Die schillernde Karriere der Maria Sharapova
Maria Sharapova ist im Februar 2020 als Profisportlerin zurückgetreten – über eine Karriere, die ein klein wenig zu perfekt verlaufen ist.
Text: Jürgen Schmieder
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 4/2020
Nein, so werde sie ihre Karriere auf gar keinen Fall beenden, sagte Maria Sharapova im März 2016: „Nicht in so einem Hotel, nicht auf so einem hässlichen Teppich.“ Es stimmte schon: Der Teppich, knallrote Schnörkel auf neongelbem Grund, war wirklich außerordentlich grauenvoll, eine Stil-ikone wie Sharapova, die an diesem Tag die Einnahme eines verbotenen Mittels gestand, muss ihre sportliche Karriere beenden, wie sie es nun getan hat: mit einem Essay in der Modezeitschrift Vogue, dazu ein Bild als Ballerina und dieser Satz, der gerade bei ihr so viele Bedeutungen haben kann: „Wie lässt man das einzige Leben zurück, das man je gekannt hat?“
Dieses Leben begann offiziell am 19. April 1987 in Westsibirien, wegen des Reaktorunglücks in Tschernobyl zogen die Eltern bald um nach Sotschi, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass das einzige Leben, das Sharapova je kannte, im Jahr 1991 begann: Aleksandr Kafelnikov, der Vater des späteren Grand Slam-Siegers Yewgeny, drückte ihr einen Tennisschläger in die Hand, sie begann zu spielen – und hörte nie wieder auf. Martina Navratilova erkannte diese unfassbare Hand-Augen-Koordination im Jahr 1993 beim Training in Moskau und empfahl der Familie, die Tochter in den USA ausbilden zu lassen. „Ich habe mein Leben dem Tennis gegeben“, schreibt Sharapova nun. Mal ehrlich: Wer kann sich so ein Leben, so eine Kindheit, so eine Jugend vorstellen?
Erst Wimbledon, dann Millionen
Sie kam im Alter von sechs Jahren in ein ihr fremdes Land, Vater Juri hatte 700 Dollar dabei, die Mutter blieb zurück. Beide sprachen zunächst kein Englisch. Der Vater schuftete in mehreren schlecht bezahlten Jobs, bevor die Agentur IMG die jährlichen Kosten von 35.000 Dollar an der Akademie von Nick Bollettieri in Florida übernahm, Sharapova war Außenseiterin inmitten privilegierter amerikanischer Kinder und die ließen sie das spüren. „Ich war sehr einsam“, sagte sie einmal: „Ich habe meine Mutter vermisst, ich bin gehänselt worden. So habe ich gelernt, mich um mich selbst zu kümmern.“
Wenn man nun all die Erfolge betrachtet, den Wimbledonsieg 2004 im Alter von 17 Jahren, den Gewinn aller Grand Slam-Turniere mit dem French Open-Titel 2012 – was außer ihr gerade mal neun weitere Spielerinnen geschafft haben. Die 36 Turniersiege, dabei auch die WTA-Finals im Jahr 2004. Nummer eins der Welt. Elf Mal bestverdienende Sportlerin der Welt. Einnahmen in Höhe von knapp 300 Millionen Dollar. Wer all das sieht, dürfte sagen: Hat sich gelohnt! „Tennis hat mir ein Leben zurückgeschenkt“, schreibt sie.
Aber warum nur muss man doch an den Satz von Matthew Weiner denken, Erfinder der Serie „Mad Men“? Der sagte: „Würde ich gerne so schreiben können wie Fjodor Dostojevski? Aber ja! Nur: Um das schreiben zu können, muss man erlebt haben, was er erlebt hat. Die wichtigere Frage ist also: Will ich erleben, was Dostojevski erlebt hat? Und da lautet die Antwort: Niemals!“
Maria Sharapova: „Der Tennisplatz ist meine Bühne”
Bitte nicht falsch verstehen: Jeder Cent sei ihr gegönnt, und es ist wichtig, das zu sagen, weil es immer wieder mal Debatten gegeben hat über Sport und Vermarktung, in deren Zentrum Maria Sharapova gestanden hat, die ja nie nur Tennisprofi gewesen ist, sondern immer auch Produkt und Marke. „Ich bin Entertainerin, der Tennisplatz ist meine Bühne“, sagte sie bei einer Begegnung im Jahr 2015, ein Grand Slam-Turnier sei doch nichts anderes als ein Rockkonzert oder eine Theateraufführung: „Es gibt doch nichts Schöneres, als wenn Menschen ein Ticket kaufen, um eine Vorstellung von dir zu sehen.“ Sie sagte nicht Spiel. Sie sagte Vorstellung.
Im Alter von 13 Jahren hat sie ein Reporter gefragt, ob sie denn lieber Wimbledon gewinnen oder 20 Millionen Dollar mit Werbeverträgen verdienen würde. Ihre Antwort: „Ich würde Wimbledon gewinnen wollen, weil dann die Millionen auch so kommen.“ Genau so war es dann auch, die sportlichen Erfolge waren die Grundlage für all die anderen Einkünfte, der clevere Manager Max Eisenbud verwaltete die Marke, und die Frage ist: Welches Leben hat diese Maria Sharapova bislang geführt?
Was machte Maria Sharapova richtig?
Sport gilt gemeinhin als Meritokratie, also: Die Besten bekommen das meiste Geld. Natürlich gibt es Athleten, die aufgrund ihrer Herkunft (Yao Ming als erster chinesischer Basketballspieler in der nordamerikanischen NBA), geschickter Vermarktung (David Beckhams Wechsel zu Los Angeles Galaxy), besonderer Attraktivität (Ex-Tennisspielerin Anna Kournikova) oder grandioser Karriereplanung (die Auswahl der Gegner des Ex-Boxers Henry Maske) mehr einnehmen, als es die sportlichen Meriten rechtfertigen würden. Das soll aber die Ausnahme sein.
Bei Sharapova war das anders, weil es stets diesen Vergleich mit der Amerikanerin Serena Williams gegeben hat. Williams hat 20 von 22 Partien gewonnen, doch Sharapova verdiente meist doppelt so viel wie die Rivalin, die sie 2004 zum letzten Mal besiegt hatte. Das führte zu Debatten darüber, warum die große, blonde und hellhäutige Eisprinzessin deutlich mehr verdiente als die Afroamerikanerin Williams. Die Frage war oft: Was läuft da falsch? Kaum jemand fragte: Was macht Sharapova richtig? Die sportlichen Erfolge waren wichtig, gewiss, die Initialen von Anna Kournikova dienen Pokerspielern als Spitzname für zwei Karten („Ass, König – AK: Sieht gut aus, gewinnt nie.“), bei Sharapova hieß es dagegen, dass sie aufgrund ihres gleichmütigen Verhaltens auf dem Platz auch gute Chancen am Pokertisch hätte. Es gab keine Ausraster, sie beleidigte keine Gegnerinnen und Schiedsrichter, sie wurde noch nicht einmal wütend auf sich selbst.
Maria Sharapova als Mrs. Perfect
Diese Disziplin lobten auch all jene, die abseits des Platzes mit ihr arbeiteten. Viele Prominente bleiben bei Fotoshootings, Interviewterminen und Sponsorenauftritten so lange, wie es im Vertrag festgelegt ist – Sharapova blieb so lange, bis alle zufrieden waren. „Viele Sportler denken: Ich bin toll, mich wird schon jemand bezahlen“, sagt Manager Eisenbud: „Maria hat verstanden, dass das Geld nur dann fließt, wenn alle glücklich sind. Sie ist stets pünktlich, sie bleibt länger als vereinbart und fragt etwa bei Fotoaufnahmen: ,Habt Ihr wirklich alles?’“ Selbst bei Interviews fragte sie einen stets: Waren das wirklich alle Fragen?
Sharapova hatte verinnerlicht, dass Sport ein Teil der Unterhaltungsindustrie ist. Ihr Ziel schien es zu sein, immer allen zu gefallen. Jeder Satz war perfekt, wie dieser: „Es ist doch gerade als Frau sehr befriedigend, wenn man das machen darf, worin man gut ist.“ Oder: „Ich arbeite gern, ich kann nicht still sitzen.“ Allerdings: Wer allen gefallen will, der darf sich keine Fehler leisten, keine Ecken, keine Kanten. Alles muss glatt sein. Dieses Leben war immer ein klein wenig zu perfekt, um wahr zu sein, und genau deshalb war dieser Skandal, der der Anlass war, warum sie im März 2016 auf dem hässlichen Teppich stand, so groß.
Nach der Dopingbeichte war es nicht mehr wie vorher
Sharapova war bei den Australian Open 2016 mit dem verbotenen Mittel Meldonium erwischt worden. Das Herzmedikament stand seit dem 1. Januar 2016 auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur. „Ich habe die Liste nicht gelesen. Ich habe das Mittel fast zehn Jahre lang eingenommen und nicht gewusst, dass es nun verboten ist.“ Das Problem dabei: Jemand, der so stolz darauf ist, sowohl Karriere als auch Privatleben bis ins letzte Detail zu planen und sich selbst als „Pedantin“ bezeichnet, begründete einen positiven Befund mit Schusselei? Puh.
Sie hat ihre Karriere nicht beendet an diesem Tag, nicht in diesem Hotel, nicht auf diesem Teppich – und doch war es nicht mehr wie davor. Sie erreichte bei nur einem Grand Slam-Turnier (French Open 2018) das Viertelfinale, bei den letzten drei Teilnahmen schied sie jeweils in der ersten Runde aus. Sie war häufig verletzt, in der Weltrangliste wurde sie zuletzt auf Platz 373 geführt. Es gab Leute, die sagten, dass sie nur noch Tennis gespielt habe, weil das in zahlreichen Verträgen als Klausel für Werbeeinnahmen festgelegt war. Es sollte perfekt weitergehen, doch Sharapova hatte sich längst emanzipiert vom Sport.
Morgens einen Kaffee, abends eine Pizza
Sie merkte, dass da noch eine Menge Leben nach der Karriere übrig ist – und im Gegensatz zu vielen anderen Sportlern wusste sie, was sie mit diesem Leben anfangen will: ein bisschen Zeit mit der Familie genießen. Morgens in aller Ruhe einen Kaffee trinken. Abends ein Stück Pizza essen, ohne ans Training am nächsten Tag zu denken.Tanzstunden nehmen. Und ja, auch dies: Kinder bekommen. Es dürfte nicht langweilig werden, das neue Leben, sie fördert bereits weibliche Start-up-Gründerinnen und trat kürzlich als Investorin in der TV-Sendung Shark Tank auf.
Kann es sein, dass dieses Leben, das Sharapova vom Tennis geschenkt bekommen hat, erst jetzt beginnt, wo die Karriere vorbei ist? „Tennis hat mir die Welt gezeigt, und es hat mir gezeigt, woraus ich gemacht bin“, schreibt sie: „Was immer mein nächstes Kapitel sein wird, mein nächster Berg: Ich werde weiterhin Gas geben, weiterhin klettern, weiter wachsen.“ Klingt ganz so, als wäre Sharapova dort angekommen, wo sie immer hinwollte. Und nun ein Leben führen darf, das nicht mehr immerzu perfekt sein muss.
Maria Sharapova in Zahlen
5 Grand Slam-Titel: Sharapova siegte beim Wimbledonturnier 2004, bei den US Open 2006, bei den Australian Open 2008 sowie bei den French Open 2012 und den French Open 2014.
10 Grand Slam-Finals: Sharapovas Bilanz in Grand Slam-Endspielen ist ausgeglichen: fünf Siege und fünf Niederlagen. In drei Finals unterlag sie gegen Serena Williams.
36 WTA-Titel: Ihren ersten WTA-Titel gewann Sharapova im September 2003 in Tokio. Ihren letzten holte sie im Oktober 2017 in Tianjin, ihr einziger nach der Dopingsperre.
21 Wochen Nummer 1 der Welt: In den Jahren 2005 (sieben Wochen), 2007 (sieben Wochen), 2008 (drei Wochen) und 2012 (vier Wochen) führte Sharapova die Weltrangliste an.
Siegerin WTA-Finals 2004: Sharapova nahm insgesamt achtmal am Saisonfinale der acht besten Spielerinnen des Jahres teil. Gleich bei ihrer Premiere, 2004 in Los Angeles, gewann sie ihren einzigen Titel.
Olympia-Silber London 2012: Das olympische Tennisturnier 2012, das in Wimbledon ausgetragen wurde, blieb Sharapovas einzige Olympia-Teilnahme.
645 Karrieresiege: Sharapova holte im Jahr 2002 im Alter von 14 Jahren beim ITF-Turnier in Columbus (USA) ihren ersten Sieg als Profi. Ihr letztes Match gewann sie im August 2019 beim WTA-Turnier in Cincinnati. Sie besiegte die Amerikanerin Alison Riske.
38.777.962 US-Dollar an Preisgeld: Nur zwei Spielerinnen verdienten im Laufe ihrer Karriere mehr als Sharapova. Venus Williams (41.803.356 $) und Serena Williams (92.715.122 $) –Yeezys – Jordans, Musee-jacquemart-andre News, Jordan Essentials Statement Hoodie – release dates & nike. | cheapest jordan 1 low colorways