Der neue Federer: Volle Attacke, voller Erfolg?
Gestern im Finale von Cincinnati: Novak Djokovic muss über den zweiten Aufschlag gehen, Gegner Roger Federer steht schon gute anderthalb Meter im Feld, macht dann noch einen Schritt nach vorne, als der Ball den Schläger von Djokovic verlässt. Mit einem kleinen Hüpfer bewegt sich Federer dem Service entgegen, spielt den Return kurz hinter der T-Linie als Vorhand-Halbvolley und stürmt nach vorne ans Netz. Djokovic kann sich in der Kürze der Zeit kaum richtig sortieren und schlägt den Passierball ins Netz.
Eine Ausnahme? Ein zufälliger Chip-And-Charge-Angriff, wie man diese Return-Attacken nennt? Nein. Es ist Federers bewusst gewählte Taktik. Eine mit hohem Risikopotential zwar, aber gegen Djokovic geht sie an diesem Nachmittag im heißen Ohio komplett auf. Insgesamt elfmal wählt Federer diesen Spielzug, sieben Punkte erzielt er damit. 7:6, 6:3 gewinnt Federer schließlich, vor allem dank seiner ultra-aggressiven Spielweise. Er kombiniert Chip-And-Charge beim Return mit Serve-And-Volley beim Aufschlag und streut viele klug vorbereitete Netzattacken aus dem Spiel heraus ein. 29-mal taucht er am Netz auf, wobei er 21-mal erfolgreich ist. Federer-Coach Stefan Edberg, selbst ein begnadeter Angreifer, wird seine helle Freude an dieser extrem offensiven Ausrichtung seines Schützlings gehabt haben.
Dauerdruck durch Federer beim zweiten Aufschlag
Schon während der gesamten Turnierwoche in Cincinnati wurde Federers neuer Offensivdrang inklusive erstaunlicher Chip-And-Charge-Angriffe deutlich. Was als „Witz“ (O-Ton Federer) im Training begann, stellte sich als probates Mittel heraus, um Grundlinienspezialisten wie Andy Murray (im Halbfinale) und eben Novak Djokovic unter hohen Druck zu setzen. Genau das ist der Vorteil dieses eigentlich ausgestorbenen Spielzugs: Wenn der Aufschläger über den zweiten Service geht, muss er mit einem sofortigen Angriff des Gegners rechnen. Dadurch wird er gezwungen, etwas mehr Risiko in den Zweiten zu legen, um es dem Kontrahenten so schwer wie möglich machen, eine Attacke zu starten. Gleichzeitig gerät er direkt nach dem Aufschlag so schnell unter Beschuss, dass er oft noch gar nicht richtig für den nächsten Ball vorbereitet ist. Selbst Djokovic unterliefen in diesen Drucksituationen erstaunlich viele Fehler. Charakteristisch auch: In seinem ersten Aufschlagspiel des zweiten Satzes machte Djokovic drei Doppelfehler und verlor das einzige Aufschlagspiel der gesamten Partie – eine Folge des Dauerdrucks bei seinem zweiten Service durch Federer.