Arthur Ashe

Poesie in Bewegung: Arthur Ashe in den 80er-Jahren auf dem heiligen Rasen in Wimbledon. Er galt als einer der elegantesten Spieler der Geschichte.

Arthur Ashe im Porträt: Mit Schwung in die Herzen

1975 siegte Arthur Ashe in Wimbledon. Als erster farbiger Spieler. Kein anderer Spieler vereinigte Eleganz auf dem Platz mit politischem Engagement außerhalb der weißen Linien wie der Amerikaner. 

Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 8/2020
Text: Tobias Haberl

Als Arthur Ashe und Jimmy Connors am 5. Juli 1975 den Rasen von Wimbledon betraten, schienen die Rollen klar verteilt: Dreimal waren die beiden zuvor aufeinandergetroffen, dreimal hatte Connors gewonnen. Er war die Nummer 1 der Welt und hatte bis zum Finale keinen einzigen Satz abgegeben. Doch dann ging Ashe schnell mit 6:1 in Führung und die ersten Zuschauer begannen zu ahnen, dass sie hier und heute mehr als einem Tennismatch, auch mehr als einem großen Finale, beiwohnen würden – und das nicht nur, weil die beiden Kontrahenten alles andere als beste Freunde waren. 

Es wurde ein historischer Nachmittag. Wer ihn erlebt hat, hat ihn nicht vergessen. Alle anderen Tennisfans haben davon gehört oder gelesen: Ashe spielte anders als sonst, im Grunde gegen seine Natur: langsamer und weniger aggressiv; er schubste Connors tote Bälle ins Halbfeld. Der war erst geschockt, dann frustriert und machte einen Fehler nach dem anderen. Legendär, wie Ashe beim Seitenwechsel mit geschlossenen Augen auf dem Stuhl sitzt, als würde er beten, während Connors einen Notizzettel mit Tipps seiner Mutter in seinem Strumpf verstaut. Nach einer Stunde hatte Ashe auch den zweiten Satz mit 6:1 gewonnen. Immer wieder lockte er seinen um zehn Jahre jüngeren Kontrahenten mit scheinbar harmlosen Slice-Bällen ans Netz, um ihn dann zu überlobben. Als der dritte Satz mit 7:5 an Connors ging, schien die Wende möglich, auch im vierten führte er schnell mit 3:0, aber Ashe blieb ruhig, spielte nun selbst aggressiver und entschied das Match mit 6:1, 6:1, 5:7 und 6:4 für sich. 

Arthur Ashe - Wimbledon 1975

Größter Erfolg: Am 4. Juli 1975 schlägt Arthur Ashe im Finale von Wimbledon den favorisierten Jimmy Connors. Das Match gilt als eine der größten taktischen Meisterleistungen der Tennishistorie.

Selbstverständnis als Schlüssel

„Ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg ist Selbstvertrauen. Ein wichtiger Schlüssel zum Selbstvertrauen ist Vorbereitung“ lautet ein Spruch von Ashe, der immer wieder von Tennis­trainern zitiert wird. An diesem Tag hatte er demonstriert, wie man ein Match im Kopf gewinnt. „Intellektuell und strategisch war es das beste Match, das ich je gesehen habe“, schwärmte der Tenniskommentator Richard Evans. Am Ende hielt Ashe als ­erster Afroamerikaner die goldene Wimbledon-­Trophäe in die Höhe und wurde nicht nur zu einem sportlichen, sondern auch einem gesellschaftlichen Idol. „Arthur Ashe wollte nicht einfach nur seinen Rückhand-Slice besser machen, er wollte die Welt besser machen“, hat Chris Evert mal gesagt, die von seinem Sieg an Bord eines Flugzeugs erfuhr – der Pilot machte eine Durchsage. Dass er nur vier Jahre später zwei Herzinfarkte erlitt und 1993 im Alter von nur 49 Jahren starb, hat Ashes Mythos nur noch größer werden lassen.  

Es gibt jede Menge großartige Tennisspieler, aber nur ein paar bedeutende Persönlichkeiten, die das Glück hatten, großartig Tennis spielen zu können – zu ihnen gehört Arthur Ashe. Seine 33 Titel sind das eine, seine stille Eleganz, sein Einsatz für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung das andere. Arthur Ashe war immer mehr als ein Sportler, er war Pionier und Idol in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs: die Attentate auf John F. Kennedy und Martin Luther King, der Vietnam-Krieg, die Bürgerrechtsbewegung – seine Karriere wurde von weltpolitisch bedeutsamen Ereignissen flankiert. Nach seinem Karriereende war nicht nur die Tenniswelt eine andere geworden. Und dass seine Statue auf der Monument Avenue in Richmond vor wenigen Wochen mit einem „White Lives Matter“-Schriftzug beschmiert wurde, zeigt nur, welche Konventionen dieser Mann gesprengt haben muss, dass er heute noch so viel Wut auf sich zieht. 

Erster Farbiger im US-Davis-Cup-Team

Als Ashe 1943 in Richmond, Virginia, geboren wurde, sprach alles gegen eine Karriere als Tennisprofi: In Schulen, Bussen und Restaurants blieben Weiße und Schwarze unter sich. Es herrschte Rassentrennung, „Colored only“-Schilder gehörten zum Straßenbild. Auch Tennis war ein weißer Sport, Clubs nahmen keine schwarzen Kinder auf. Als Junge konnte Ashe lediglich auf öffentlichen Hartplätzen in Parks ein paar Bälle schlagen. Aber Ashe ließ sich nicht einschüchtern, spielte, trainierte. Irgendwann konnte er sein Ausnahmetalent nicht mehr verbergen, Trainer und Mentoren wurden auf ihn aufmerksam. In der BBC-Dokumentation „Arthur Ashe – More Than a Champion“ erzählt einer seiner Freunde, wie Ashe als Jugendlicher gemeinsam mit weißen Spielern an überregionalen Turnieren teilnahm, und ihr Trainer jeden Abend Hunderte von Kilometern mit der ganzen Truppe zurück nach Richmond fuhr, um seinem einzigen schwarzen Schützling die Schmach zu ersparen, beim Check-in im Motel abgewiesen zu werden. 

Arthur Ashe

Mit Brille und Holzschläger: Arthur Ashe, der an der UCLA in Los Angeles, Kalifornien, Betriebswirtschaftslehre studierte, galt schon zu seiner aktiven Zeit als Intellektueller.

1960 gewinnt Ashe als erster Schwarzer die amerikanischen Juniorenmeisterschaften. Er erhält ein Stipendium an der UCLA und studiert Betriebswirtschaftslehre, ist zwei Jahre als Soldat in West Point stationiert, bevor er 1963 der erste nichtweiße Spieler im amerikanischen Davis Cup-Team ist. Doch selbst dieser Erfolg bewahrt ihn nicht vor Diskriminierung, zum Beispiel darf er nicht mit seinen Teamkollegen auf den Golfplatz in seiner Heimatstadt. Seinen ersten großen Titel gewinnt er 1968 bei den US Open. Doch weil er immer noch Amateur ist, muss er das Preisgeld (14.000 Dollar) an seinen Gegner, Tom Okker aus den Niederlanden, abtreten. Ihm selbst bleiben 20 Dollar Spesen pro Turniertag. Zwei Jahre später gewinnt er, nun selbst Profispieler, die Australian Open – mit 6:4, 9:7 und 6:2 gegen den Australier Dick Crealy. 

Barack Obama des Tennissports

„Mich hat es motiviert, zu erfahren, dass er als Kind nicht überall mitspielen durfte“, sagt Serena Williams. „Weil es ihn gab und weil er das alles durchgemacht hat, habe ich heute die Möglichkeit, so gut wie möglich Tennis zu spielen.“ Und ausgerechnet der Schreihals John McEnroe hat mal zugegeben, er sei durch die Begegnungen mit Ashe ein besserer Mensch geworden. Arthur Ashe war 1,88 Meter groß, schlank, fast schlaksig. Er wog lediglich 73 Kilogramm. Schaut man Aufzeichnungen seiner Spiele, könnte man ins Schwärmen geraten, so anmutig, ja tänzerisch waren seine Bewegungen, wenn er nach einem krachenden ersten Aufschlag ans Netz stürmte – ein bisschen wie bei Roger Federer, nur noch eleganter.

Arthur Ashe

Wilde Zeiten: Niki Pilic, Cliff Drysdale, Arthur Ashe und Jack Kramer (v.l.) vor einem Londoner Gericht am 18. Juni 1973. Anschließend rief die ATP wegen der Suspendierung von Pilic durch die ITF zum Wimbledon-Boykott auf.

Wer genau hinsieht, erkennt, dass er dabei immer wieder seine durch die Wucht des Aufschlags verrutschte Brille nach oben schieben musste. Die Vorhand spielte er ohne Spin, die Rückhand einhändig. Ashe erinnert – vor allem mit Strickpullunder und Brille – an einen Intellektuellen. Eine sympathische und warme Erscheinung, ein Barack Obama des Tennissports, selbstbewusst, ehrgeizig, kämpferisch, aber nie laut oder ausfallend. Niemals kokettierte er mit seinem Außenseiterstatus innerhalb der weißen Tenniswelt, nie inszenierte er sich als bedeutender Aktivist, aber er floh auch nicht vor der Verantwortung, die auf ihm lastete. Als der Bürgerrechtler Jesse Jackson ihn einmal aufforderte, sich doch lauter gegen Diskriminierung zu äußern, rief Ashe ihm zu: „Ich kämpfe nicht mit Worten, ich kämpfe mit meinem Schläger.“ 

Nelson Mandela will Arthur Ashe treffen

Zum Beispiel beantragte er im Jahr 1970 zum ersten Mal die Teilnahme an den South African Open – und verband seine Teilnahme mit der Bedingung nicht vor Zuschauertribünen zu spielen, auf denen Schwarze und Weiße getrennt zu sitzen hatten. Drei Jahre hintereinander wurde seine Forderung abgelehnt, erst 1973 ließ ihn das Apartheidregime einreisen und vor gemischtem Publikum am Turnier teilnehmen. Später spielte er Schaukämpfe für die Soldaten in Vietnam, organisierte Tennisturniere für Jugendliche aus dem Ghetto und protestierte vor dem Weißen Haus in Washington gegen die Ausweisung haitianischer Flüchtlinge. Als Nelson Mandela nach seiner Freilassung 1990 in die USA reiste, hatte er eine Liste mit Persönlichkeiten zusammengestellt, die er unbedingt treffen wollte. Mit dabei: Arthur Ashe. 

Arthur Ashe

Personifiziertes Engagement: Arthur Ashe spricht 1992 bei einem Kongress der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Thema Aids.

Als Ashe 1993 an AIDS starb, hinterließ er eine Frau und eine Adoptivtochter. Er hatte sich bei einer Bypass-Operation im Harlem Hospital mit einer HIV-kontaminierten Blutkonserve angesteckt. In seiner Biografie „Days of Grace“ schrieb er, dass ihn immer wieder Menschen darauf ansprächen, ob er sich angesichts seiner Krankheit die Frage stelle, warum es gerade ihn erwischt habe? Seine Antwort: „Why me?“ – diese Frage hatte er sich tatsächlich nie gestellt. Denn wenn er es täte, müsste er doch auch fragen, warum gerade er so viel Glück erfahren und so große Erfolge erringen durfte. Gerade wird seine Biografie verfilmt – der Soundtrack besteht aus Liedern von Aretha Franklin, Prince und Curtis Mayfield. Lauter Klassiker – das passt.

Vita Arthur Ashe

Der US-Amerikaner zählt zu den bedeutendsten Tennisprofis der Historie. Ashe (Jg. 1943) siegte bei den US Open (1968), in Melbourne (1970), in Wimbledon (1975) und war die Nummer zwei der Welt. Weltberühmt wurde er als Kämpfer für die Rechte der Afroamerikaner. 1988 erkrankte Ashe an Aids, weil er sich bei einer Herzoperation durch eine HIV-kontaminierte Blutkonserve infizierte. 1993 starb er mit 49 Jahren.

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