Disqualifikation von Andrey Rublev: Gerechtfertigt oder übertrieben?
In seinem Halbfinalmatch beim ATP-Turnier in Dubai griff Andrey Rublev beim Stand von 5:6 im dritten Satz einen Linienrichter verbal an und wurde daraufhin disqualifiziert. Eine gerechtfertigte Entscheidung oder doch überzogen?
Der Grund für Rublevs Ausraster
Das Match zwischen Rublev und Alexander Bublik, beide als Hitzköpfe bekannt, war längst in der entscheidenden Phase. Der Kasache schlägt einen Vorhandball nur knapp vor die Grundlinie, welchen Rublev im Aus sieht. Es gibt allerdings keinen Ausruf und der Russe verliert anschließend den Ballwechsel und somit auch das Spiel zum 5:6. Der Russe geht daraufhin den Linienrichter verbal an und wird dann nach längerer Diskussion disqualifiziert. Offizieller Grund: Er soll den Linienrichter auf russisch als „scheiß Idioten“ bezeichnet haben. Zunächst sollten ihm auch die erspielten 200 Ranglistenpunkte und 145.000 Dollar Preisgeld nicht gewährt werden. Dagegen hat der 26-jährige Einspruch eingelegt und Recht bekommen. Nun muss er lediglich eine Geldstrafe in Höhe von 36.400 Dollar zahlen.
Rublev erhält Rückhalt von seinen Kollegen
Mehrere seiner Tennis-Kollegen gaben dem Russen nach der Aktion Rückendeckung. Seine Landsfrau und Weltranglisten 12. der Damen Daria Kasatkina schrieb auf der Plattform X: „Man kann einen Spieler einfach rausschmeißen, seine Punkte und sein Geld wegnehmen, ohne auch nur eine Video-Wiederholung anzuschauen? Was für ein Witz, eine weitere Bestätigung, dass wir einen VAR im Tennis und eine elektronische Linienerkennung bei allen Turnieren brauchen.“ Auch der Australier Nick Kyrgios, selbst für seine regelmäßigen Wutausbrüche bekannt, hielt die Entscheidung für falsch: „Ich fühle mit Rublev, ich will keinen Spielabbruch“ (via X). Selbst Gegner Bublik plädierte noch auf dem Platz für eine Fortsetzung des Matches und sagte später, dass Rublev keinesfalls „so ein Typ sei“.
Rublev schreit einen Linienrichter an und soll ihn dabei auf russisch beleidigt haben. Daraufhin wird er aus Unsportlichkeit disqualifiziert. ❌#SkyTennis #Rublev #ATPDubai pic.twitter.com/A9OJqEeMA3
— Sky Sport (@SkySportDE) March 1, 2024
Doch es gab auch Gegenwind. Der französische Tennis-Journalist Bastien Fachen schrieb beispielsweise auf X: „Egal, ob er dabei ein Schimpfwort benutzt oder nicht, man kann einem Tennis-Offiziellen so nicht ins Gesicht schreien und damit davonkommen. Es ist Zeit für Rublev zu handeln und seine Wutprobleme in den Griff zu bekommen.“ Auch Sky-Kommentator Marcel Meinert, der die Partie live begleitet hatte, fand die Disqualifikation in Ordnung: „Die Disqualifikation gegen Rublev ist die einzig richtige Entscheidung, mir ist fast schon egal, was er da sagt. So darf man in keinem Sport mit Offiziellen umgehen.“
Electronic Line Calling ab 2025 flächendeckend
Im Zuge des Vorfalls kommt auch die Diskussion um das Electronic Line Calling wieder in Fahrt. Erst ab 2025 wird das technische Hilfsmittel flächendeckend auf der gesamten ATP-Tour eingesetzt. Bisher ist die Verwendung freiwillig, doch es stellt sich die Frage, warum gerade finanzkräftige Turniere wie Dubai die Technik nicht bereits nutzen, um solche Zwischenfälle zu verhindern. Tradition als Argument ist hinfällig, wenn die Nutzung ab nächstem Jahr ohnehin verpflichtend wird.
War die Disqualifikation von Andrey Rublev in Dubai gerecht?
Auch Rublev selbst hat sich mittlerweile auf X geäußert und sich zunächst für die Einsicht der ATP bedankt. Er rief die Organisation jedoch auch dazu auf, „die Regelung genauer zu betrachten und diese so zu verändern, dass Offizielle ein Spiel nicht ohne klare Beweise oder Einsicht der Wiederholung beenden können“. Weiterhin verspricht er sein Verhalten in Zukunft „als Spieler und als Person“ zu bessern.
Was besagt das Regelwerk?
Bei solchen Vorfällen lohnt sich ein Blick in das Regelwerk der ATP. Nach Punkt acht („Verhaltenskodex“) wird ein verbaler Angriff mit einer Geldstrafe und einer Verwarnung geahndet. Bei einem besonders schwerwiegenden Vergehen ist auch eine sofortige Disqualifikation möglich. Die Entscheidung darüber fällt für gewöhnlich der Supervisor. Im Fall von Rublev wurden also die Verwarnungen wie Punkt- oder Spielverlust übersprungen und eine sofortige Disqualifikation ausgesprochen. Schaut man sich ähnliche Fälle an, fällt allerdings auf, dass diese Regelung nicht immer ganz einheitlich angewendet wird.
Kyrgios zwischen Verwarnung und Disqualifikation
In puncto Verwarnungen und auch Disqualifikationen, gibt es nur wenige Spieler, die schon so viel erlebt haben wie Nick Kyrgios. Egal, ob verbale Auseinandersetzungen mit dem Schiedsrichter, der eigenen Box, oder ob der Schläger dran glauben muss. Der Australier sammelt Verwarnungen wie andere Leute Briefmarken. Beim Masters Turnier in Rom 2019 flog neben seinem Schläger auch ein Stuhl auf den Platz. Er legte sich mit Zuschauern, Ordnern und dem Stuhlschiedsrichter an und verließ, nachdem er den Supervisor als „Idioten“ beleidigt hatte, schlussendlich den Platz. Der Aktion folgten eine Disqualifikation, eine Geldstrafe sowie ein Entzug der Weltranglistenpunkte und des Preisgelds.
Nur einige Monate später gab es beim Masters in Cincinnati den nächsten Zwischenfall. Kyrgios verschwand zunächst unerlaubt in den Katakomben und zertrümmerte dort zwei Schläger, bevor er nach dem Spiel in Richtung des Stuhlschiedsrichters Fergus Murphy spuckte und ihn als „fucking tool“ (dt. Verfluchter Schw***) beleidigt. In diesem Fall gab es allerdings nur eine Geldstrafe in Höhe von 113.000 Dollar sowie eine Sperre und eine weitere Geldstrafe auf Bewährung.
Zverev kommt 2022 in Acapulco mit Bewährungsstrafe davon
Auch Deutschlands Nummer eins Alexander Zverev fiel in der Vergangenheit durch Wutausbrüche negativ auf. 2022 schlug er aufgrund einer strittigen Entscheidung in einem Doppelmatch beim Turnier in Acapulco nach Spielende seinen Schläger gegen den Stuhl des Schiedsrichters und traf diesen beinahe am Fuß. Resultat: 40.000 Dollar Strafe, keine Weltranglistenpunkte, keine 30.000 Dollar Preisgeld, eine Disqualifikation vom Einzelwettbewerb sowie eine Sperre und weitere Geldstrafe auf Bewährung.
Für andere war diese Strafe jedoch noch deutlich zu mild. Die 23-malige Grand Slam Siegerin Serena Williams schrieb, sie wäre wahrscheinlich ins Gefängnis gekommen, hätte sie so etwas getan. Schwedens ehemaliger Topspieler Mats Wilander forderte gar eine drei- oder sechsmonatige Sperre.
Rublevs Disqualifikation hätte nicht sein müssen
Schaut man sich jetzt das Beispiel Zverev im Vergleich zu Rublev an, stellt sich die Frage, ob die zunächst ausgesprochene Strafe gegen den Russen nicht etwas unverhältnismäßig ist. Während Zverev in Acapulco beinahe eine Körperverletzung begeht, vergreift sich Russlands Nummer zwei „nur“ im Ton. Trotzdem wird er zunächst, bis auf die Bewährungsstrafe, gleichermaßen bestraft. Dass die ATP ihm seine Ranglistenpunkte und einen Teil seines Preisgelds im Nachhinein dennoch gewährt, zeigt, dass die Reaktion vielleicht doch etwas übertrieben war. Auch der von Kasatkina angesprochene Punkt, dass die Situation nicht mal überprüft wurde, macht die Entscheidung umso fragwürdiger. Schließlich steht hier Aussage gegen Aussage: Der Linienrichter behauptet, Rublev hätte auf russisch geflucht. Der 26-jährige sagt, er hätte ausschließlich Englisch gesprochen. Ohne Überprüfung kann keiner der beiden Standpunkte verifiziert werden.
Fakt ist: Andere Spieler haben für ähnliche Vergehen schon deutlich geringere Strafen erhalten. Eine Verwarnung wäre in diesem Fall die angemessenere Bestrafung gewesen. Prominentestes Beispiel: Serena Williams bei den US Open-Halbfinale gegen Kim Clijsters 2009. Nach einem Fußfehler hatte die Amerikanerin einer Linienrichterin „wenn ich könnte, würde ich einen Ball nehmen und dir diesen tief in den Rachen stopfen“ sowie „ich bring dich um“ zugerufen. Resultat damals: Ein Strafpunkt – der allerdings gleichzeitig das Ende der Partie bedeutete. weil es ein Matchball für Kim Clijsters war.