Davis Cup: Plötzlich sind die Doppelspezialisten nur noch zweite Wahl
Beim Davis Cup schlägt regelmäßig die Stunde der Doppelspezialisten. Doch die USA und Italien gaben nun Einzelspielern den Vorzug. Was hinter diesen Wechseln steckt.
Was wäre der Davis Cup ohne ausgewiesene Doppelspezialisten? Ohne die legendären „Woodies“ aus Australien (14:2 Siege), die Bryan-Brüder aus den USA (25:5 Siege) oder die indische Zauber-Kombination Paes/Bhupathi (25:2 Siege)? Die größte Wertschätzung widerfuhr diesen Duos im Zuge ihrer Auftritte in den Tennis-Nationalmannschaften.
Aber auch Spieler wie Daniel Nestor (Kanada), Nenad Zimonjic (Serbien), Paul Haarhuis (Niederlande) und natürlich aus deutscher Sicht Eric Jelen sowie Patrik Kühnen wurden erst durch ihre Doppelexpertise, die sie in großen Davis Cup-Schlachten unter Beweis stellten, zu national bekannten Sportlern. Ohne sie wäre der Davis Cup um eine Attraktion ärmer. Denn gerade der Mix aus Einzel-Topstars, vielseitig einsetzbaren Ergänzungsspielern und erstklassigen Doppelkünstlern macht den Reiz der Teams aus.
Davis Cup in den „alten Zeiten“
Nun hat sich der Davis Cup in den letzten Jahren stark verändert. Glaubt man der Tennis-Bubble, dann eher nicht zum Guten. Weniger Heim- und Auswärtsspiele, kürzere Matches und verknappte Begegnungen haben wenig vom früheren Charme übriggelassen. In den „alten Zeiten“, als sich der Davis Cup noch über ein komplettes Wochenende zog, war der Samstag der Doppeltag – mehr Aufmerksamkeit für das Spiel zu Zweit war kaum möglich.
Bei den Davis Cup-Finals, die aktuell in Malaga stattfinden, werden die Länderkämpfe mit zwei Einzeln und einem Doppel an einem Tag durchgezogen. Wenn eine Nation beide Einzel gewinnt, wird das Doppel nicht mehr gespielt. Es ist ein Modus, der das Doppel nicht mehr grundsätzlich in den Vordergrund rückt. Wenn es aber 1:1 nach den Einzeln steht, kommt dem Doppel eine alles entscheidende Bedeutung zu. Wer dann das Doppel gewinnt, gewinnt die komplette Begegnung. Es ist dann ein „All-In-Match“.
Vielleicht liegt es auch an dieser Gesamt-Konstellation, dass mache Teamkapitäne nicht mehr automatisch ihre Doppelspezialisten ins Rennen schicken, wenn es um Alles geht. Jedenfalls sorgten gestern kurzfristige Umstellungen im Doppel-Line-Up bei den letzten Viertfinal-Partien der Davis Cup-Finals für ein gewisses Staunen. Als die USA und Australien zum Doppel-Shot-Out antraten, schickte US-Teamchef Bob Bryan völlig unerwartet Ben Shelton und Tommy Paul aufs Feld – und nicht Rajeev Ram mit Austin Krajicek. Die Australier hingegen blieben bei ihrer Formation Thompson/Ebden, die am Ende auch mit 6:4, 6:4 gewann.
Ebden and Thompson on fire 🔥
Australia are into the semi-finals for the 3rd time in a row 🇦🇺💪#DavisCup | @TennisAustralia pic.twitter.com/ovDfvsHVhF
— Davis Cup (@DavisCup) November 21, 2024
„Doppelspieler aus gutem Grund Spezialisten“
Bob Bryan, selbst einer der besten Doppelspieler der Tennisgeschichte, musste sich für diesen Move viel Kritik anhören. Auf X wunderte sich US-Doppelspielerin Nicole Melichar-Martinez: „Doppelspieler sind aus gutem Grund Spezialisten. Sie sind gut in dem, was sie tun. Warum vertraut man ihnen nicht? Besonders, wenn man zwei ehemalige Nummer eins-Spieler hat.“ Tatsächlich standen sowohl Ram als auch Krajicek schon auf Platz eins der Doppel-Weltrangliste. Zur Wahrheit gehört aber auch: 2024 hatten die beiden nicht ihr bestes Jahr – trotz der Doppel-Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Paris.
Für Rennae Stubbs, die als aktive Doppelspielerin auf der WTA-Tour 60 Titel gewann, war die Niederlage von Shelton/Paul nur folgerichtig. „Doppelspezialisten, die schon große Major-Turniere gewannen, schlagen in der Regel großartige Einzelspieler, die noch nie zuvor zusammengespielt haben“, schrieb sie auf X. Was sie meinte: Thompson und Ebden gehören im Herrendoppel aktuell zu den stärksten Spielern. Beide hatten sich mit ihren Standardpartner auf der Tour (Thompson: Max Purcell; Ebden: Rohann Bopanna) für die ATP-Finals 2024 im Doppel qualifiziert. Thompson gewann die US Open, Ebden die Australian Open und olympisches Gold in Paris. Shelton und Paul spielen zwar sporadisch Doppel auf der Tour; zusammen aber traten sie zuletzt 2023 in Miami an.
Davis Cup-Team USA: Rajeev Ram wurde wieder nicht berücksichtigt
Rund um Rajeev Ram gab es im US-Davis Cup-Team schon einmal Trubel. 2022 verzichtete der damalige Teamchef Mardy Fish darauf, ihn für die Davis Cup-Finals in Malaga zu nominieren, obwohl Ram in den Runden zuvor recht zuverlässig abgeliefert hatte. Fish nahm damals sogar nur vier Spieler mit – obwohl fünf erlaubt gewesen wären. Pikant: Ram war im Oktober 2022, also wenige Wochen vor den Davis Cup-Finals, erstmals die Nummer eins in der Doppel-Weltrangliste geworden. Vor diesem Hintergrund wirkte es mehr als merkwürdig, dass Bob Bryan, der Mardy Fish 2023 als US-Teamchef abgelöst hatte, Ram zwar für die Davis Cup-Finals 2024 nominierte – ihn aber nicht einsetzte.
Entsprechend musste sich Bob Bryan nach dem Ausscheiden des US-Teams für seinen Wechsel der Aufstellung vor der Presse rechtfertigen. „Wir haben die Entscheidung in der 15-münitigen Pause zwischen dem zweiten Einzel und dem Doppel getroffen. Es war in erster Linie eine taktische Überlegung, um die Gegner zu überraschen“, rechtfertige sich Bryan. Außerdem sei Shelton nach seinem Drei-Stunden-Einzel, das er nach vier vergebenen Matchbällen gegen Thanasi Kokkinakis verloren hatte, „noch im Rhythmus“ gewesen. Und Tommy Paul hätte „bei den Olympischen Spielen gezeigt, was er im Doppel leisten kann“. In Paris holte Paul mit Taylor Fritz die Bronzemedaille. Insgesamt hatte Paul vor den Davis Cup-Finals allerdings nur neun Doppel 2024 auf der Tour gespielt – fünf davon bei den Olympischen Spielen.
US-Teamchef Bob Bryan wenig überzeugend
Wirklich überzeugend wirkte die Begründung von Bob Bryan nicht. Er betonte aber, dass er seine Entscheidung nicht bereuen würde: „Ich hatte natürlich viele Insider-Informationen. Letztlich war es eine haarscharfe Entscheidung und wir wussten, dass es auch so enden könnte, wie es geendet hat, weil das gegnerische Team einfach stark war.“
In der nachfolgenden Viertelfinalpartie zwischen Italien und Argentinien gab es einen nicht ganz so unerwarteten Wechsel bei der Doppelaufstellung: Italiens Teamchef Filippo Volandri schickte statt den Doppelspezialisten Simone Bolelli und Andrea Vavassori, die sich 2024 nach einer tollen Saison für die ATP-Finals in Turin qualifiziert hatten, die beiden Einzelkönner Jannik Sinner und Matteo Berrettini ins Rennen. Sie bekamen es mit Andres Moltini und Maximo Gonzalez zu tun – einem soliden, aber nicht außergewöhnlich starken Doppel.
Davis Cup-Teamchef Volandri: „Sind Risiken eingegangen“
„Wir sind Risiken eingegangen“, sagte Volandri später, aber sein Plan ging auf. Sinner und Berrettini siegten 6:4, 7:5 – vor allem dank ihrer „Fire-Power“ beim Aufschlag und bei den Grundschlägen. Es sah weniger nach einem gut aufeinander abgestimmten Doppel aus, aber der Erfolg gab ihnen letztlich recht. „Wir hatten bereits über diese Option in der Woche gesprochen, immer in der Annahme, dass Jannik dafür auch die Energie hat“, erzählte Volandri.
The moment @federtennis progressed to the semi-finals! 🤩#DavisCup pic.twitter.com/lXde5fpFXR
— Davis Cup (@DavisCup) November 21, 2024
Sinner hatte zuvor für seinen Einzelsieg zum 1:1 gegen Sebastian Baez nur knapp 70 Minuten benötigt und wurde kaum gefordert. „Es war keine einfache Entscheidung, auch wenn Jannik und Matteo großartige Spieler sind. Wir haben uns nach dem Einzel von Jannik zusammengesetzt und uns darauf geeinigt, mit dieser Aufstellung in das Entscheidungsdoppel zu gehen. Andrea Vavassori und Simone Bolelli gaben vorab eine Menge Ratschläge, weil sie das argentinische Paar gut gehen. Es waren wertvolle Hinweise. Am Ende war es eine Mannschaftsleistung“, erzählte Volandri.
Davis Cup-Doppelrolle ist Sinner gewohnt
Was außerdem ein Faktor ist: Sinner ist diese „Doppelrolle“ gewohnt. Letztes Jahr bei den Davis Cup-Finals wurde er in den Entscheidungsdoppeln im Viertel- und Halbfinale eingesetzt, die er jeweils an der Seite von Lorenzo Sonego gewann. In Summe holte Sinner schließlich fünf Punkte – zwei im Doppel und drei im Einzel –, um den Davis Cup nach Italien zu holen. Seine aktuelle Form ist nun noch besser als 2023.
Insofern kann man es nachvollziehen, dass Teamchef Volandri einen „Überspieler“ wie Sinner für das Doppel bevorzugt und ihn nach Möglichkeit überall spielen lässt. Die Doppelspezialisten aber grundsätzlich außen vor zu lassen, ist indes keine gute Idee für die meisten Davis Cup-Teams – siehe USA.