hatte fast den Eindruck, es war ihm peinlich, dass er eine Auszeichnung bekam. Aber: Er war auch herzlich und höflich.

Als er einen Ableger seiner Rafa Nadal Academy in der Nähe von Cancun in Mexiko eröffnete, war ich eingeladen. Nadal und Moya standen auf dem Platz und spielten gegen die Gäste, ein paar Bälle gegen jeden. Als ich an der Reihe war, rief mir Nadal zu: „Was machst du denn hier?“ Er verortete mich in den Interviewräumen von Turnieren und nicht auf dem Platz. Auch bei dieser Gelegenheit blieb mir seine Höflichkeit und sein freundliches Wesen im Gedächtnis haften.

Wenn ich an Nadal denke, erinnere ich mich auch an Roland Garros 2008. Ich saß mit einem Kollegen auf der Pressetribüne und wir beobachteten ihn beim Training. Es war das Turnier, als er Roger Federer im Finale 6:1, 6:3, 6:0 besiegt hatte. Ich hatte nie zuvor und nie danach wieder einen Spieler mit so einer Konstanz und Härte Bälle über das Netz prügeln sehen. Es war die schiere Perfektion.

In Malaga beim Davis Cup wird sich ein Kreis schließen. 2004 gewann er mit Spanien in der Stierkampfarena von Sevilla vor 23.000 Zuschauern zum ersten Mal den Davis Cup. Lange Haare, ärmelloses Shirt, eines der Kapitel, die zum Mythos Rafa beitrugen. Man wird sehen, welche Rolle er vom 19. bis 24. November in Malaga im spanischen Team spielt. Wahrscheinlich im Doppel. Ein letztes Mal Rafa. Das finale Adios vom Stier von Manacor.