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Über die einhändige Rückhand von Roger Federer schrieb Stargeigerin Anne-Sophie Mutter einmal: "Seine wunderbare einhändige Rückhand erinnert mich an einen großartigen Streicher. Präzision. Eleganz. Risikobereitschaft." (Foto: Getty Images)

Die einhändige Rückhand: in Schönheit gestorben

Wo sind bloß die ganzen Einhänder hin? Die einhändige Rückhand stirbt aus – und damit auch ein Stück Sportästhetik. Liebeserklärung an den schönsten Schlag im Tennissport.

Die einhändige Rückhand und mich verbindet schon immer eine gewisse Hassliebe. Sie ist mein schwächster Schlag: zu lahm, zu kurz, zu unpräzise. Zu oft schubse ich mit ihr nur den Ball übers Netz. Wie häufig habe ich schon gedacht: Wenn du damals als Elf- oder Zwölfjähriger nicht deine beidhändige Rückhand aufgegeben hättest, dann wäre jetzt bei den Herren 40 alles viel einfacher.

Aber es gibt diese Erfolgserlebnisse: Punktspiel am Wochenende, im Doppel stemmen sich mein Partner und ich gegen eine drohende Niederlage. Ich werde in einem Cross-Grundlinien-Duell auf der Vorteilsseite weit nach außen getrieben, erwische den Ball aber noch und schicke ihn wie an der Schnur gezogen mit meiner einhändigen Rückhand die Linie runter. Der Gegner am Netz hatte sich zu sehr zur Mitte orientiert und erreicht den Passierball nicht mehr, der ein paar Zentimeter vor der gegnerischen Grundlinie aufsetzt – BÄÄÄHHHMMM!

Erhabenheit für ein paar Sekunden durch die einhändige Rückhand

Wir verlieren das Doppel zwar, aber was bleibt, ist dieser Moment, in dem in höchster Bedrängnis ausnahmsweise alles stimmte und sich diese Rückhand-Longline so wunderbar leichtgängig anfühlte. Dieses Gefühl gibt mir kein Ass beim ersten Aufschlag, kein Vorhand-Winner aus dem Halbfeld und auch kein versenkter Volley vorne am Netz. Wie diese Rückhand von außen betrachtet aussah, weiß ich nicht. Und vermutlich spielte mir mein Gehirn auch einen Streich, aber ich kam mir so elegant, so geschmeidig, ja fast schon ästhetisch vor. So viel Erhabenheit auf dem Court für ein paar Sekunden – das vollbringt nur die einhändige Rückhand.

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete die einhändige Rückhand einmal in einem Essay als „geschwungenes Weltkulturerbe“. Die New York Times befand 2014: „Der Einhänder ist zum letzten Bollwerk der Kunstfertigkeit im Tennis geworden.“ Und als Stan Wawrinka 2023 bei den US Open die erste Runde überstand, ging eine Frage der Turnierverantwortlichen auf X viral: „Wollt ihr ein Best-Of von Stans Rückhänden sehen?“ Die Tennis-Bubble lechzte danach. Ein User antwortete: „Wenn Sie uns die Definition von Kunst zeigen wollen, dann ja!“ Es gibt im gesamten Weltsport keinen anderen Bewegungsablauf, der häufiger mit einer darstellenden Kunstform gleichgesetzt wird, als die einhändige Rückhand im Tennissport.

Die Huldigungen der einhändigen Rückhand – zu Papier gebracht etwa von US-Kultautor David Foster Wallace bis hin zur Stargeigerin Anne-Sophie Mutter in Bezug auf Roger Federer – rühmen die Anmut und Schönheit eines Schwungs, der, korrekt ausgeführt, mühelos die Bälle pfeilschnell beschleunigt, so dass sie unerreichbar am Gegner vorbeizischen. Wer diesen Moment einmal selbst auf dem Platz erlebt, der staunt darüber, wie wenig Aufwand dafür eigentlich nötig ist. Wie gering der Krafteinsatz ist. Und wie der Schwung die ganze Arbeit von selbst erledigt. Aber derjenige weiß natürlich auch, dass es einem durchschnittlich begabten Tennisspieler mit einhändiger Rückhand vielleicht einmal in 20 Fällen gelingt, den Ball so punktgenau und stimmig zu treffen. Bei mir persönlich fällt die Quote eher noch geringer aus.

Für einen kurzen Moment „wie ein antiker Held oder sogar Gott“

Roger Federer steht für diese gelassen-lässige Art der einhändigen Rückhand wie kein Zweiter. Es sah immer so unangestrengt aus, wenn er seine Schwünge vollführte, den rechten Schlagarm weit nach oben führte, während er den linken Arm tief nach unten streckte. Für einen kurzen Moment, nach dem Ende der Ausschwungphase, stand er dann auf dem Platz wie „ein antiker Held oder sogar Gott“, schrieb der Kunstkritiker Peter Richter einmal, und glich dabei einer antiken Statue. „Wenn er, wie in Wimbledon vorgeschrieben, Spielkleidung in Weiß dazu trägt, verstärkt sich dieser marmorne Statuen-Aspekt noch“, so Richter weiter.

Es ist der Verdienst Federers, dass der einhändigen Rückhand so viel Eleganz und Grazie zugeschrieben wird, gerade in Zeiten, die vom, nun ja, Grundlinien-Gebolze der Beidhänder geprägt sind. Federer, sein Landsmann Stan Wawrinka und auch Stefanos Tsitsipas, Dominic Thiem oder Grigor Dimitrov setz(t)en die eleganten Kontrapunkte im körperbetonten Hochgeschwindigkeitssport Profitennis, in dem die beidhändige Rückhand dank ihrer Stabilität, ihrer vergleichsweise einfacheren Ausführung und ihrer größeren Fehlertoleranz den Profis zunehmend Vorteile verschafft.

Die Nachteile der einhändigen Rückhand

Vor allem beim Return und bei hohen Bällen auf die Rückhandseite sind Beidhänder im modernen Tennis begünstigt. Als Beidhänder hat man in beiden Fällen eine höhere Kontrolle über den Ball. Es ist längst ein Stück Tennis-Geschichte, wie Rafael Nadal in seinem ewigen Duell mit Roger Federer dessen einhändige Rückhand als Schwachstelle lokalisierte, die er immer wieder mit seiner insbesondere auf Sand hoch abspringenden Linkshänder-Vorhand-Topspin-Peitsche bearbeitete.

Der Einhänder muss entweder mehr Risiko eingehen und den Ball früher nehmen, oder er lässt sich zurückfallen und lässt den Ball austrudeln. Alles, was sich über Schulterhöhe abspielt, ist für Spieler und Spielerinnen mit einhändiger Rückhand schwieriger zu handhaben. Wer die beidhändige Variante nutzt, kann auch aus dieser Position heraus noch mit Power antworten.

„Die beidhändige Rückhand kann auch schön sein, aber wenn ich mir die Rückhand von Novak Djokovic oder Andy Murray ansehe, stelle ich sie mir immer wie eine Betonabrissbirne auf einer Baustelle vor, bei der das Pendel hin und her schwingt“, beschrieb Annabel Croft, ehemalige Nummer eins Großbritanniens und heutige Tennis-Fernsehmoderatorin, in der Times sehr anschaulich die moderne Spielweise der Rückhand. Aber: Der Erfolg gibt den Beidhändern recht.

Einhändige Rückhand

Vorreiterrolle: Mit Jimmy Connors stand 1973 erstmals ein Spieler mit der beidhändigen Rückhand in den Top 10. (Foto: Imago)

Was in den 70-er Jahren mit Jimmy Connors, Björn Borg und Chris Evert anfing, die damals mit ihren beidhändigen Rückhandschlägen als Exoten galten, ist mittlerweile der Standard auf den Tennisplätzen weltweit geworden – insbesondere bei Spielern und Spielerinnen, die jünger als 40 Jahre sind. Die beidhändige Rückhand ist für Kinder, denen die Grundkraft für lange Rückhandschwünge noch fehlt, einfacher zu lernen. Und: Für Trainer ist sie auch schneller beizubringen, weil die technischen Voraussetzungen für ihre erfolgreiche Umsetzung leichter sind.

Vereinfacht runtergebrochen ist die beidhändige Rückhand eigentlich eine Vorhand mit dem schwachen Arm, der genau deswegen auf die Unterstützung des starken Arms angewiesen ist. Der frühere DTB-Bundestrainer Richard Schönborn nannte die beidhändige Rückhand schon zu Beginn ihres vermehrten Auftretens eine „verdeckte Vorhand“.

Der Siegeszug der beidhändigen Rückhand

Einige Beidhänder haben aus diesem Grund Probleme an ihren nicht-dominanten Handgelenken bekommen; also an ihren schwachen Armen, die der Dauerbelastung nicht standhalten konnten. Denn: Die beidhändige Rückhand wird mehr gestoßen als geschwungen, dadurch ist der „Impact“ beim Treffpunkt größer, was insbesondere zu Lasten der nicht-dominanten Handgelenke geht.

Den Siegeszug der Beidhänder hat das aber nicht aufgehalten – im Gegenteil. Anfang der Woche erschien die erste Herren-Weltrangliste, die in den Top 10 keinen einzigen Spieler mit einhändiger Rückhand enthielt. Das ist eine Zäsur in der Tennisgeschichte. Die Entwicklung kam aber nicht überraschend, sondern sie bahnte sich über Jahrzehnte an. Das Verhältnis von Einhändern und Beidhändern in den Top 10 verschob sich dabei sukzessive (s. Tabelle unten).

Wachablösung

Verteilung von Spielern mit ein- und beidhändiger Rückhand (EH/BH) in den Top 10 seit 1973 (jeweils am Jahresende)

197319831993200320132024*
Nastase (EH)McEnroe (EH)Sampras (EH)Roddick (BH)Nadal (BH)Djokovic (BH)
Newcombe (EH)Lendl (EH)Stich (EH)Federer (EH)Djokovic (BH)Alcaraz (BH)
Connors (BH)Connors (BH)Courier (BH)Ferrero (BH)Ferrer (BH)Sinner (BH)
Okker (EH)Wilander (BH)Bruguera (BH)Agassi (BH)Murray (BH)D. Medvedev (BH)
Smith (EH)Noah (EH)Edberg (EH)Coria (BH)del Potro (BH)Rublev (BH)
Rosewall (EH)Arias (EH)A. Medvedev (BH)Schüttler (BH)Federer (EH)Zverev (BH)
Orantes (EH)Higueras (EH)Ivanisevic (BH)Moya (BH)Berdych (BH)Rune (BH)
Laver (EH)Clerc (EH)Chang (BH)Nalbandian (BH)Wawrinka (EH)Hurkacz (BH)
Kodes (EH)Curren (EH)Muster (EH)Philippoussis (EH)Gasquet (EH)de Minaur (BH)
Ashe (EH)G. Mayer (BH)Pioline (EH)Grosjean (BH)Tsonga (BH)Fritz (BH)
9 EH / 1 BH7 EH / 3 BH 5 EH / 5 BH2 EH / 8 BH3 EH / 7 BH 0 EH / 10 BH
*Stand vom 19. Februar 2024

1973 standen zum Jahresende neun Einhänder und ein Beidhänder (Jimmy Connors) in der Weltspitze. 1983 waren es sieben Einhänder und drei Beidhänder, 1993 war das Verhältnis ausgeglichen (5 zu 5), 2003 gab es nur noch zwei Einhänder, 2013 wieder drei und jetzt eben gar keinen mehr. Quizfrage: Wann gab es das letzte Grand Slam-Herrenfinale, in dem zwei Spieler mit einhändiger Rückhand aufeinandertrafen? Melbourne 2007: Roger Federer gegen Fernando Gonzalez.

Die einhändige Rückhand verschwindet allmählich

Die einhändige Rückhand ist ein Schlag, der allmählich verschwindet. Bei den Damen ist das schon länger zu beobachten. Dort sind in den Top 100 noch drei Spielerinnen mit einhändiger Rückhand vertreten: die Deutsche Tatjana Maria, dazu Diane Parry aus Frankreich und die Schweizerin Viktorija Golubic. Bei den Herren stehen immerhin elf Einhänder in den Top 100.

Allerdings lässt die Altersverteilung nur den Schluss zu, dass die einhändige Rückhand im Profitennis ein Auslaufmodell ist, denn mit Lorenzo Musetti (21) gibt es nur noch einen Einhänder in den Top 100, der jünger als 25 Jahre ist. Ein Blick in die Top 300 des ATP-Rankings zeigt: Insgesamt sind dort 24 Einhänder aufgelistet. Allerdings: Elf von ihnen sind älter als 30 Jahre, zehn liegen zwischen 25 und 29 Jahren, lediglich drei sind jünger als 25 Jahre (neben Musetti sind das der im Ranking zurückgefallene Denis Shapovalov, 24, ATP# 121 und Giovanni Mpetshi Perricard, 20, aus Frankreich, ATP# 162).

Einhändige Rückhand

Einer der letzten ihrer Art: Lorenzo Musetti ist mit 21 Jahren der jüngste Spieler mit einhändiger Rückhand in den Top 100. (Foto: Imago)

Roger Federer sah das alles kommen. 2017 sagte er: „In Zukunft wird die beidhändige Rückhand das Spiel dominieren. So würde ich es auch meinen Kindern beibringen, es ist einfacher. Man kann mit ihr ungünstige Positionen zum Ball besser ausgleichen, sie bietet Vorteile beim Return. Die Reichweite ist etwas geringer, aber zur Not geht es auch mit einer Hand. Die beidhändige Rückhand ist der richtige Weg, aber ich hoffe, dass die Einhänder nicht aussterben werden. Die einhändige Rückhand sieht einfach viel besser aus.“

Der aktuelle Befund lautet: Die einhändige Rückhand wird in Schönheit sterben. Sie ist wunderbar anzuschauen, aber den Erfordernissen des modernen Tennis nicht mehr gut genug angepasst.

Einhänder sind so selten wie ein Java-Nashorn geworden

Gibt es noch Hoffnung? Kaum. Wer sich in internationalen Tennisakademien oder deutschen Landesleistungszentren umschaut, sieht nur noch Kinder und Jugendliche, die diese typische hauruck-artige Bewegung der Beidhänder abspulen. Auch das ist mitunter natürlich ein erstaunliches Schauspiel, weil darin soviel Druck und Kraft steckt. „In diesen Akademien noch einen Spieler mit einhändiger Rückhand zu finden, käme dem Fund eines Java-Nashorns gleich, dem seltensten Großsäugetier der Welt“, verglich jüngst die Times.

Im Sommer 2022 traf ich im Landesleistungszentrum von Hannover Max Schönhaus, der damals 14 Jahre alt war. Es war eine zufällige Begegnung. Schönhaus war sozusagen mein persönlicher Java-Nashorn-Fund, weil er eine einhändige Rückhand zum Niederknien spielt. „Die einhändige Rückhand fühlt sich einfach natürlich an für mich. Mir ist es nie in den Sinn gekommen, auf eine beidhändige Rückhand umzustellen“, sagte Schönhaus damals, der mittlerweile in Florida lebt, dort die IMG-Akademie der verstorbenen Trainerlegende Nick Bollettieri besucht und gelegentlich mit Tommy Haas trainiert, dessen Markenzeichen natürlich auch die einhändige Rückhand war.

Schönhaus ist aktuell der beste deutsche Spieler in der ITF-Junioren-Weltrangliste. Er steht dort auf Platz 33. Es ist zu früh, um irgendwelche Prognosen zu seinem Werdegang im Welttennis abzugeben. Aber sollte er es tatsächlich mal in die höheren Sphären der Profitour schaffen, wäre ihm jede Aufmerksamkeit gewiss – als dann vielleicht letzter Einhänder.