Danke für alles, Steffi: Ein Brief von Andrea Petkovic
Anlässlich des 50. Geburtstags von Steffi Graf schreibt Andrea Petkovic in tennis MAGAZIN exklusiv über „die Gräfin“.
Die einzige Sache, die ich bereue, wenn es um Steffi Graf geht, ist, dass ich nicht etwas älter und weiser war. Älter und weiser, als Steffi auf dem Zenit ihrer Karriere stand. Ich war jung und fasziniert von Venus und Serena Williams, die mit Perlen in den Haaren, bis dato nicht gekannter Athletik und frechen Kommentaren in Pressekonferenzen bei mini Andrea punkteten, die es zu diesem Zeitpunkt nicht besser wusste.
Eine Sterilität umwehte Steffi, eine Kaltschnäuzigkeit, mit der sie ihren Sport betrieb, bis ins Detail ausgeplant, professionell, präzise wie ein Schweizer Uhrwerk. Das Schweizer Uhrwerk, ein langweiliges Klischee, das Steffi nicht gerecht wird und deswegen wünschte ich nur älter gewesen zu sein, um es zu verstehen.
Steffi machte einen einschüchternden Eindruck auf mich
Als ich Steffi das erste Mal traf, machte sie nicht direkt einen einschüchternden Eindruck auf mich; dazu ist sie zu bescheiden, zu still, zu freundlich. Im Rahmen eines Adidas Trainingsprogramms durfte ich einige Tage in Las Vegas mit meinem Trainer verbringen. An unserer Seite Gil Reyes, Andre Agassis berüchtigter Fitnesstrainer und Patenonkel der Kinder, und Steffi Graf als Begleiter, die mit Rat und Tat an unserer Seite standen.
Ich war nach 20 Minuten auf dem Trainingsplatz mit Steffi zunächst fasziniert und am Ende der Einheit komplett besessen von ihrem Anblick. Ich sah kaum einen Ball, weil ich meinen Blick nicht von Steffis Beinarbeit abwenden konnte. Ihre Füße flogen in rapiden, präzisen Trippelschritten über den amerikanischen Hartplatz wie die einer barfüßigen Tänzerin auf heißem Boden. Wie die Gezeiten selbst wogte sie auf und ab, in eleganten, flüssigen Bewegungen kam sie in den Platz hinein, nahm den Ball im Steigen, um sich kurz darauf hinter die Linie fallenzulassen, von Seite zur Seite, vor und zurück – sie war überall.
Ich war nervös und einfach bei Weitem nicht so gut. Sicher, ich konnte auf den Ball draufkloppen und ich stand zu diesem Zeitpunkt in den Top 10 der Welt, aber ich wusste sofort, dass ich eine so viel schlechtere Tennisspielerin als Steffi war, dass ich innerlich lachen musste, über die zahlreichen Fragen der Journalisten, die mich immer wieder nach Steffi fragten und ob ich mich als ihre Nachfolgerin sah, als jemanden, der möglicherweise in ihre Fußstapfen treten könnte. Steffi hatte mir innerhalb der ersten 20 Minuten meine Grenzen in vernichtender Art und Weise aufgezeigt und das war auch gut so. Ich begann zu begreifen.
Steffi bei YouTube gucken
Kurz nach dieser Trainingseinheit begab ich mich in mein Hotelzimmer, öffnete meinen Laptop und klickte auf YouTube: Steffi Graf Videos gucken. Es war wie ein schwarzes Loch. Ich konnte nicht mehr aufhören. Immer tiefer zog es mich hinein in ihre Rivalität mit Martina Navratilova, ihre Rivalität mit Martina Hingis, ihre Rivalität mit Monica Seles. Die Bildqualität war schlecht und meistens fragte ich mich, welcher Toaster das Match aufgenommen hatte und wo eigentlich der Ball auf dem Bildschirm zu finden war, aber es änderte nichts an der Tatsache, dass Steffi eine moderne Tennisspielerin war. Eine der ersten modernen Tennisspielerinnen.
Sicher, sie hatte diesen Rückhandslice, der an Tennis aus einem anderen Jahrzehnt erinnerte. Aber je mehr ich guckte, desto mehr sah ich. Die Vorhand war eine Rakete, schneller als Schläge vieler Mädels von heutzutage trotz schlechteren Materials, ihr erster Aufschlag nagte jedes Mal an den 180km/h herum und in Sachen Fitness konnte ihr niemand das Wasser reichen.
Wenn man es als Tennisfan betrachtete, konnte man all dies bewundern, respektieren, aber richtig verstehen konnte man es nicht. Nun war ich seit einigen Jahren selbst im Profigeschäft unterwegs gewesen und sah es auf einmal glasklar vor mir. Alles, was auf dem Platz geschah, war in ungezählten, niemals enden wollenden, zumeist langweiligen Trainingstagen vorbereitet worden. Alles, was so leicht aussah, barg in seiner Essenz eine Schwere, die Steffi auf den Center Courts dieser Welt vergessen ließ.
Steffi mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks
Die Athletik, die die Williams-Schwestern in all ihrer Kraft auf den Ball hinausschrien und -schmetterten, war bei Steffi verborgen in ihrer Fußarbeit, die, nun ja, präzise wie ein Schweizer Uhrwerk war. Die Emotionen, mit Hilfe welcher Boris Becker jedes Match in eine Art Krieg um Leben und Tod verwandelte, waren bei Steffi im Tagesgeschäft versteckt, das die Welt nicht zu sehen bekam. Denn Hingabe brauchte es allemal und wenn Hingabe nicht Emotionalität ist, vielleicht sogar Liebe, was ist es dann?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass Steffi es niemals so nennen würde, aber wenn man genau hinguckt – durch den Toaster hinweg, am verpixelten Ball vorbei, zwischen erahnten Linien eines Tennisplatzes – wenn man den Ausdruck absoluter Konzentration auf Steffis Gesicht sieht, das Stirnband das akkurat gebunden ist, die Gleichmütigkeit in Momenten höchsten sportlichen Drucks, dann verzeiht Steffi mir hoffentlich, wenn ich es Liebe nenne. Und die Journalisten verzeihen mir hoffentlich, dass ich damals hinter ihrem Rücken über sie gelacht habe. Denn eine Steffi gab es vorher nicht und gab es nachher nicht. Nicht kopierbar. Einzigartig.
Deswegen ist die einzige Sache, die ich bereue, wenn es um Steffi geht, dass ich nicht älter und weiser war, um zu verstehen. Und dass ich nicht bessere Ausdrücke kenne als „präzise wie ein Schweizer Uhrwerk“ und „einzigartig“. Denn diese stereotyp besetzten Ausdrücke werden ihr nicht gerecht. Herzlichen Glückwunsch zum 50. Geburtstag, Steffi, und danke für alles.
!Hier gibt es unsere aktuelle Ausgabe zum 50. Geburtstag von Steffi Graf!
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