Was taugen die neuen Regeln der Next Gen ATP-Finals?
No-Ad Scoring
Bei Einstand entscheidet der nächste Punkt. Für uns zusammen mit den verkürzten Sätzen eine der Regeländerungen, bei der man wirklich ganz genau nachdenken sollte, ob man sie flächendeckend umsetzen will. Tennis ohne die Vorteilsregel verändert die Statik des Tennissports. Das zähe Ringen um ein enges Aufschlagspiel war und ist ein essentieller Teil eines spannenden Tennismatches.
Beschränkt man jedes Service-Game auf höchstens sieben ausgespielte Punkte, verliert Tennis eine seiner charakteristischen Besonderheiten. Bei den TV-Übertragungen von der ATP-Tour wird die Zeit eingeblendet, wenn ein Aufschlagspiel besonders lange dauert. Es wird auch eingeblendet, wenn es zu besonders vielen Einständen in Folge kommt. Wird das gemacht, weil der durchschnittliche Zuschauer in diesen Phasen immer denkt „Meine Fresse, langweilig, die sollen mal zu Potte kommen!“ oder weil sich das Match gerade in einer besonders spannenden und wichtigen Phase befindet? Wäre das letzte Aufschlagspiel von Goran Ivanisevic bei seinem Wimbledonsieg gegen Pat Rafter ähnlich im kollektiven Gedächtnis der Tennisfans hängen geblieben, wenn es über einen einzigen Entscheidungspunkt beendet worden wäre?
it’s much EASIER to break serve using no-ad scoring. Hence the tourney was correct in giving some advantage to the server by letting him pick the side for deciding point. https://t.co/QEgqaY1g3J
— Ricky Dimon (@Dimonator) November 11, 2017
Im Doppel wird auf der Tour ja schon seit einiger Zeit ohne „Vorteil“ gespielt. Wo sind die Massen von Leuten, die deswegen jetzt mehr Doppel als Einzel schauen und Doppel-Matches bei den Grand Slams und im Daviscup gruselig finden, weil dort nach alten Regeln gespielt wird? Und wo waren in den letzten Jahren die Verantwortlichen beim Fernsehen, die mehr Doppel ins Programm gebracht haben, weil es gerade durchs No-Ad Scoring so kurzweilig und dramatisch wird?
Das Götter-Urteil: „Einstand, Vorteil, Einstand, Vorteil, Einstand, Vorteil …“ ist nicht langweilig, sondern ein Alleinstellungsmerkmal der Sportart Tennis. Ja, die neue Regel funktioniert, weil die Spiele dadurch tatsächlich verkürzt werden. Die Matches werden aber großer Teile ihrer spannendsten und interessantesten Phasen beraubt. Bitte so lassen, wie es ist!
No-Let Rule
Eine Netzberührung beim Aufschlag führt nicht zu Wiederholung. Ok, wir möchten das Internet-Wehklagen nicht erleben, wenn der Maestro Federer mal ein Match wegen eines durch Netzberührung unretunierbar gewordenen Aufschlages verliert. Wir haben in dem Fall aber eher den Amateursport im Kopf: Ein typischer Streitpunkt auf Platz 4 beim TC Hintertupfingen im Medenspiel der Altersklasse Ü50 ist, ob der Aufschlag nun überhaupt das Netz berührt hat oder nicht. Die Stimmungslage kompletter Spieltage kann an der Beantwortung dieser Frage hängen. Das fiele weg. Und das wäre gut so.
Das Götter-Urteil: Kann man machen. Bringt den Tennissport nun auch nicht entscheidend nach vorne oder vermehrt ins TV, sorgt aber auf all den tausenden Courts der Welt ohne Netz-Sensor für ein bisschen mehr Frieden. Das ist doch schon was.
Kurze Sätze
Das Fast-4-Format rüttelt ähnlich wie die Abschaffung des Vorteils an den Grundfesten des Sports. Uns wird schon allein deswegen ein wenig schwindelig, weil die Sätze bis vier gehen, der Tiebreak aber schon bei 3:3 gespielt wird. Aber gut, es soll ja kurz und kurzweilig sein. Wird das erreicht? Bei den Next Gen ATP-Finals waren alle Matches etwa zwischen einer und zwei Stunden lang. Im Vergleich dazu dürften die allermeisten „normalen“ Zwei-Satz-Matches auf der Tour unter vergleichbaren Bedingungen ungefähr eine halbe Stunde länger gehen, also zwischen 1,5 und 2,5 Stunden dauern.
Next Gen Atp Finals:
longest match: Chung vs Quinzi 127 min
shortest match: Khachanov vs Donaldson 60 min
longest set: Chung vs Quinzi 4th set 37 min
shortest set: Quinzi vs Rublev 1st set 13 min— enrico maria riva (@enricomariariva) November 11, 2017
Kürzer sind die Matches also durchschnittlich tatsächlich, wenn auch nicht so viel, wie vielleicht erwartet. Und im Bereich TV-Planungssicherheit ändert sich sogar eher sehr wenig, weil der Unterschied zwischen einem sehr kurzen Match und einem sehr langen Match immer noch bei mindestens einer Stunde liegt. Werden die Matches kurzweiliger und spannender? Unserer Meinung nach entsteht ein spannendes Match weniger durch den Modus und mehr dadurch, dass zwei Akteure sich auf spielerischer Augenhöhe begegnen.
Bei einem Match zwischen Nadal und dem durchschnittlichen Sandplatzgott entsteht keine Spannung, egal ob wir den Rafa dazu überreden im Fast-4-Format gegen einen von uns anzutreten oder über drei lange Gewinnsätze. Oder ob wir Match-Tiebreaks ausspielen oder Elfer. Und das ist gut so. Sport darf, was das Ergebnis angeht, eben keine Show-Elemente bekommen. Der Zuschauer muss deutliche Leistungsunterschiede, die sich auch in deutlichen Ergebnissen manifestieren, ertragen können.
Eine Besonderheit beim Tennis ist aber, dass sich nicht ganz so große Leistungsunterschiede zwischen Spielern erst „auf Strecke“ im Ergebnis zeigen. Ein Satz entwickelt sich, es gibt Schlüsselphasen und Wendungen. Viele Profis, gerade auch solche mit der Sonderbegabung „Aufschlag“, können für ein paar Spiele das Ergebnis auch gegen die absoluten Top-Leute mindestens ausgeglichen gestalten. Im neuen Format ist man da aber schon fast im Tie-Break angelangt. Die Wahrscheinlichkeit, dass öfter der „glücklichere“ Spieler Sätze oder sogar ein Match gewinnt, steigt jedenfalls an, wenn weniger Punkte ausgespielt werden.
Mag sein, dass das dann als spannender empfunden wird, gerechter ist es nicht. Eine weitere Befürchtung: Da so kurze Sätze kaum noch gedreht werden können, wenn man erst mal hinten liegt, wird sich auf Dauer bei diversen Spielern (wir wollen keine australischen Namen nennen) die Tendenz, es einfach mal bis zum Satzende komplett schleifen zu lassen, eher noch verstärken. Oder es wird gerade beim Return eine wilde Schießerei geben. In der vagen Hoffnung, mit einigen glücklich Winnern noch etwas zu reißen. Kurzweiliges Tennis mit hoher Spielqualität sieht anders aus.
Das Götter-Urteil: Von uns aus weiter bei Next Gen ATP-Finals oder bei irgendwelchen Show-Matches, im Tour-Alltag aber bitte nicht. Und der uns übergeordnete Tennisgott verschone uns erst recht vor Grand-Slam-Turnieren mit solchen Formaten. Das sind übrigens die beliebtesten Tennis-Turniere der Welt. Mit Zuschauer-Rekorden, Top-Einschaltquoten und mehr als Klassiker eingestuften Matches, als wir hier aufzählen können. Und drei langen Gewinnsätzen. Erstaunliche Kombination.
Das Gesamt-Fazit
Tennis würde alle diese Änderungen, die bei den Next Gen ATP-Finals getestet wurden, ohne Frage überleben. Das kann aber nicht der Anspruch so tief ins Spiel eingreifender Regeländerungen sein. Die positiven Effekte auf das, was wir beim Tennis als interessant und spannend empfinden, sind gering bis nicht vorhanden, sehr elementare Bestandteile des Regelwerks verschwinden. Was bleibt? Die Spiele, Sätze und Matches werden tatsächlich kürzer. Das soll das Spiel kurzweiliger und TV-tauglicher machen. Nur: mit ähnlichen Methoden haben genau das schon die verwandten Rückschlagspiele Tischtennis und Volleyball versucht. Findet irgendjemand, dass sich explizit durch diese Maßnahmen die Beliebtheit oder die TV-Präsenz dieser Sportarten deutlich zum positiven gewandelt hat?
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