Belinda Bencic im Interview: „Mein Ziel ist ein Grand Slam-Sieg“
Belinda Bencic spielte im September 2023 in San Diego ihr letztes WTA-Turnier. Anschließend ging sie in Mutterpause. Jetzt ist die Schweizerin zurück – und hat große Pläne.
Ein Treffen mit Belinda Bencic beim ITF-Event in Hamburg. Ihr erstes offizielles Match als Mutter ist geglückt. Gerade hat sie Julia Avdeeva (WTA 238) 6:3, 6:1 geschlagen. Jetzt sitzt sie an einem schmucklosen Holztisch in der Ecke einer ganz normalen Tennishalle.
Frau Bencic, sechs Monate nach der Geburt Ihrer Tochter Bella spielen Sie ein Profiturnier. Ist das nicht wahnsinnig früh?
Es ist sicher viel schneller als ich erwartet habe. Ich hatte mir am Anfang auch gar kein Zeitlimit gesetzt, weil ich mich zeitlich nicht unter Druck setzen wollte und auch nicht wusste, was auf mich zukommt. Das hing auch alles davon ab, wie die Geburt ist und wie ich mich fühle. Jeder hat mich gefragt, wann mein Comeback ist, aber ich konnte nicht viel Auskunft geben.
Wann genau ging es wieder los?
Ungefähr acht Wochen nach der Geburt habe ich angefangen, mich ein bisschen zu bewegen und wieder Sport zu machen, das ist dann ja auch erlaubt. Zunächst ging es sehr langsam und auf einmal ging es dann ganz schnell. Es war, als wüsste die Muscle Memory wieder, was sie macht. Ich muss sagen, dass ich mich noch nicht in Topform fühle, aber ich bin selber überrascht, dass ich so schnell wieder ein Turnier spiele.
Wann und wo haben Sie das erste Mal wieder auf einem Platz gestanden?
Nach acht Wochen habe ich zehn Minuten Kleinfeld in Monaco gespielt.
Da, wo Sie wohnen. Es heißt, Sie seien ein Familienmensch. Ist die Familie immer dabei?
Nein, aber wir versuchen uns oft zu sehen und in der aktuellen Situation unterstützt die Familie sehr. Meine Eltern wohnen in der Schweiz, Martins Eltern in der Slowakei. Wir besuchen uns, so oft es geht.
Ich möchte alles rausholen, was geht. Ich bin erst 27 und habe noch viele gute Jahre vor mir.
Wenn man so schnell auf die Tour zurückkehrt, hilft der Gedanke, dass
das viele andere Kolleginnen als Mutter auch getan haben oder geht man seinen eigenen Weg?
Wahrscheinlich beides. Ich habe so lange gearbeitet, meine ganze Kindheit trainiert und viel für meine Karriere geopfert. Deshalb will ich einfach das Beste draus machen und nicht jetzt schon aufhören. Vielleicht würde ich es später bereuen. Ich möchte alles rausholen, was geht. Ich bin erst 27 und habe noch viele gute Jahre vor mir, weshalb es für mich keine Frage war, zurückzukommen. Es war eine bewusste Entscheidung, jetzt eine Familie zu gründen. Es hat mich natürlich sehr inspiriert, andere Mamas zu sehen, die es geschafft haben, zurückzukommen und auf dem gleichen Niveau zu spielen. Auch andere Sportlerinnen, nicht nur Tennisspielerinnen.
Gibt es eine Person, die Sie besonders inspiriert hat?
Allyson Felix (US-amerikanische Sprinterin; d. Red.) in der Leichtathletik. Ich habe mal eine Studie gelesen, die gezeigt hat, dass fast 75 Prozent der Mamas wieder das gleiche Niveau erreichten wie vor der Geburt und 49 Prozent sind sogar besser geworden. Das fand ich faszinierend.
Angelique Kerber kam auch als Mutter zurück und spielte dieses Jahr bei Olympia fast um eine Medaille. Stehen Sie in Kontakt?
Gesehen habe ich Angelique im Februar in Linz, weil ich mit meiner Freundin Donna Vekic abgemacht hatte, dass ich kurz vorbeikomme und Hallo sage. Da war ich noch schwanger. Ich habe mich kurz mit Angelique ausgetauscht und sonst halt über WhatsApp. Tatjana Maria habe ich letztes Jahr beim Billie Jean King Cup gesehen und sie hat mir Tipps gegeben.
Die schnelle Rückkehr spricht auch dafür, dass Sie ein unkompliziertes Kind haben, oder?
Ja. Ich muss echt sagen, sie ist wirklich sehr unkompliziert. Es ist wie Tatjana Maria gesagt hat: «Wenn die Eltern unkompliziert sind, sind auch die Kinder unkompliziert.» Das habe ich mir sehr zu Herzen genommen. Ich finde, das ist unser Lifestyle und wenn wir das dem Kind so beibringen, dann wird es dieses Leben auch als normal empfinden.
Schläft Bella durch?
Sie schläft überall. Sie schläft, wenn es laut ist, sie schläft, wenn es hell ist. Wir sind aber auch nicht die Eltern, die es dunkel machen oder flüstern.
Sie haben gesagt, dass Sie noch stillen. Wie anstrengend ist es, das mit Leistungssport zu verbinden.
Ja, es stimmt, ich stille immer noch. Das war mir wichtig. Ich denke, dass es das Beste für mein Baby ist. Deswegen habe ich mich entschieden, dass ich es mache, wenn es geht. Es ist natürlich schon anders, Tennis zu spielen und zu stillen, aber es lässt sich miteinander verbinden. Darin muss man auch flexibel und unkompliziert sein.
Können Sie uns mal schildern, wie
so ein Tag als Mutter aussieht?
Jeder Tag ist anders. Man muss sich halt dem Baby adaptieren. Meistens steht sie um sieben Uhr auf. In der Regel ist sie um drei und um fünf Uhr in der Nacht wach, da will sie noch ein bisschen was zu essen bekommen. Um neun Uhr trainiere ich. Mein Mann …
… der Fitnesstrainer und frühere slowakische Zweitliga-Fußballspieler Martin Hromkovic.
Genau. Er geht in der Regel um sechs Uhr zur Arbeit und ist um neun wieder zurück. Wenn wir auf Tour sind, kommt er mit uns mit, aber wenn wir zuhause sind, arbeitet er normal. Beim Training schläft die Kleine im Kinderwagen. Dann trainiere ich rund anderthalb oder zwei Stunden. Beim Mittagessen hat die Kleine dann schon ein bisschen püriertes Gemüse bekommen. Nachmittags machen wir Fitness, aber sind flexibel. Wenn die Kleine eingeschlafen ist, trainieren wir.
Wie genau unterstützen die Eltern und die Schwiegereltern?
Sie sind nicht immer dabei. Aber wenn wir in Australien sind, kommt wahrscheinlich meine Mama oder Martins Mama mit. In Hamburg wollten wir mal alleine rausfinden, wie es ist, und dann schauen wir mal.
Apropos Australien. Wie sieht Ihre Planung für nächstes Jahr aus?
Ich spiele die Turniere, in die ich reinkommen kann. Wir sind beim United Cup dabei und bei den Australian Open werde ich mein Protected Ranking benutzen. Natürlich muss ich mit dem Protected Ranking schauen, was Sinn macht und was nicht. Ich muss schauen, wie gut ich spiele und wie mein Ranking ist. Aber ich will natürlich schon viele Turniere spielen.
Aber Sie wollen schon alle Grand Slams spielen, oder? Gibt es Chancen auf Wildcards?
Das weiß ich eben noch nicht. Ich will sicher zwei spielen, aber ich muss mich noch entscheiden. Wahrscheinlich werden es die Australian Open und Wimbledon. Ob ich in die French Open selber reinkomme oder mich durch die Quali spielen muss, ist nicht klar. Es ist alles noch ein bisschen offen.
Als Mutter haben Sie eine neue Rolle. Formulieren Sie trotzdem Ziele oder sagen Sie, ich bin komplett entspannt, weil ich schon viel auf der Tour erreicht habe?
Ja, sicher, ich setze mir Ziele. Ich habe immer noch das Ziel, einen Grand Slam-Titel zu gewinnen. Ich weiß nicht wann und mache mir keinen zeitlichen Druck, aber es wäre schon super bis zum Ende meiner Karriere. Andererseits bin ich auch jetzt schon super zufrieden mit meiner Karriere. Auch wenn es jetzt vorbei sein sollte, kann ich sagen, dass ich mega zufrieden bin. Der Olympia-Sieg war aus sportlicher Sicht das Schönste, was ich erlebt habe. Es ist schwierig, ein Ziel für die nächste Saison zu setzen, weil ich noch nicht weiß, was ich spielen kann. Ich will mich aber im Ranking hocharbeiten.
Kim Clijsters hat als Mutter zwei Grand Slams gewonnen. Haben Sie zu ihr Kontakt gehabt?
Nein. Ich kenne sie und habe mal mit ihr geredet, aber sonst haben wir keinen Kontakt.
Außer Clijsters gibt es mit Margaret Court nur eine Mutter, die auch Grand Slam-Siegerin war. Von daher wäre es etwas Besonderes.
Ja, das wäre cool. Ich habe immer gesagt, dass es ein Traum ist und ich mein Bestes geben werde. Dafür trainiere ich jeden Tag. Ob es klappt oder nicht, kann ich am Ende nicht beeinflussen, außer dass ich alles dafür tun werde.
Was macht Sie zuversichtlich?
Man kann heute viel mehr machen als früher, um wieder fit zu werden. Ernährung, Fitnesstraining, Regenerationsfähigkeit, Physios – das hat sich alles weiterentwickelt. Aber: Die Priorität liegt immer bei der Familie und dem Kind. Wenn ich sehe, dass es sich schwer vereinen lässt, geht das Kind ganz klar vor. Man kann es schaffen und deswegen wollte ich es probieren. Man hat schon eine gewisse Reife. Das Wissen, das nichts wichtiger ist als dieser kleine Mensch. Man lebt für das Baby und kommt dann auch selber immer an letzter Stelle.
Das war früher anders. Als Tennisspieler ist man ein Egoist.
Ja, muss man auch sein. Aber jetzt steht das Kind an erster Stelle und das wird auch so bleiben.
Wenn mein Baby gesund ist und gegessen hat, ist eigentlich alles gut.
Könnte das auch hilfreich sein? Man relativiert ja viele Dinge. Sie sprachen von einer gewissen Reife. Wie äußert sie sich?
Man sieht viele Dinge aus einer anderen Perspektive und fragt sich, ob bestimmte Dinge früher so wichtig waren. Wenn mein Baby gesund ist und gegessen hat, ist eigentlich alles gut.
Fühlt sich die Entscheidung, die Karriere zu unterbrechen richtig an? Sie hätten ja noch warten können. Mit 26 waren Sie bei der Geburt immer noch jung.
Für mich fühlt es sich genau richtig an. Wir haben uns bewusst dazu entschieden. Ich finde es besser, die Karriere jetzt zu unterbrechen und noch ein paar Jahre spielen zu können, anstatt den Druck zu haben, mit 33 oder so aufhören zu müssen. Mein größter Traum ist, eine Familie zu haben. Ich fand es besser so. Jetzt kann ich so lange spielen, wie es geht und dann weitere Kinder kriegen.
Beim ITF-Turnier in Hamburg gewannen Sie Ihr erstes Match und verloren dann in der zweiten Runde. Bekommt man ein Gefühl, wie weit der Weg noch ist?
Es ist schwer zu sagen. Im Training komme ich jeden Tag ein bisschen weiter, aber ich kann jetzt keine Zahl nennen, bei wieviel Prozent ich bin.
Merkt man im Spiel, dass man früher aus der Puste ist oder etwas zwickt?
Ich bin noch nicht an mein absolutes Limit gegangen, weil ich noch stille. Man kann etwa noch kein richtiges Laktat-Training machen. Ich fand, dass ich weit genug bin, um ein Turnier zu spielen und zu testen, wie es geht. Die Generalprobe in Hamburg war okay, aber ich möchte bei den Australian Open bei 90 oder 100 Prozent sein.
400 Tage ohne Tennis. Was macht man in so einer Zeit?
Ich hatte immer etwas zu tun. Es war schön, zu Hause zu sein. Durch die Schwangerschaft hatte man ganz andere Themen, mit denen man sich befasst hat. Babyzimmer einrichten, Babysachen kaufen. Es waren ganz viele tolle Momente. Mir ist nicht langweilig geworden und ich bin gerne zu Hause. Ich habe das Tennis schon vermisst, aber nicht gedacht, dass ich jeden Tag Tennis spielen muss.
Liest man etwas? Guckt man Netflix? Redet man mit der Familie?
Ich habe mich viel mit meiner Freundin getroffen und bin viel mit dem Hund spazieren gegangen. Viel gereist sind wir nicht mehr, wir reisen sonst genug. Ich habe auch ein 3000er-Puzzle fertig gemacht.
Merkt man auch, wie eine Last abfällt? Zehn Jahre auf der Tour sind ja schon anstrengend.
Ich fand es angenehm, eine Pause vom Reisen zu haben. Ansonsten finde ich nicht, dass das Tennisleben so schrecklich ist. Es ist natürlich anspruchsvoll und man muss mental bereit sein und viel trainieren. Aber ich wusste, was auf mich zukommt, weil ich mich dazu entscheiden habe. Ich bin wirklich keine, die jammert, wie schlecht es mir geht. Ich finde, ich habe ein supergutes Leben, dass mir viele Dinge ermöglicht. Ich kann viele Orte sehen, neue Kulturen kennenlernen und es haben sich für mich vor allem viele Türen durch das Tennis geöffnet. Ich bin mega zufrieden mit meinem Leben.
Das Leben ist so kompliziert, wie man es selber macht.
Klingt gut.
Das Leben ist so kompliziert, wie man es selber macht. Wenn man nicht viel grübelt und seine Tage genießt, ist doch alles gut. Unser Tennisleben geht ja auch nicht für immer. Deswegen möchte ich wirklich das Beste aus dem rausholen, worauf ich hingearbeitet habe. Es war immer mein Traum, diese großen Turniere zu spielen. Die Spieler zu treffen, Freunde, viele Kontakte zu haben, viele Reisen zu unternehmen und Städte kennenzulernen.
Wie sieht Ihr Team aus?
Mein Mann ist dabei. Der Trainer ist momentan Iain Hughes. Wir haben vor ein paar Wochen wieder angefangen zusammenzuarbeiten. Er war 2017, 2018 schon mein Trainer. Damals hatte ich mein Comeback nach einer Handgelenks-Operation. Da hatten wir es schon einmal hinbekommen, dass ich wieder nach oben gekommen bin.
Ein kleines Team.
Alle anderen, die mir helfen, bleiben zu Hause. Ich mag es nicht, mit acht Leuten zu reisen. Ich mag es im kleinen Rahmen. Ich bin gespannt, am 21. Dezember geht es nach Australien.
Das ist Belinda Bencic
Die 27-jährige Ostschweizerin ist nach Martina Hingis die erfolgreichste Schweizer Tennisspielerin. Im Februar 2020 war sie die Nummer vier der Welt. Ihr größter Erfolg bei einem Grand Slam-Turnier war 2019 das Halbfinale bei den US Open. Ihr größter sportlicher Erfolg: Olympia-Gold 2021 in Tokio. Im Finale schlug sie die Tschechin Marketa Vondrousova. Insgesamt gewann sie acht Turniere. 12,2 Millionen Dollar Preisgeld kassierte die Wahl-Monegassin bislang. Bencic begann schon mit drei Jahren in der Akademie von Melanie Molitor (Mutter von Martina Hingis) zu trainieren.