Jule Niemeier im Porträt: Mit Biss und Drang zum Netz
Jule Niemeier überraschte im Frühjahr mit ihrem Halbfinal-Lauf in Straßburg. Zufall war das nicht – die 21-jährige Deutsche ist stark im Kommen. Ist sie die langersehnte Hoffnungsträgerin?
Text: Florian Goosmann
Fotos: Claudio Gärtner
Erschienen in der tennis MAGAZIN-Ausgabe 8/2021
Man kann das durchaus so machen wie Jule Niemeier. Das erste Match überhaupt bei einem WTA-Turnier gewinnen, im Mai in Straßburg. Dann gleich noch zwei weitere Spiele. Und im Halbfinale Barbora Krejcikova in drei harten Sätzen alles abverlangen. Krejcikova, die dann das Turnier gewinnen sollte. Und, man erinnert sich, zwei Wochen danach die French Open in Paris.
Ob die knappe Niederlage gegen die spätere Roland Garros-Siegerin rückblickend noch spezieller war, nochmals Auftrieb gegeben hat? „Ich habe mich eher noch mal geärgert, dass ich das Match verloren habe“, antwortet Niemeier, und man muss diese Antwort eigentlich gut finden. „Aber natürlich hatte dieses Match auch etwas Positives. Weil es gezeigt hat, dass ich die Qualität habe, um auch gegen solche Spielerinnen zu gewinnen. Ich habe an dem Tag leider nicht mein bestes Tennis gezeigt.“
Erstes großes Highlight in Sraßburg
Das hatte Niemeier zuvor durchaus. Als Nummer 216 der Welt war sie nach Straßburg gereist, sie hatte dank ihres Turniersiegs beim ITF-Turnier in Prag gerade erstmals die Top 250 geknackt. In Straßburg kam sie als „Alternate“ an, in der Hoffnung, dass noch ein Plätzchen in der Qualifikation frei würde. Es wurde frei und Niemeier nutzte ihre Chance. Sie schlug unter anderem Andrea Petkovic, im Hauptfeld dann Diane Parry, Top-50-Spielerin Shelby Rogers sowie Arantxa Rus. „Es war mental und körperlich eine anstrengende Woche, auch eine ungewohnte. Das erste Halbfinale bei einem WTA-Turnier, da prasselt doch einiges auf einen ein.“
Ein Zustand, an den sich Niemeier gewöhnen könnte. Die 21-Jährige gehört zu den Hoffnungsträgerinnen der deutschen Tennisdamen. Angelique Kerber, Andrea Petkovic, Julia Görges, Sabine Lisicki – sie alle stehen eher am Ende ihrer Laufbahn, Görges hat den Schläger schon beiseitegelegt. Die Nachfolgegeneration um Carina Witthöft, Annika Beck oder Antonia Lottner hat aus den unterschiedlichsten Gründen nicht dauerhaft nachlegen können. Schafft es Niemeier?
Die Dortmunderin hatte bereits früh den Tennisschläger in der Hand, ihre beiden älteren Brüder hatten auf der Straße gezockt, Jule fing schnell Feuer. Mit fünf Jahren folgten die ersten Kleinfeldturniere, dann Bezirkstraining, später Verbandstraining. Mit 15 Jahren der große Schritt Richtung Profitennis, der Weg nach Offenbach an die Alexander Waske Tennis-University. Im März dieses Jahres dann der Umbruch. Niemeier wechselte nach Regensburg. Dort arbeitet sie nun mit Tenniscoach Michael Geserer und Physio- und Fitnesstrainer Florian Zitzelsberger, dem Ex-Erfolgsteam der bekannteren Jule – Julia Görges nämlich. Der Grund für den Wechsel: eher ungewöhnlich, nämlich über Physio Zitzelsberger. „Wir haben zuvor schon zusammengearbeitet, aber nicht regelmäßig, ich war ja in Offenbach. Anfang des Jahres wollte ich täglich mit ihm trainieren. Ich wollte den nächsten Schritt machen“, erklärt Niemeier.
Neue Heimat Regensburg
Eine Schulterverletzung hatte sie 2019 außer Gefecht gesetzt, keiner habe sie in den Griff bekommen, außer Zitzelsberger. „Flo hat mir direkt geholfen, nach ein paar Wochen waren die Probleme weg. Seitdem hatten wir dauerhaft Kontakt, ich war immer wieder in Regensburg bei ihm in Behandlung. Und jetzt, nach einer Verletzung im vergangenen August, habe ich den Cut gewagt. Seit unserer Zusammenarbeit hatte ich keine einzige Verletzung mehr“, so Niemeier. „Für mich hat der physische Teil aufgrund meiner Verletzungen einen extrem hohen Stellenwert. Daher war ich zu hundert Prozent von diesem Schritt überzeugt.“ Dass Coach Geserer hinzukam, war dann eher Zufall. Niemeier wollte sich in Sachen Tennis zunächst alleine über Wasser halten.
„Aber Michael war vor Ort. Wir hatten eine Trainingseinheit und es fühlte sich an, als würden wir uns schon ewig kennen.“ Niemeier wirkt entspannt, wenn sie von ihrem Leben erzählt. Eher zurückhaltend sei sie abseits des Courts, sagt sie. „Ich bin keine, die sich gerne in den Mittelpunkt stellt.“ Auf dem Platz sieht es anders aus. „Da pushe ich mich dann auch mal.“ Zu sehr aufgeregt habe sie sich früher. „Ich habe viel daran gearbeitet, wie ich auf dem Platz sein möchte oder sein sollte. Weil das dazugehört. Man muss das Spielerische weiterentwickeln, aber auch das Mentale.“
Vorbild Rafael Nadal
Zuschauer und Experten waren in Straßburg, bei Niemeiers Lauf, schwer beeindruckt, schwärmten von ihrer Kombi von Aufschlag und Vorhand, von ihrem Biss. Dazu ist Niemeier eine, die gerne den Weg nach vorne sucht – ungewöhnlich im Damenbereich, wo oft gut vorbereitet, aber selten am Netz abgeschlossen wird. „Mir macht es extrem viel Spaß, ans Netz zu gehen, auch mal einen Stopp oder Slice zu spielen“, sagt Niemeier. „In Regensburg haben wir das noch stärker eingebaut als zuvor.“ Mit Erfolg: Nach dem Straßburg-Lauf bezwang sie in Berlin nach überstandener Qualifikation beinahe Belinda Bencic, in Wimbledon verpasste sie nur knapp das Hauptfeld, zwei Matchbälle in der letzten Quali-Runde nutzte sie nicht zum erstmaligen Einzug in ein Grand Slam-Hauptfeld.
Spielt Niemeier weiter wie zuletzt, sollte das nur eine Frage der Zeit sein. Und hätte einen schönen Nebeneffekt – namens Rafael Nadal. Der ist nach wie vor das große Idol. „Ich mag es, wie er spielt, wie er seine Vorhand zieht, wie er fightet, sein ganzer Spirit. Er ist vom Typ her sehr bodenständig – und erfolgreich!“, schwärmt sie. Ein Kennenlernen mit „Rafa“ steht aktuell noch aus. „Aber ich hoffe, dass ich bald bei den großen Turnieren dabei bin“, sagt Niemeier. Dann wird sich ihr Wunsch wohl von alleine erfüllen.
Vita Jule Niemeier
Jule Niemeier, Jahrgang 1999, hat im Frühjahr 2021 erstmals die Top 200 der Welt erreicht – Tendenz: stark steigend! Niemeier, Mitglied im Porsche Talent Team, beschreibt sich als sehr ehrgeizig, heimatverbunden und reisefreudig. Ihr Freizeitverhalten? Fußball (Borrusia Dortmund), Freunde treffen, mit den Hunden spazieren, Netflix schauen – „und da eigentlich alles außer Horrorsachen“. Weltrangliste: 167, Karriere-Preisgeld: 71.955 Dollar.
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