Europas Festspiele – endlich wieder Sandplatztennis
Natürlich verfolgt Nadal in erster Linie seine eigenen Interessen: Mit seiner körperbetonten Spielart ist er auf Sand wesentlich besser aufgehoben als auf Hardcourt. Und: Auf Sand ist er auch viel erfolgreicher – zumindest früher. Aber dennoch stecken in seinen Aussagen einige Wahrheiten. Stichwort: „Hardcourtisierung“. Tatsächlich gibt es im historischen Vergleich immer mehr Turniere auf Hartplatz. Ihr Anteil auf der ATP-Tour stieg von etwa 30 (1985) auf fast 60 Prozent (2015) – siehe auch Tabelle unten. Im Vergleich dazu hat sich der Anteil der Sandplatz-Events nur unwesentlich verringert (35,7% 1985 auf 33,3% 2015).
Immer mehr Hartplätze
Anzahl der ATP-Turniere auf den unterschiedlichen Belägen
Sand | Hartplatz | Rasen | Teppich | Insgesamt | Anteil Sand | Anteil Hartplatz | |
1985 | 25 | 22 | 6 | 17 | 70 | 35,7 % | 31,4 % |
1995 | 33 | 29 | 6 | 19 | 87 | 37,9 % | 33,3 % |
2005 | 25 | 31 | 6 | 5 | 67 | 37,3 % | 46,3 % |
2015 | 22 | 37 | 7 | 0 | 66 | 33,3 % | 56,1 % |
Die Erklärung: Auf Teppich, gängiger Belag für Hallenturniere bis in die 90er Jahre, wird nicht mehr gespielt. Er wurde im Lauf der Jahre durch Indoor-Hardcourts ersetzt. Dadurch stieg die Anzahl der Hartplatzevents insgesamt.
Nadal hat mit seiner Kritik also nur zur Hälfte recht: Ja, es wird mehr denn je auf Hardcourt gespielt. Und nein, das geht in der Regel nicht zu Lasten der Sandplatzturniere. Unangetastet von der Entwicklung blieb vor allem die europäische Sandplatz-Saison. Dort switchte kein Event von Sand auf Hardcourt um – im Gegenteil: Madrid ging sogar den umgekehrten Weg. Allerdings verlor der „Sandsommer“ für die Verlängerung der Rasensaison um eine zusätzliche Woche den Mercedes Cup von Stuttgart. Am Weissenhof wird seit 2015 auf Gras gespielt.
Mehr als 420.000 Partien untersucht
Der zweite Kritikpunkt Nadals, die hohe Verletzungsanfälligkeit auf Hardcourt, lässt sich ebenfalls nur bedingt belegen. 2012 erschien eine Studie von zwei Wissenschaftlern aus Slowenien. Kristijan Breznik und Vladimir Batagelj von der Universität Ljubljana untersuchten mehr als 420.000 Matches zwischen 1968 und 2010 mit dem Ziel, Aussagen über Partien zu treffen, die mit einer verletzungsbedingten Aufgabe endeten – eine Sisyphusarbeit.
Ihre Ergebnisse sind überraschend: Zwischen Sand und Hardcourt gibt es keine signifikanten Unterschiede. Die Quote der Aufgaben durch Verletzung ist auf beiden Belägen fast identisch. Die Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass die Verletzungen (und damit die aufgegebenen Partien) insgesamt auf der ATP-Tour zunehmen: Bis 1990 lag die Quote bei unter 1,5 Prozent pro Saison, seit 2002 ist sie stets höher als drei Prozent. Diese Steigerung allein den Hardcourts anzulasten, konnte nicht erwiesen werden. Wissenschaftlich fundiert sind Nadals Äußerungen über den angeblich aggressiven Hardcourt nicht. Allerdings: Welche Langzeitwirkungen (und -schäden) die vielen Partien auf Hartplatz nach sich ziehen werden, ist nicht klar.
Unbestritten bleibt aber, dass die vielen Turniere auf Hardcourt das Profitennis verändert haben. Es ist gleichförmiger geworden, die Matches – egal, wo sie gespielt werden – ähneln sich zunehmend. Und: Spezialisten, die nur Serve-and-Volley spielen oder als reine Sandplatzwühler bekannt sind, gibt es nicht mehr. Mittlerweile kann jeder Topspieler auf allen Belägen Titel holen.
Das war früher anders. Boris Becker gewann kein einziges Turnier auf Sand, Pete Sampras konnte nie die French Open gewinnen, Ivan Lendl blieb der Triumph in Wimbledon verwehrt. Sicher, Nadal galt auf Sand lange als unschlagbar. Genauso wie Federer auf Rasen. Aber diese Domänen wackeln oder sind schon gefallen.
„Im Profitennis ist eine zunehmende Angleichung der Spielstruktur auf den verschiedenen Belägen zu beobachten“, sagt Karl Weber, emeritierter Professor der Deutschen Sporthochschule in Köln. Er untersuchte 2008 und 2009 die Dauer der Ballwechsel bei den French Open. Sein Ergebnis: Die Hälfte aller Ballwechsel war nach vier Schlägen (zwei pro Spieler!) beendet, 80 Prozent nach spätestens acht Schlägen. Epische Rallys sind heute – selbst auf Sand – eine Ausnahme.
Das belegen auch Daten zur durchschnittlichen zeitlichen Dauer von Ballwechseln. Auf Hardcourt hat sich diese zwischen den 90er Jahren und 2007/2008 kaum verändert, aber auf Sand und auf Rasen – siehe Tabelle unten.
Zeitumstellung
Durchschnittliche Dauer der Ballwechsel im Herrentennis auf unterschiedlichen Belägen
90er Jahre* | 2007/2008** | |
Gras | 2,7 Sekunden | 5,5 Sekunden |
Sand | 8,3 Sekunden | 7,5 Sekunden |
Hartplatz | 6,5 Sekunden | 6,7 Sekunden |
* Schönborn, Richard „Tennis-Techniktrtaining“, 1998
** Fernandez-Fernandez, Jaime et all. „A review of the Activity Profile and Physiological Demands of Tennis Match Play“, Strength and Conditioning Journal, 2009
Die große Entschleunigung macht sich in Wimbledon am stärksten bemerkbar. Durch eine dichter wachsende Rasenmischung, die 2002 erstmals an der Church Road gesät wurde und den Ball stärker abbremst, kann man Wimbledon nun auch von der Grundlinie gewinnen – Lleyton Hewitt (2002) und Rafael Nadal (2008, 2010) sind dafür die besten Beispiele. Selbst das Spiel auf Rasen ist seitdem nicht mehr unverwechselbar.
In der um sich greifenden Eintönigkeit auf der Profitour kommt aber den Sandplätzen eine besondere Rolle zu. Sie gelten als der ideale Untergrund, um Tennis zu lernen. Coach und Buchtautor Chris Lewit hat das in seinem Buch „The Secrets of Spanish Tennis“ (nur in englisch über Amazon erhältlich) gut ausgearbeitet.
Lewit argumentiert, dass die Spanier deswegen so dominant im Welttennis sind, weil sie das ganze Jahr über draußen auf Sand spielen können: „Das ist ein enormer Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Ländern.“ Auf Sand lernen die Junioren den perfekten Spielaufbau, für schnelle Winner fehlt ihnen, anders als auf Hardcourt, noch die Kraft. Sie trainieren auf dem rutschigen, eher langsamen Untergrund ihr Balancegefühl, Ausdauer und Geduld. „Das alles sind Tugenden, von denen man später auf Hardcourt als Profi profitiert“, sagt Lewit. Der umgekehrte Weg, also als Kind auf Hardcourt lernen, um dann auch auf Sand gut zu spielen, ist schwieriger. Tennisnationen wie die USA oder Australien haben das längst erkannt und schicken ihren Nachwuchs immer häufiger auf neu gebaute Sandplätze.
Betonpisten mit etwas Puderzucker
Bedeutend ist das Sandplatztennis nach wie vor, da braucht sich Nadal keine Sorgen zu machen. Und es ist vielfältig, weil sich fast jeder Sandplatz anders spielt – siehe Text unten. Im 660 Meter hoch gelegenen Madrid sind die Sandplätze oft schneller als Hardcourts: Wenn die Sonne brennt, verwandeln sich die Plätze in Betonpisten mit etwas Puderzucker. Anders in Hamburg: Hier ist es häufiger feucht, Ball und Sand werden dann schwerer, das Spiel langsamer. Aber für die meisten Tennisspieler gilt ab Mitte April: egal, Hauptsache Sand!
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Sand ist nicht gleich Sand – warum sich Sandplätze unterschiedlich spielen
Jeder Tennisspieler kennt das Phänomen: Kaum ein Sandplatz gleicht dem anderen – egal, ob im Breitensport oder im Profibereich. „Sandplätze können sehr unterschiedlich sein, auch hinsichtlich ihres Tempos“, bestätigt Jamie Capel-Davies von der technischen Abteilung des Tennis-Weltverbands ITF. Etliche Faktoren beeinflussen das Verhalten eines Sandplatzes. Zum Beispiel die Korngröße des Belags. Damit ist die Größe der einzelnen Sandpartikel gemeint. Je gröber der Sand, desto größer wird die Reibung – der Sandplatz spielt sich dann eher langsam. Ist der Sand feiner, wird der Court schneller. Wichtig ist auch der Unterbau des Platzes. Wie dick ist die oberste Schicht, auf der man rutscht? Wie hart sind die darunter liegenden Schichten? In Deutschland ist der Unterbau aufwändiger und wasserdurchlässiger, weil es in der Regel mehr regnet als in Südeuropa. Die Sandplätze sind insgesamt weicher – und damit langsamer. In Spanien liegt der Sand oft auf harten Steinschichten, sodass der Ball beim Aufprall weniger stark abgebremst wird. Folge: Die Courts sind schneller. (timboe)
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