Hyeon Chung – Der Gummimann
Hyeon Chung hat sich mit seinem Lauf bis ins Halbfinale der Australian Open in der erweiterten Weltspitze etabliert und nebenbei eine neue Euphorie in seinem Heimatland entfacht. Bei den BMW Open ist der Südkoreaner einer der Mitfavoriten. Ein Porträt über einen Spieler, der einst nur wegen einer Sehschwäche mit dem Tennis begann.
Der Golfsport fand zum Ende des vergangenen Jahrtausends in Südkorea keine Beachtung. Fußball entwickelte sich wenige Jahre vor der Heim-WM langsam. Eisschnellauf und Shorttrack waren angesagt. Im Jahr 1998 änderte sich diese Ordnung schlagartig, als die bis dato unbekannte Se-Ri Pak im ersten Jahr auf der Profitour der Golferinnen (LPGA) zwei Major-Titel gewann und sich in die Weltklasse bugsierte. In ihrer Heimat Südkorea löste sie eine ungeahnte Euphorie aus.
Als Hyeon Chung im Januar, knapp 20 Jahre später, das Halbfinale der Australian Open erreichte, standen zeitgleich fünf koreanische Spielerinnen unter den ersten zehn der Golf-Weltrangliste und weitere 13 unter den ersten 50 der besten Spielerinnen der Welt. Ein Vermächtnis der mittlerweile zurückgetretenden Se-Ri Pak. Chung war vor den Australian Open nicht so unbekannt wie die koreanische Golferin 1998. Er stand 2013 im Juniorenfinale von Wimbledon, kämpfte sich 2017 unter die Top 60 und gewann dabei die erste Auflage der Next Gen-Finals in Mailand.Doch durch seinen Halbfinaleinzug von Melbourne ist er bereits jetzt, mit nur 21 Jahren, der erfolgreichste koreanische Tennisspieler aller Zeiten. Seine Anlagen beeindrucken und könnten in seinem Heimatland eine neuerlich ungeahnte Euphorie entfachen.
Erste Vorwehen einer Tennismania zeigten sich nach Chungs grandiosen Erfolgen von Melbourne, als er nacheinander Alexander Zverev, Novak Djokovic und den unbekannten US-Profi Tennys Sandgren besiegte. Plötzlich machte es sich ein neues Dutzend seiner Landsleute, hauptsächlich Medienvertreter von TV-Sendern und Zeitungen, im Pressezentrum gemütlich.
Dementsprechend gab es nicht wenige enttäuschte Gesichter, als Chung vor seinem Halbfinale gegen Roger Federer nur ganz wenige Interviewanfragen beantwortete. Als der Koreaner mit schmerzverzehrten Gesicht bereits im zweiten Satz seines ersten Majorhalbfinals verletzungsbedingt (Fuß) aufgeben musste, reisten viele seiner Landsleute ohne eine exklusive Stimme des neuen Stars ab – zu groß war der Andrang gewesen.
Profikarriere statt Militärdienst
Da war es fast unangenehm, dass das tennis MAGAZIN mit einigen westlichen Reportern die Chance bekam, mit Chung im Spielerrestaurant eine ruhige Viertelstunde für ein Frage-Antwort-Spiel zu bekommen. Am Ruhetag vor dem Federer-Spiel . „Ich verspüre nicht wirklich Druck vor diesen Spielen hier auf Grand Slam-Ebene“, antwortete der 21-Jährige aus Seoul auf eine der ersten Fragen, ob die Erwartungshaltung ihm gegenüber nun zugenommen habe. Stattdessen erzählte Chung am runden Tisch und mit ruhiger Stimme im durchschnittlichen Englisch eine Anekdote von den Asienmeisterschaften 2014. Er habe damals als 17-Jähriger das Doppelhalbfinale erreicht und er und sein Partner standen seinen Angaben nach mit dem Rücken zur Wand: „Damals mussten wir vier Matchbälle abwehren und gewannen das ganze Turnier noch. In Korea wird ein Sportler nur dann vom nationalen Wehrdienst, der 21 Monate andauert, befreit, wenn er einen internationalen Titel gewinnt“, erklärte Chung. Ohne diesen Triumph hätte er vermutlich nun nicht hier mit einem Reporterteam in Melbourne an einem Tisch gesessen und Fragen beantwortet. „Das war Druck. Sonst hätte ich zur Armee gehen müssen.“
Nach seinem glatten Dreisatzerfolg gegen Novak Djokovic hatte er, der Familienmensch, während des On-Court-Interviews mit Jim Courier leicht verlegen seinen Clan vorgestellt. Neben seinen Eltern und seinem Manager gehörte ebenfalls sein älterer Bruder Hong dazu. “Er war früher besser als ich und wir haben auf der Straße immer große Spiele nachgestellt. Er war Rafa und ich war der Djoker“, berichtete er im Players-Restaurant. Bruder Hong hat seine Profiambitionen noch nicht komplett aufgegeben, belegte zum Zeitpunkt der Australian Open Rang 465. Die Tennisfamilie komplettiert Vater Suk-Jin, der es immerhin mal auf Rang 455 schaffte. Vater und Bruder, beide Antreiber der Karriere von Hyeon, durften mitansehen, wie ihr Familienmitglied sein eigenes Vorbild Djokovic mit einer besseren Imitation des Serben besiegte. Mit hervorragend antizipierten und stets sauber getroffenen Returns, die eine Runde zuvor bereits Alexander Zverev entnervten, sowie einer Drahtig- und Wendigkeit, die Djokovic zu seinen Hochzeiten vor der Ellenbogenverletzung selbst kaum übertraf, rutschte Chung über den blauen Hartplatz von Melbourne – teilweise in den Spagat.
Sehschwäche mit Tennistraining behandelt
Immer mehr wurde über diese Beweglichkeit philosophiert, immer weniger über seine auffällig große Sportbrille gesprochen, die aus nächster Nähe mitunter ein wenig komisch aussieht. Chung leidet seit dem Kindesalter an starker Hornhautverkrümmung. Konservativere Modelle oder Kontaktlinsen kommen daher nicht in Frage. „Die Sehschwäche war überhaupt erst der Grund, warum ich damals mein Tennistraining intensiviert habe“, sagte Chung beim Essen. Sein Augenarzt habe seinen Eltern geraten, dass die Farbe grün gut für die Schulung seines Sehvermögens ist und ihn daher zum Tennistraining auf grünen Courts geraten.
Seine Leistungen ließen das Gerede schnell verstummen. Dass er im Übergang von 2017 zu 2018 nochmals einen Sprung vollzogen hat, liegt auch an der Erweiterung seines Trainerteams. Als sich Kevin Anderson und Neville Godwin nach ihrer erfolgreichen Zusammenarbeit am Ende 2017 trennten, arrangierte das Management von Chung kurzerhand die Zusammenkunft mit dem von der ATP zum Trainer des Jahres gewählten Godwin. Der Koreaner selbst lobte den Südafrikaner in den höchsten Tönen. Bereits 2009 zog Hyeon mit seinem Bruder für zwei Jahre an die Bollettieri-Academy nach Bradenton, Florida. Dort wurden die Grundlagen, die der Vater vermittelt hatte, weiter verfeinert.
Ex-Profi Lee: „Chung kann eine Olympische Medaille gewinnen“
Durch seine Erfolge in Melbourne hatte Chung nicht nur die mediale Aufmerksamkeit sicher. Der Youngster wurde als Top 30-Spieler der am höchsten platzierte Koreaner der Geschichte. Zuvor war das Hyung-taik Lee gewesen, der im Jahr 2000 und 2007 jeweils das Achtelfinale der US Open erreichte und es bis auf Rang 37 schaffte. „Es ist nicht nur ein großer Erfolg für das koreanische Tennis. Es sieht so aus, als rockt Hyeon jetzt das ganze Land“, sagte Lee gegenüber einer koreanischen Nachrichtenagentur. „In unserer Heimat wird es nun eine Menge Kinder geben, die so werden wollen wie er. Als jemand, der eine Tennisschule leitet, macht mich das sehr glücklich.“ Chungs Vorgänger, der eine Akademie in den USA führt, ist sich zudem sicher, dass Chung Großes erreichen kann. Er habe die Anlagen, den asiatischen Rekord bei den Majors zu brechen. Den hält der Japaner Kei Nishikori mit seiner Finalteilnahme bei den US Open. „Hyeon ist ein Spieler, der für sein Land eine olympische Medaille ergattern könnte“, sagt Lee. Generell attestiert er dem neuen südkoreanischen Sportidol Chung großes Starpotential. „Ich fühle keine Bitterkeit, weil er schon jetzt meine Rekorde gebrochen hat. Das ist gut für unser Land.“
Den großen Durchbruch in Melbourne trauten dem 21-Jährigen vor Turnierstart nur die Wenigsten zu. Wettanbieter boten das 258fache des Einsatzes für einen Turniersieg des Koreaners, der aufgrund der Fußverletzung ausgebremst wurde. Dafür blieb die Euphorie in seiner Heimat ungebremst. Das kurze Halbfinale wollten im Staatsfernsehen mehr als 50 Prozent seiner Landsleute verfolgen. Die Medien hatten in den Wochen danach, als Chung seine Verletzung auskurierte, Zeit, sich medial breiter aufzustellen. Die Nachfrage nach Hyeon Chung ist da. Ob die Leistungen ähnliche Auswirkungen haben wie bei Se-Ri Pak 1998, bleibt abzuwarten. Noch hat Chung keinen Majortitel gewonnen. In der erweiterten Weltspitze ist er aber allemal angekommen.air jordan 1 royal nike outlet | Luxury Online Shop | High-End Designer Fashion Store Shopping | JmksportShops