Buchautor Joerg Pfuhl: „Mit 60 Jahren spiele ich so gut Tennis wie noch nie“
Er kündigte seinen Job, begann mit systematischem Training und tourt nun im Alter von 60 Jahren durch die Welt von Turnier zu Turnier. Joerg Pfuhl hat über seine erstaunliche Tennisreise das Buch „Zweiter Aufschlag“ geschrieben. Ein Gespräch über Sehnsüchte im fortgeschrittenen Alter, ungewöhnliche Trainingsmethoden und das Leben als Vollzeit-Seniorentennisspieler.
Die Edel Sports-Dependance in Hamburg liegt direkt an der Elbe. Erste Reihe am Flussufer. Heute wird das Gebäude als Filmkulisse für einen ZDF-Krimi genutzt. Die Aufzüge dürfen nur die Filmleute nutzen. Über das enge Treppenhaus geht es hoch in den Maschinenraum von Edel Sports. Wer sich für Bücher aus dem Sportsegment interessiert, kommt an dem Verlag kaum noch vorbei. Die investigativen Werke des US-Journalisten Jeff Benedict sind hier in der deutschen Übersetzung erschienen („Dynasty – Die Insidergeschichte der New England Patriots“ und „LeBron – Die große Biografie des NBA-Superstars“). Auch im Tennisbereich hat Edel Sports viele edle Bücher herausgebracht: „Roger Federer – der Maestro“ von Christopher Clarey oder „Eine Frage des Willens – mein Weg nach oben“ von Angelique Kerber.
Joerg Pfuhl „Zweiter Aufschlag“: Um Profitennis geht es nicht
Im neuesten Edel Sports-Tennisbuch geht es aber nicht um die großen Profikarrieren. In „Zweiter Aufschlag“ von Joerg Pfuhl (erscheint am 7. Dezember 2024) erfährt man viel über ein Parallel-Universum im Tennis-Kosmos, das selbst vielen Tennisenthusiasten kaum bekannt sein dürfte. Es geht um das Seniorentennis, das weltweit einen Boom erlebt und immer professionellere Strukturen annimmt. Pfuhl hat diese Welt für sich entdeckt – mit Mitte 50. Sein Buch zeigt daneben aber auch, wie erfüllend das letzte Lebensdrittel sein kann.
Joerg sitzt im Büro seiner Verlagsagentin. Fester Händedruck. „Haben wir uns nicht schon einmal gesehen?“, fragt er bei der Begrüßung. Möglich wäre es. Joerg hat lange in Hamburg gelebt, vielleicht sind wir uns auf irgendeiner Tennisanlage tatsächlich mal über den Weg gelaufen. Mittlerweile ist er an den Bodensee gezogen, der Heimat seiner Frau. Schnell ist eine gemeinsame Basis für ein langes Gespräch gefunden, in dem wir uns von Beginn an duzen.
Joerg, du hast das Tennisbuch „Zweiter Aufschlag“ geschrieben, das aber nicht nur vom Tennisspielen erzählt. Es geht vor allem darum, was man in seinem letzten Lebensabschnitt nach dem Berufsleben mit sich anfängt, wie man seine wahren Leidenschaften findet und diese dann auslebt, oder?
Du hast vollkommen recht. Ich erzähle zwei Geschichten in dem Buch. Die eine dreht sich um die Frage: Was macht man mit dem letzten Drittel seines Lebens? Das ist eine Frage, die viele Menschen in meinem Alter umtreibt. Viele Baby-Boomer kommen in den nächsten Jahren in den Ruhestand und werden sich darüber Gedanken machen. Ich selbst bin Jahrgang 1964 und habe vor vier Jahren, mit 56 Jahren, beschlossen, dass es für mich reicht, dass ich genügend gearbeitet habe. Die Wohnung ist bezahlt und ich wollte mehr auf meine Gesundheit hören, ein anderes Leben führen. Viele meiner Kollegen, die im gleichen Alter sind, haben mich gefragt: „Wie ist das denn, so einfach aufzuhören? Wir haben eigentlich auch keine richtige Lust mehr zu arbeiten, aber wir haben Angst, in ein Loch zu fallen, weil der Beruf das Leben strukturiert, man hat seine festen Termine, man hat auch Dinge, die einem vielleicht wichtig sind, und man muss es sich natürlich auch leisten können.“ Denen möchte ich etwas Orientierung geben. Deswegen sage ich auch, eigentlich ist es egal, was die Leidenschaft ist, bei mir ist es jetzt Tennis geworden. Ich hatte auch noch ein paar Alternativen und es ist wirklich Zufall, dass ich beim Tennis gleich hängengeblieben bin.
Worum geht es im zweiten Erzählstrang deines Buchs?
Natürlich um Tennis! Obwohl ich schon mehr als 40 Jahre Tennis gespielt habe, hat sich mir mit Mitte 50 eine ganz neue Tenniswelt voller Möglichkeiten eröffnet, die ich bisher nicht kannte. Die ganzen ITF-Turniere für die unterschiedlichsten Altersklassen, die Senioren-Weltmeisterschaften – ich wusste gar nicht, dass es das alles gibt. Wenn ich heute mit anderen Tennissenioren zusammensitze und ihnen davon erzähle, was es da draußen in der Tennis-Bubble abseits des eigenen Clubs und der Punktspielrunde noch gibt, blicke ich immer in staunende Gesichter. Diese große weite Tenniswelt für den normalen Tennisspieler im fortgeschrittenen Alter macht den zweiten Part des Buches aus.
Du hast früher als Verlagsmanager Bücher auf den Markt gebracht, jetzt hast du selbst eins geschrieben. Wie ist dieser Seitenwechsel für dich?
Lustige Frage! Die Ursprungsidee für den Titel des Buchs lautete tatsächlich „Seitenwechsel“. Wir dachten uns dann aber, dass dieser Titel etwas zu allgemein wäre, deswegen haben wir uns für „Zweiter Aufschlag“ entschieden. Für mich ist das alles faszinierend und macht mich unglaublich glücklich – so wie diese ganze Tennisreise mich unglaublich glücklich macht. Ich habe fast 30 Jahre in der Buchbranche gearbeitet, sitze jetzt aber auf der anderen Seite und erlebe, wie das als Autor ist. Wie man auf den Anruf des Verlags wartet, ob das Manuskript angenommen wird, und wie danach dann das eigene Buch entsteht. Ich habe zwar während des Studiums an Fachbüchern mitgeschrieben, aber wenn es dann um die eigene Lebensgeschichte geht und ich auch eine Mission damit verfolge und hoffe, viele Leser für das Buch zu finden, ist das etwas ganz anderes.
Es ist eigentlich egal, welche Leidenschaft man für sich im Alter entdeckt. Bei mir es eben Tennis geworden.
Hätte denn der Verlagsmanager Joerg Pfuhl das Buch „Zweiter Aufschlag“ herausgebracht?
Ich war immer auf der kaufmännischen Seite tätig und habe mich bewusst aus Programmentscheidungen rausgehalten, weil die Bücher, die mich interessiert hätten, für niemanden sonst spannend gewesen wären. Ich hätte jeden Verlag in den Ruin geführt, wenn ich für die Programmentscheidungen verantwortlich gewesen wäre. Deswegen sage ich jetzt: Ja, ich hätte das Buch herausgebracht. Die einzige Programmentscheidung, die ich je getroffen habe, war, einen Skiführer für die USA zu machen, der sich in den USA heute noch verkauft. Aber ansonsten ist das nicht meine Kernkompetenz.
An welchen Buchveröffentlichungen warst du beteiligt?
An allen großen Büchern, weil es in der Regel um viel Geld ging und ich dann die Gesamtverantwortung getragen habe und zustimmen musste. Neuerscheinungen von John Grisham, Stephen King oder auch in Deutschland von Charlotte Link habe ich zum Beispiel begleitet. Als Geschäftsführer geht es dabei eher um den Risikoausgleich, dass man nicht ein zu großes finanzielles Wagnis eingeht und den Verlag in Existenznöte bringt. Das ist am Ende dann auch mein Vergleich zum Tennis, wo es ja auch immer darum geht, die richtige Risikomischung zu finden. Nicht zu passiv zu sein, aber eben auch nicht zu riskant zu spielen.
Hat dir deine berufliche Vergangenheit geholfen, einen Verlag für dein Buch zu finden?
Ich wollte kein Gefälligkeitsbuch machen, denn ich glaube an das Buch, ich bin davon überzeugt, dass es seine Leser finden wird. Natürlich kenne ich viele Leute in der Branche, das hat mir schon geholfen. Früheren Kollegen gab ich das Buch zum Lesen. Ich wollte wissen, ob das überhaupt interessant ist, was ich da zu erzählen habe. Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so schlecht eine eigene Leistung einschätzen können wie jetzt beim Schreiben. Ich wusste nicht, ob das jetzt zu trivial oder vielleicht doch interessant ist. Insofern habe ich mir viel Feedback eingeholt und am Ende habe ich dann selbst meine Marktstudie gemacht. Meine Recherche führte mich dann zu Edel Sports. Ich war selbst ein bisschen überrascht, wie kompetent die inzwischen im Sport-Segment sind. Edel-Sports hat sich dann entschieden, das Buch zu publizieren.
Du bist selbst kein toller Jugendspieler gewesen und hast auch bei den Aktiven früher nicht viel gerissen. Jetzt spielst du Turniere auf der ganzen Welt und gehörst in deiner Altersklasse zu den besseren Spielern. Wie ist das für dich, wenn du gegen Gegner gewinnst, die früher richtig gut waren?
Also zunächst mal: Überragend bin ich auch heute nicht. Das weiß ich schon richtig einzuordnen. Deswegen versuche ich in dem Buch auch eher Mut zu machen, dass man auch mit Hausmitteln noch sehr viele Dinge lernen kann. Das ist eigentlich das, worauf ich am stolzesten bin, über was ich mich am meisten freue und wofür ich am meisten Werbung machen will: Auch wenn man sein ganzes Leben lang durchschnittlich, aber mit Spaß Tennis gespielt hat, kann man noch mit 60 ganz neue Tricks lernen. Und das gilt nicht nur fürs Tennis! Ich habe auch nicht irgendwelche Tennis-Promis geschlagen. Aber das ist auch gar nicht mein Ziel. Mir geht es einfach darum, mit den Möglichkeiten, die ich habe, gutes Tennis zu spielen. Ja, ab und zu ärgere ich auch mal jemanden, der früher viel, viel besser war als ich. Aber ich habe das Gefühl, dass im Seniorensport das alles nicht mehr ganz so wichtig ist.
Mir geht es darum, mit den Möglichkeiten, die ich habe, gutes Tennis zu spielen
Ich dachte, dass gerade ältere Spieler nochmal einen ganz neuen Ehrgeiz entwickeln.
Die gibt es schon auch. Und jeder, der auf den Tennisplatz geht, will auch gewinnen, logisch. Aber eigentlich wissen alle Beteiligten, dass es hier nicht um Millionenschecks und nicht um die berufliche Karriere geht, sondern ums Vergnügen, den Spaß und die Gesundheit.
Es gibt niemanden, der mal ausrastet oder ein wenig schummelt?
Kaum. Ich habe früher immer nur mit meiner Mannschaft gespielt, keine Turniere. Und die Punktspiele fanden eher in den unteren Klassen statt. Da ist die Anzahl der Ausraster größer, weil irgendwie der Mannschaftsdruck da ist und in jedem Team ist eigentlich immer einer, der dann mal über die Stränge schlägt. Bei den Turnieren passiert das so gut wie gar nicht.
Kommen wir mal zu den Anfängen deiner zweiten Karriere, bei der eine Übung zu erwähnen ist: der Grind. Was genau ist das?
Das ist meine inzwischen schon magische Übung, wobei sie eigentlich ganz primitiv ist. Wahrscheinlich wird jeder erfahrene Tennistrainer darüber schmunzeln, dass ich den Grind für eine feine Sache halte. Aber es ist ein ganz einfach einzunehmendes Medikament. Es tut nicht weh, bringt unheimlich viel und ich brauche es mittlerweile sogar zum Leben. Kurz gesagt ist es eine Abfolge von Trainingsschlägen, um einfach Konstanz in seine Schläge zu bringen, und auch um die Technik zu verfeinern. Im Detail ist es so: Man spielt sich mit seinem Partner 150 Bälle Cross zu mit etwa 70 Prozent der maximalen Geschwindigkeit. Jeder spielt 150 Bälle, erst Vorhand, dann Rückhand. Man versucht nicht den anderen wegzuschießen, man versucht auch nicht Punkte zu machen, sondern es geht tatsächlich darum, den Ball möglichst lange im Spiel zu halten. Gezählt werden nur die Bälle, die jeweils auf der richtigen Platzhälfte sind.
Jeder zählt für sich selbst mit?
Genau! Die ersten 30 kriegt man auch meistens gut hin, und dann wird es ein bisschen schwierig.
Aber man muss sie nicht am Stück spielen?
Nein, nicht mit einem Ball. Der Rekord mit meinem Trainingspartner ist 60 Mal mit einem Ball hin und her zu spielen. Häufig passieren Fehler vorher schon, das ist auch okay, aber die zählen dann nicht. Man kann das noch verschärfen, indem etwa jeder Ball länger als die T-Linie sein muss. Das Ziel sind schon lange Bälle.
Also erst beide Cross-Seiten, dann beide Longline-Seiten. Und immer 150?
150 ist das Originalrezept. Wir haben das auch nie geschafft, unser Rekord steht bei 120. Nach den Grundschlägen kommen die Volleys, eigentlich auch 150, und dann Schmetterbälle, auch 150. Da kann man aber variieren. Wir machen 100 Volleys und 50 Schmetterbälle. Und was ganz wichtig ist, dann ist der Grind komplett: 150 Aufschläge und der andere returniert. Auch da wieder 70 Prozent der Maximalgeschwindigkeit, am besten Slice, Kick und gerade Aufschläge im Wechsel. Jeweils von der Einstands- und der Vorteilsseite. Der Aufschlag-Return-Teil sollte am Anfang des Grinds stehen, weil diese Schläge im Training oft vernachlässigt werden.
Wow, ein krasses Paket!
Allerdings. Wir haben damals mit jeweils 50 Schlägen angefangen und dafür gute zwei Stunden gebraucht. Wir machten zu viele Fehler und waren danach fix und fertig. Aber wir steigerten uns im Laufe der Zeit. Am Ende brauchten wir für jeweils 120 Schläge anderthalb Stunden
Der Grind hat mich zu einem besseren und stabileren Spieler gemacht
Was ist der Vorteil vom Grind?
Wir haben vorher immer nur Bälle gespielt, wie man das normalerweise so macht. Lange hin und her, ohne Ziel und ohne Sinn. Dann spielten wir um Punkte. Der Grind aber macht einen unfassbaren Unterschied aus. Wir haben ihn zweimal pro Woche durchgespielt und er hat uns zu viel besseren und stabileren Spielern gemacht. Er bildet eine richtig gute Basis für dein eigentliches Spiel. Ein perfektes Rüstzeug, um später im Match bestehen zu können. Das alles fing im Corona-Winter 2020/2021 an und wir haben bei Wind und Wetter draußen den Grind durchgezogen. Die Hallen waren in Hamburg geschlossen damals. Ich habe etliche Kilos dadurch verloren, viel Fitness aufgebaut. Man konzentriert sich komplett auf die einzelnen Schläge und ist voll bei sich. Wir haben auch angefangen, die Grinds mit den Handys aufzunehmen. Das war für mich eigentlich die größte Erfahrung in diesem ganzen Trainingsprozess. Man kann sich nicht vorstellen, wie seine Bewegungsabläufe wirklich aussehen. Ich dachte immer, dass ich technisch alles kann. Und dann sieht man sich das erste Mal auf dem Handyscreen und fällt vom Glauben ab.
Wieviel hast du damals trainiert?
Im Durchschnitt 15 Stunden pro Woche. Im Sommer aber auch viel mehr. Wir haben aber immer nur jeden zweiten Tag trainiert, um dem Körper ein bisschen Entlastung zu geben und es nicht zu übertreiben. Mit Stretching und Kraftübungen habe ich das Training ergänzt, damit der Körper nicht zu einseitig belastet wird. Man ist eben keine 16 mehr und die Regeneration dauert einfach länger.
Aber du bist ja in der Zeit nie ernsthaft verletzt gewesen. War das nur Glück oder hast du auch viel präventiv gemacht?
Ich habe viel präventiv gemacht, weil ich viel gelesen habe zu dem Thema und mir bewusst war, wie wichtig das ist, da die Tennisbelastung zu einseitig ist. Ich habe auch viel Rudertraining zu Hause gemacht.
Hast du deine Ernährung umgestellt?
Ja, habe ich. Früher aß ich normal, jetzt esse ich viel bewusster, kaum noch Fleisch, viel mehr Linsengerichte oder andere Hülsenfrüchte. Auch beim Alkohol habe ich auf die Bremse getreten. Mir fiel das nicht besonders schwer. Alkoholverzicht führt einfach zu einer gesünderen Lebensweise und ich fühle mich sehr wohl damit.
Das Seniorentennis ist ein bunter Kosmos aus den unterschiedlichsten Leuten
Ist dieser ITF Senioren-Kosmos ein Treffen der globalen Elite zwischen 50 und 70 Jahren, die das Geld und die Zeit hat, auf der ganzen Welt ihrem Hobby nachzugehen?
Darauf muss ich etwas differenzierter antworten. Es ist ein bunter Kosmos aus den unterschiedlichsten Leuten und man kann es vielleicht grob so aufteilen: Ein Drittel sind Menschen, die das sehr ambitioniert betreiben, die vielleicht mal in der Jugend erfolgreich waren oder Tennistrainer sind. Die sind schon ehrgeizig unterwegs, verfügen aber häufig nicht über unendliche Mittel. Das zweite Drittel ist finanziell nicht stark aufgestellt. Die sind meistens mit dem Camper oder dem Wohnmobil unterwegs und machen ein paar Turniere direkt hintereinander. Die machen Urlaub und spielen dabei ein bisschen Tennis. Die meisten Turniere sind an schönen Orten. Oft sind auch die Partner dabei oder es spielen sogar beide bei den Turnieren mit. Das letzte Drittel sind die, die schon ganz ausgestiegen sind aus dem Arbeitsleben, weil sie eine Abfindung mitgenommen haben oder Unternehmen verkauft haben. Die sind häufig eher gut betucht und spielen einfach gerne Tennis. Ich glaube, diese Mischung beschreibt diesen Kosmos ganz gut. Und insofern würde ich es auch nicht als Elite bezeichnen, weil auch alle Berufsgruppen vertreten sind. Seniorentennis kostet auch keine Millionen, es ist nicht wie ein Rennpferd oder eine Yacht. Das Teuerste sind fast die Startgelder für die Turniere, die zwischen 70 und 100 Euro schwanken für eine Woche, wo man aber in drei Konkurrenzen antreten kann oder mit der Nebenrunde theoretisch sogar vier Konkurrenzen und jeden Tag Tennis spielt und trainieren kann. Im Vergleich zu anderen Freizeitgestaltungen oder im Verhältnis zu dem Glück und der Lebensfreude, die man gewinnt, finde ich das wirklich ein sehr überschaubares Investment. Ich bin viel unterwegs inzwischen, aber für mich ist das quasi Urlaub. Ich mache ansonsten keine Fernreisen und ziehe nicht groß durch Hotels.
Wenn man nun wie du bei den Weltmeisterschaften in Florida teilnimmt: Treffen dort dann tatsächlich die besten Spieler der Welt jeder Altersklasse aufeinander?
Nein, es laufen dort nicht automatisch die besten Senioren meiner Altersklasse auf. Und selbst die, die aus Deutschland bei einer WM starten, sind auch nicht automatisch die besten deutschen Spieler. Es geht immer darum, wer hat Zeit, wer kann sich den Flug leisten, wer kann sich das Hotel leisten. Das wusste ich auch alles nicht, als ich angefangen habe. Ich habe tatsächlich erst einmal drei Wochen recherchiert, ob ich überhaupt teilnahmeberechtigt bin und wie die Regeln sind. Ich habe damals nichts gefunden, inzwischen weiß ich, wie die Abläufe sind. Also bei der Weltmeisterschaft gibt es immer eine Team-WM, bei der tatsächlich die Besten der Länder spielen. Da gibt es einen komplizierten Auswahlprozess für die Top-Spieler. Dann gibt es noch die Einzel-WM, da ist theoretisch jeder teilnahmeberechtigt. Das hängt dann eben von der Feldgröße ab. Die besten 96, die sich gemeldet haben, sind qualifiziert und alle anderen müssen eventuell noch durch eine Qualifikation, dazu kommt es aber selten.
In deinem Buch schreibst du auch über deine Faszination für Rasentennis. Wie ist die zustande gekommen?
Ich habe früher nie auf Rasen gespielt. Das war immer eine große Sehnsucht von mir. Ich bin groß geworden mit den Wimbledon-Endspielen, die damals im Fernsehen liefen. Björn Borg auf Rasen war Kult zu der Zeit. Als ich mit meinem Tennisprojekt gestartet habe, ergab es sich aus einer Schnapsidee, dass wir zu viert zu einem Rasenturnier für Senioren nach England gefahren sind. Ich habe dadurch nicht nur Rasentennis zu lieben gelernt, sondern die ganze englische Sportkultur. Das Schöne dabei ist, dass ich dort viele neue Freunde gefunden habe. Wobei dies eine der wunderbarsten Nebeneffekte meiner Tennisreise ist: Dass ich überall neue Bekanntschaften schließen konnte.
Jetzt bist du also viel in England unterwegs.
Exakt. Rasentennis ist ein Traum. Und die meisten Rasenturniere gibt es eben auf der Insel. Der erste Tag auf Gras ist immer schwierig, weil alles so anders ist. Aber wenn man sich darauf eingestellt hat, dass eigentlich jeder Ball anders abspringt, ist es fantastisch. Mein Spiel eignet sich auch gut für Rasen, weil ich gerne auf Winner gehe.
Die Ranglisten können eine gewisse Suchtwirkung erzeugen
Wie war das für dich, als du die ersten Erfolge hattest und im Ranking aufgestiegen bist?
Da muss man wirklich aufpassen, weil diese Ranglisten eine gewisse Suchtwirkung erzeugen. Ich bin damals mit meinem ersten Weltranglistenpunkt auf Platz 2.500 zusammen mit etwa 800 anderen Spielern eingestiegen. Von dort geht es dann erst einmal nur aufwärts. Klar macht das süchtig! Und man will dann immer weiter nach oben kommen. Schwierig wird es, wenn man dann die Punkte auch verteidigen muss. Das ist wie bei den Profis, es zählen immer nur die letzten 52 Wochen.
Was waren deine bislang besten Platzierungen in den Weltranglisten?
Im Einzel 232, im Doppel 35 und im Mixed 14.
Es gibt eine Mixed-Weltrangliste?
Ja, das wusste ich vorher auch nicht – bis ich mal durch Zufall bei einem Mixed-Wettbewerb mitspielte, das Turnier gewann und gleich in den Top 100 stand. Man darf das alles nicht zu ernst nehmen. Wenn man ständig nur auf die Rankings schaut, wird man verrückt.
Manche denken, dass ich mit dem Tennis so einen „Alters-Spleen“ entwickelt habe
Wie nahm dein persönliches Umfeld deine plötzliche Begeisterung für Tennis wahr?
Einige haben sich anfangs schon gewundert. Ich habe jahrzehntelang Tennis nur zum Spaß gespielt. Dann fing ich plötzlich damit an, systematisch zu trainieren. Aber ich wusste ja am Anfang selbst nicht, wo die Reise hingehen würde. Ich hätte nie gedacht, dass mir Tennis so viel Freude bereiten kann. Auch die Sache mit der Grind-Übung. So etwas hätte ich früher niemals auch nur in Erwägung gezogen, jetzt macht es mir viel Spaß. Mittlerweile bewege ich mich aber auch in einem tennisaffinen Umfeld. Da ist fast jeder so drauf wie ich. Ältere Freunde denken wahrscheinlich, dass ich mit dem Tennis so einen „Alters-Spleen“ entwickelt habe. Naja, andere schaffen sich plötzlich ein Motorrad oder einen Sportwagen an oder angeln sich eine junge Blondine. Bei mir ist es eben Tennis geworden.
Wo bist du jetzt mit deinem Tennis angekommen?
Ich kann klar sagen, dass ich jetzt – mit 60 Jahren – das beste Tennis meines Lebens spiele. Das ist einfach so.
Das wird ja, biologisch bedingt, nicht so bleiben. Hast du Angst davor, dass die Kräfte irgendwann nachlasen und du tennismäßig abbaust?
Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht, muss ich ehrlich sagen. Bisher ging die Kurve kontinuierlich nach oben. Das macht Tennis für mich auch so reizvoll. Ich habe das Gefühl, dass ich ständig noch neue Dinge lernen und mich verbessern kann. Es gibt so viele unterschiedliche Tennisebenen. Mit der Technik bin ich zum Beispiel noch lange nicht durch. Auch in Sachen Athletik kann ich noch viel fitter werden. Oder der Punkt Antizipation: Ich kann mittlerweile Stopps erlaufen, die ich vor 30 Jahren niemals erreicht hätte. Aber das liegt nicht an meiner Beinarbeit, sondern daran, dass ich das Spiel viel besser lesen kann als früher. Und dann ist da noch die mentale Komponente: In manchen Matches laufen drei Kinofilme parallel in meinen Kopf ab. Deswegen bin ich davon überzeugt, dass die Kurve noch weiter nach oben gehen wird bei mir. Genau das bereitet mir so viel Freude: Ich lerne weiter dazu – wie ein junger Mensch, der eine neue Sportart kennenlernt. Ich hatte früher auch einen Schläger in der Hand, aber das hat nichts mit dem zu tun, was ich jetzt mache.
Du wirst dann also auch noch als 80-Jähriger bei der WM spielen?
Warum nicht? Ich habe mir schon einige Matches in der Altersklasse 80 angeschaut. Es ist einfach klasse, wie gut die Kerle in dem Alter noch spielen. Ich würde mich freuen, wenn ich noch so lange dabeibleiben könnte, um in der Ü80 richtig anzugreifen (lacht). Ich glaube, dass es für diejenigen, die früher richtig gut waren, im Alter schwieriger mit ihrem Tennis wird, weil sie nur noch einen Bruchteil dessen leisten können, was sie früher auf den Platz brachten. Bei mir ist es aber eher umgekehrt. Darum blicke ich meiner sportlichen Zukunft auch freudig entgegen.
Infos zum Buch „Zweiter Aufschlag“ von Joerg Pfuhl
In seinem Buch „Zweiter Aufschlag – mit 60 Jahren in die Tennis-Weltrangliste“ beschreibt Joerg Pfuhl, wie er von einem erfolgreichen Verlagsmanager zu einem Vollzeit-Tennisspieler wird. Entstanden ist eine motivierende Erzählung über das Älterwerden, über den Mut, zu neuen Ufern aufzubrechen, und warum es sich immer lohnt, seinen Träumen zu folgen. 208 Seiten. Preis: 19,99€. Erscheinungsdatum: 7. Dezember 2024 (bei Edel Sports). Das Buch kann bereits jetzt online vorbestellen – zum Beispiel bei Thalia oder Amazon.
In der neuesten Printausgabe von tennis MAGAZIN finden Sie eine Leseprobe aus dem Buch „Zweiter Aufschlag“ von Joerg Pfuhl. Ein Kapitel aus dem Buch ist dort exklusiv vorab veröffentlicht worden. Die Ausgabe erscheint am 12. November und ist in unserem Online-Shop bestellbar.