Diego Dedura-Palomero: Das ist Deutschlands große Tennis-Hoffnung
Diego Dedura-Palomero hat bei den BMW Open sein erstes ATP-Match gewonnen – wenn auch durch Aufgabe seines Gegners. Aber wer ist der 17-Jährige genau? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Sein Sieg als Lucky Loser in der ersten Runde der BMW Open von München ist womöglich nur der Anfang einer großen Karriere des 17-jährigen Nachwuchsspielers Diego Dedura-Palomero. Wir stellen den Berliner mal genauer vor.
Wie kam Diego Dedura-Palomero überhaupt ins Hauptfeld von München?
Als Nummer 549 im ATP-Ranking bekam Diego Dedura-Palomero von den Veranstaltern der BMW Open eine Wildcard für die Qualifikation. Dort bezwang „DDP“, wie er in der Szene kurz und prägnant genannt wird, den etablierten US-Profi und Top 100-Spieler Mackenzie McDonald glatt mit 6:3, 6:1. Allein das war schon ein bemerkenswerter Erfolg. Im Quali-Finale verlor Dedura-Palomero dann gegen Alexander Bublik mit 3:6, 3:6.
Danach ging das große Zittern los, denn es sagten einige Hauptfeldspieler ab und es wurden Plätze für Lucky Loser frei. Für all jene also, die in den insgesamt vier Qualifinals verloren hatten – wie DDP. Drei Lucky Loser durften zunächst nachrücken, aber der Deutsche war nicht dabei. Was für ein Pech! „Ich war super genervt und super sauer“, räumte Dedura-Palomero später ein. Doch dann sagte am Montagnachmittag plötzlich noch Gael Monfils ab – und DDP stand doch im Hauptfeld. Allein das ist ja schon eine sagenhafte Geschichte. Oder wie es Diego formulierte: „Alles passiert aus einem Grund im Leben!“
Was passierte im Match zwischen Diego Dedura-Palomero und Denis Shapovalov?
Erstes ATP-Match, volle Hütte in München, etliche Freunde und Familienmitglieder schauten zu, aber Diego Dedura-Palomero spielte so auf, als würde ihn das alles nicht sonderlich beeindrucken. Und Denis Shapovalov, die Nummer 29 der Weltrangliste, erwischte – vorsichtig formuliert – nicht seinen besten Tag. DDP, unglaublich dynamisch und quirlig von der Grundlinie, hatte einen klaren Matchplan: Alles reinspielen, was geht – aber nicht irgendwie, sondern mit Druck und Länge.
Rising to the occasion 🙌
Dedura-Palomero takes the opener 7-6 against Denis Shapovalov 💪#BMWOpen pic.twitter.com/98r9z4p8Ff
— Tennis TV (@TennisTV) April 15, 2025
Er vermied leichte Fehler und ging nicht auf risikoreiche Winner. Sein Gegner indes wollte das Geschehen auf dem Court bestimmen, was ihm aber nur selten gelang, weil er einfach zu viele Fehler machte. Der erste Satz mündete im Tiebreak: DDP blieb stabil, Shapovalov machte die Fehler. 7:6 für den deutschen Teenager. Im zweiten Satz gab Shapovalov dann beim Stand von 6:7, 0:3 auf. Grund: Er hatte sich allem Anschein nach noch nicht richtig von einem grippalen Infekt in der Vorwoche erholt. Unterm Strich gelangen Dedura-Palomero „nur“ drei Winner, er tauchte kein einziges Mal vorne am Netz auf, machte aber auch nur zehn vermeidbare Fehler. Shapovalov hingegen leistete sich 39 „unforced errors“ bei 15 Winnern.
Musste Diego Dedura-Palomero den Sieg durch Aufgabe wirklich so abfeiern?
Nach dem Handshake mit Shapovalov und dem Dank an den Stuhlschiedsrichter ließ der Teenager seinem Jubel freien Lauf. Er pushte sich, schrie, ging in die Knie. Dann zeichnete er mit seinem Fuß ein Kreuz auf die Asche und legte sich genau auf dessen Mitte. Natürlich dauerte es nicht lange, bis ein Video davon im Web viral ging und sich die „Jubel-Polizei“ zu Wort meldete: Das ginge alles gar nicht, so etwas mache man nicht, wenn der Gegner aufgibt, der soll sich mal benehmen.
First ATP Tour Win 🙌
Denis Shapovalov is forced to retire and Diego Dedura-Palomero is through to the second round 🤝#BMWOpen pic.twitter.com/2Dbx3J8QkA
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Nun, man muss seine Jubelgesten nicht unbedingt toll finden, aber warum soll ein 17-Jähriger, der seit seiner Kindheit von solchen Momenten träumt und dafür eine Menge investiert hat, seine Emotionen nicht einfach mal rauslassen dürfen? „Ich würde sagen, ich bin ziemlich gläubig. Ich glaube an Gott. Und ich glaube, er hat mir heute zum Sieg auch ein bisschen verholfen. Ich habe vor dem Match fünf Minuten gebetet und bin dann auf den Platz gegangen und habe die ganze Kraft mitgenommen. Und die Geste danach war einfach nur Dankbarkeit“, erklärte Dedura-Palomero später in der Pressekonferenz.
Klar wurde aber auch: DDP ist eine echte Heizdüse. Schon während des Matches forderte er öfter das Publikum auf, mehr Stimmung zu machen. Er feuerte sich an, feierte wichtige Punkte. Aber: Er war dabei nie wirklich drüber, sondern zeigte die Facetten seiner Persönlichkeit. „Ich glaube, ich bin eine komplizierte Person. Also ich habe viele verschiedene Aspekte an mir, die sind so ein bisschen komisch. Ich bin sehr unordentlich. Und ansonsten bin ich sehr ehrgeizig. Ich versuche, jedes Match zu gewinnen, so gut wie möglich zu kämpfen, bis zum Ende. Ich bin immer voller Emotionen. Also ich mag es gerne auszuflippen, die Leute mitzunehmen, emotional einfach da zu sein“, beschrieb er sich durchaus reflektiert nach dem Match selbst. So einem Typen kann man doch nicht wirklich böse sein, wenn er sich nach dem bisherigen Highlight seiner Karriere mal ordentlich abfeiert.
Was bedeutet dieser Sieg für Diego Dedura-Palomero?
Durch den Einzug ins Achtelfinale von München wird er in die Top 400 der Weltrangliste einziehen – das steht bereits fest. Sollte er nun am Donnerstag auch noch gegen den Belgier Zizou Bergs, Nummer 50 im Ranking, gewinnen, würde es Richtung Top 300 für Dedura-Palomero gehen. Es wird ein interessantes Duell, denn Bergs, 25 Jahre alt, ist ebenfalls ein emotionsgeladener Profi, der im Moment so hoch in der Weltrangliste wie noch nie steht.
„I can’t put it into words right now“ 🔊
An emotional Dedura-Palomero reacts to his first ATP Tour win 🤩#BMWOpen pic.twitter.com/jkpyN402pm
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Aus statistischer Sicht ist der Sieg von DDP gegen Denis Shapovalov einen Eintrag in die Tennis-Geschichtsbücher wert, denn der Deutsche ist der erste Spieler des Jahrgangs 2008, der ein Match auf ATP-Level gewinnen konnte. Die Liste derer, die die erste ATP-Partie ihres jeweiligen Geburtsjahres gewannen, liest sich übrigens wie ein „Who’s Who“ des Tennissports. Kurios dabei: Der erste ATP-Sieg eines Spielers des Jahrgangs 1999 gelang … genau, Denis Shapovalov. Der Kanadier schlug am 20. Oktober 2019 in Stockholm Filip Krajinović.
In der Liste stehen aber auch Arthur Fils (Jg. 2004), Carlos Alcaraz (Jg. 2003), Jannik Sinner (Jg. 2001), Alexander Zverev (Jg. 1997), Novak Djokovic (Jg. 1987) oder Lleyton Hewitt (Jg. 1981). Es ist ein erlesener Zirkel, zu dem der junge Deutsche nun gehört. Wichtig zu wissen: Der erste Spieler des Jahrgangs 2007, der ein ATP-Match gewann, ist ebenfalls ein Deutscher und heißt Justin Engel. Er kam in München per Wildcard ins Hauptfeld, schied aber gleich in der ersten Runde gegen Fabian Maroszan aus. DDP und Engel sind natürlich die großen Hoffnungsträger des deutschen Herrentennis und – trotz aller Konkurrenz – eng miteinander befreundet.
Wo kommt denn Diego Dedura-Palomero plötzlich eigentlich her?
Der 17-Jährige gilt schon seit drei, vier Jahren als Mega-Talent. 2024 war er der weltweit beste 16-Jährige im ATP-Ranking. Es ist also nicht komplett überraschend, dass ihm nun so ein Coup wie in München gelang.
2018 gewann Diego das Nationale Jüngsten-Turnier in Detmold in der Altersklasse U10 – ein erster Hinweis auf sein großes Können. Das erste Mal für Aufsehen in der nationalen Tennis-Bubble sorgte DDP 2021, als er in Ludwigshafen Deutscher Jugendmeister in der Altersklasse U13 wurde – und zwar im Einzel (ohne Satzverlust!) und im Doppel. Klar, den Titel des Deutschen Jugendmeisters holten sich schon etliche Kinder und Jugendliche, von denen man im Anschluss nie wieder etwas gehört hat.
Aber das Besondere an Dedura-Palomero war: Er wurde 2022 auch Deutscher Meister in der U14 und 2023 in der U16. Eine solche Siegesserie gab es im deutschen Jugendtennis in den letzten 25 Jahren nicht. Insofern war klar: Aus dem Jungen kann wirklich etwas werden.
Auch auf internationaler Ebene hinterließ er mehrere Ausrufezeichen. 2022 führte er am Ende der Saison die U14-Jahresbestenliste von Tennis Europe an. Highlight war der Sieg beim Tennis Europe Junior Masters in Monte Carlo. Er wurde in seiner Altersklasse also so eine Art „Europameister“.
SEÑOR MASSÚ. Diego Dedura-Palomero, alemán de padre chileno, se coronó campeón del Masters Europeo Sub 14 en el histórico Country Club de Monte Carlo.
Uno para el futuro 👀 pic.twitter.com/AV27ngEuR2
— Séptimo Game (@Septimo_Game) October 28, 2022
Parallel spielte Dedura-Palomero auch schon auf der ITF-Jugendtour, gewann 2022, 2023 und 2024 insgesamt sieben ITF-Juniortitel und war Ende 2024 die Nummer 27 der U18-Junioren-Weltrangliste – mit 16 Jahren. Bei den Junioren trafen DDP und Justin Engel übrigens dreimal aufeinander: Dedura-Palomero gewann zwei der drei Matches.
2023 trat er erstmals auf der ITF-Herrentour an. 2024, nachdem er mit dem Realschulabschluss (Notenschnitt 3,3) seine Schule beendet hatte, spielte er dort fast im Wochenrhythmus Turniere auf der ganzen Welt. Sein größter Erfolg: Finaleinzug beim IFT-25.000er in Santa Margherita di Pula als Qualifikant. Dazu ein erster Sieg auf Challenger-Ebene in Augsburg. Jugendturniere spielt er seit dem Sommer 2024 gar nicht mehr, der Fokus liegt auf den Herren.
Wie sieht das familiäre Umfeld von Diego Dedura-Palomero aus?
Er kommt aus seiner tennisverrückten Familie. Diegos Vater Cesar stammt aus Chile, seine Mutter Ruta aus Litauen. Beide sind Tennistrainer. Sein zwei Jahre älterer Bruder Mariano, der 2024 Herren-Hallenmeister im Tennisverband Berlin-Brandenburg wurde und im ATP-Ranking auf Platz 991 steht, wird nun auf ein US-College gehen, um dort zu studieren und Tennis zu spielen. Aktuell ist der kleine Bruder der bessere der beiden. Von ihren drei Matches auf der ITF-Juniortour 2022 gewann Diego zwei. Der Vater erzählte einmal, dass in Familienurlauben immer nur Tennis gespielt wurde und es für seine Jungs keine Klassenfahrten gegeben hätte – das tägliche Training hatte Vorrang.
Die Konstellation erinnert stark an die Tennisfamilie Zverev aus Hamburg. Mit dem Unterschied, dass die Familie Dedura-Palomero in Berlin zu Hause ist. Ihr Heimatverein ist Tennis-Club SSC Berlin, für den Diego 2024 in der zweiten Herren-Bundesliga an den Start ging. Seine Matchbilanz: Sieben Siege, vier Niederlagen (Einzel und Doppel). Vater Cesar ist Diegos Haupttrainer, Bruder Mariano dient in Berlin als Trainingspartner. Manchmal gibt es auch Trainingseinheiten mit Profi Rudi Molleker. Und Mama Ruta „kommt im Notfall auch mal zum Einsatz“, scherzte Diego auf seiner Münchener Pressekonferenz.
Wer kümmert sie sonst noch um Diego Dedura-Palomero?
Die Vermarktungsagentur IMG, die aktuell auch Carlos Alcaraz managt, nahm DDP bereits 2022 unter Vertrag. „Diego ist ein unglaublicher Kämpfer, harter Arbeiter und überrollt die Gegner mit seiner hohen Intensität“, sagte Manager Mats Merkel 2024 der WELT. „Seine Vorhand ist mächtig. Außerdem ist er sehr klar im Kopf und will sich jeden Tag verbessern. Er hat ein klares Ziel vor Augen.“ Von DTB-Seite kümmert sich Junioren-Bundestrainer Philipp Petzschner auf Lehrgängen um DDP. „Petzsche“ ist vor allem von dessen Grundlinienspiel schwer angetan. Optimierungsbedarf sieht er insbesondere noch beim Aufschlag.
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Welche Verbindung hat Diego Dedura-Palomero zu Rafael Nadal?
Rafael Nadal ist das große Vorbild von Diego Dedura-Palomero. „Ich habe seine ganzen Matches geguckt, ich kenne die alle auswendig“, sagt er. Wer ihn spielen sieht, erkennt sofort die Nadal-artige Vorhand, eine Mischung aus hohem Tempo und krassem Spin. Schon als kleiner Junge rannte Diego mit einem Nadal-Stirnband über die Plätze Berlins. Und natürlich wollte er mit Babolat-Rackets spielen – wie sein großes Idol. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Was sie darüber hinaus verbindet: DDP ist wie Nadal Linkshänder.
Er bewundert Nadal aber nicht nur als Sportler, sondern auch als Mensch: „Rafa ist immer nett und respektvoll.“ Regelmäßig trainiert Dedura-Palomero inzwischen in der Nadal-Academy auf Mallorca. Turnierfreie Wochen verbringt er in der Regel dort. „Es gibt dann nichts anderes als Tennis. Von 08:30 bis 17:00 Uhr steht man eigentlich auf dem Court oder ist im Gym“, sagt Diego Dedura-Palomero. Bei seinem vielen Aufenthalten hat er auch schon öfter mit Nadal höchstpersönlich trainiert: „Ich lerne jedes Mal von ihm etwas dazu.“
Wie wird es nun weitergehen mit Diego Dedura-Palomero?
Für ihn selbst ist die Antwort klar: nach oben! Er will sich hoch arbeiten in der Weltrangliste und auf den größten Courts dieser Welt bei den Grand Slam-Turnieren spielen. Was das Turnier in München angeht, stapelt DDP aber eher tief: Von weiteren Siegen würde er zunächst nicht träumen, weil „das zu weit gedacht ist“, wie er anmerkt. Und weiter: „Ich kann gegen diese Jungs noch nicht regelmäßig gewinnen.“ Die Betonung liegt auf dem Wort noch.
Langfristig träumt er natürlich von weiteren Siegen. Aber er weiß auch, dass er nun Schritt für Schritt vorangehen muss. Es wird Rückschläge geben, logisch. Als Justin Engel im Oktober 2024 in Almaty sein erstes ATP-Match gewann, dachten auch einige: Jetzt startet er voll durch. So kam es aber nicht. 2025 hat Engel auf Challenger-Ebene noch kein Hauptfeld-Match gewonnen. Seine Bilanz lautet: 0:5. In der Weltrangliste stagniert er bei einer Position rund um die 350 seit Beginn des Jahres.
Diego Dedura-Palomero weiß das alles. Und er bringt all das mit, was es braucht, um irgendwann wirklich zu den Besten zu gehören. „Disco, Alkohol und all diese Dinge interessieren mich nicht. Alles, was ich will, ist Tennis spielen – und eines Tages vielleicht die Nummer eins der Welt werden“, sagte er mal der Welt.
Sollte ihm das gelingen, wird dieser erste ATP-Sieg in München irgendwann in einem ganz anderen Licht dastehen.