Krawietz/Puetz vs Arevalo/Pavic Kevin Krawietz of Germany (L) and Tim Puetz of Germany (R) celebrate at the end of the M

Ihr größter Titel: Kevin Krawietz (li.) und Tim Pütz in Turin bei den ATP-Finals.Bild: IMAGO / Marco Canoniero

Krawietz/Pütz: Doppel-Weltmeister ohne Allüren

Kevin Krawietz und Tim Pütz gewannen als erstes deutsches Doppel bei den ATP-Finals – und blieben danach ziemlich entspannt. Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen.

Als die große Zeremonie begann und Tim Pütz, 36, zum Mikro griff, um dem Publikum in der Turiner „Inalpi Arena“ seine Siegeransprache vorzutragen, bedankte er sich nach einer kurzen Begrüßung der Fans erstmal bei seiner Frau: „Sie ist mit zwei kleinen Kindern zu Hause. Sie hat die wahre Arbeit zu erledigen, damit ich hier spielen kann.“ Später beim TV-Interview wiederholte er seine wertschätzenden Worte und ergänzte: „Ich muss jetzt aufhören darüber zu reden, sonst weine ich.“ Auch Kevin Krawietz, 32 und Vater eines Sohnes, hob vor der Fernsehkamera die Rolle seiner Gattin hervor: „Sie macht gerade alles zu Hause mit dem Kleinen. Ich vermisse beide unglaublich.“

Krawietz/Pütz schreiben deutsche Tennisgeschichte

Das deutsche Top-Duo Krawietz/Pütz errang kurz zuvor seinen größten Sieg, seitdem sich die beiden Doppelspezialisten Anfang 2023 als Paarung zusammengefunden hatten. Es ist ein historischer Triumph: Sie sind die ersten deutschen Tennisspieler, die in der 55-jährigen Geschichte der ATP-Finals (früher auch als Masters bekannt), den Doppeltitel gewinnen konnten. Im Finale schlugen sie die aktuelle Nummer 1-Formation Pavic/Arevalo mit 7:6, 7:6. Es spricht für die beiden Familienväter, dass sie in dieser großen Stunde in Gedanken bei ihren Liebsten waren. Und es zeigt: Weder Pütz noch Krawietz neigen zu irgendwelchen Allüren. Sie bleiben die geerdeten und unaufgeregten Typen, die man sich als aktiver Tennisspieler liebend gern in seiner eigenen Punktspieltruppe wünscht. Echte Teamplayer eben.

Dabei war der Start von Krawietz/Pütz bei den ATP-Finals lange unsicher. Zunächst blieb bis zur ersten Doppel-Runde des ATP-Masters-Events in Paris die Ungewissheit, ob sie es wirklich als achtes und damit letztes Team nach Turin schaffen würden. Als die Qualifikation sicher war, hing alles an der Wade von Tim Pütz. Er hatte sich beim Turnier in Antwerpen Mitte Oktober einen Muskelfaserriss zugezogen. Gut vier Wochen hatte er Zeit, um wieder fit zu werden. „Das war eine enge Taktung, aber ich habe jeden Tag mit meinem Physio an der Wade gearbeitet, um es nach Turin zu schaffen“, verriet Pütz.

Schließlich starteten Krawietz/Pütz furios ins Saisonabschlussturnier der ATP-Tour. Durch zwei Zwei-Satz-Siege in der Gruppenphase gegen Pavic/Arevalo und Bolelli/Vavossori qualifizierten sie sich vorzeitig für das Halbfinale. Das war das Mindestziel, das Kevin Krawietz vor Turnierstart ausgegeben hatte, weil er bei seinen bisherigen drei Teilnahmen an der inoffiziellen Doppel-WM jeweils in der Vorrunde gescheitert war. „Ich habe deswegen dieses Mal den Pützi dabei, um es endlich mal einen Schritt weiter zu schaffen“, hatte er scherzhaft angemerkt. Der Plan ging auf. Auch wenn Pütz zwischendurch die aufkommende Euphorie versuchte einzudämmen: „Das ist einfach nicht die Normalform mehr, wenn man das Jahr betrachtet.“ Was er meinte: Krawietz/Pütz waren auf ihrem Top-Level angekommen. Die Frage war: Wie lange würden sie es halten können?

Krawietz/Pütz auf Top-Level in Turin

Jetzt, im Nachhinein, kann man sagen: bis zum Schluss. Auch wenn das letzte Gruppenspiel gegen Ebden/Bopanna verloren ging und im Halbfinale gegen Purcell/Thompson etwas Glück mit im Spiel war. Gegen die beiden Australier, die Krawietz/Pütz im US Open-Finale 2024 bezwungen hatten, lagen die Deutschen 2:6, 0:2 hinten und mussten im Match-Tiebreak einen Matchball abwehren, ehe sie sich mit 2:6, 6:3, 11:9 durchsetzten.

Während der Turnierwoche hatte Kevin Krawietz im Advantage-Podcast erzählt, dass alle acht qualifizierten Teams von Turin „in etwa ein ähnliches Level“ hätten. Es gäbe aktuell kein Team, das alle anderen überragen würde „so wie früher die Bryan-Brüder“, erklärte er. Daraus schloss Krawietz: „Aus der Konstellation ergibt sich die Chance auf den Titel auch für uns.“ Wenige Tage später hatten Krawietz/Pütz dann tatsächlich die Aussicht auf ihren ersten großen Titel, nachdem sie in ihren zwei gemeinsamen Jahren auf der Tour bislang „nur“ zweimal in Hamburg erfolgreich waren (2023, 2024).

Das Re-Match gegen Pavic/Arevalo war wesentlich enger als die Gruppenpartie. Im gesamten Match gab es nur einen „deciding point“ – ein einziges Aufschlagspiel ging also über Einstand, wo dann die „No Ad“-Regel greift. Es gab darüber hinaus keine weitere Breakchance und entsprechend keinen einzigen Aufschlagverlust. Am Ende entschieden nur Nuancen, wie etwa die drei Return-Winner von Tim Pütz im Tiebreak des zweiten Satzes, von denen mindestens einer in jedes Highlight-Reel gehört: Arevalo servierte einen satten ersten Aufschlag in die Vorhand von Pütz, der das Ding mit einem Höllentempo crosscourt zum direkten Punktgewinn zurückballerte. Pavic, am Netz stehend, applaudierte daraufhin dem Deutschen zu. Es war ein Wahnsinnsball – oder wie es Sky-Reporter Paul Häuser formulierte: ein „Laser-Shot“.

Wenig später hatten Krawietz/Pütz den Sieg geholt, weil Pavic einen weiteren Schmetterball verschlagen hatte. Wenn es einen Schwachpunkt im gegnerischen Team gab, dann war es der Smash des Kroaten. Drei vergleichsweise einfache Punkte ließ Pavic im Matchverlauf liegen. Und am Ende hatten Krawietz/Pütz genau drei Punkte mehr gewonnen als Pavic/Arevalo (73:70). Tim Pütz ließ sich vor Freude auf den Boden fallen – zum ersten Mal in seiner Karriere übrigens, wie er mehrfach betonte. Krawietz ging tief in die Knie, ballte die Fäuste – und ließ sie auch auf den Boden fallen. Für ihn ist es der dritte große Doppeltitel nach den beiden Triumphen in Roland Garros mit Andreas Mies.

Krawietz/Pütz mit dem größtem Preisgeld

Trotz seiner zurückliegenden Erfolge: So viel Preisgeld wie nun in Turin strich Krawietz noch nie in seiner Karriere ein. Als Team erhielten Krawietz/Pütz 862.700 US-Dollar, macht 431.350 für jeden der beiden. Damit man ein Gespür für die Doppel-Preisgelder bekommt: Für Tim Pütz macht dieser Betrag knapp 40 Prozent seines Gesamtverdienstes für 2024 aus, der bei etwa 1,1 Millionen Dollar liegt.

Sportlich bedeutet der „WM-Sieg“ für Krawietz/Pütz vor allen Dingen, dass 2025 mit ihnen zu rechnen ist, wenn die nächsten großen Titel vergeben werden. 2024 gab es fünf unterschiedliche Doppelpaarungen, die die „big titles“ bei den vier Grand Slam-Turnieren und bei den ATP-Finals holten. Turin hat den beiden Deutschen gezeigt, dass sie nicht nur zu den besten Teams der Welt zählen, sondern dass sie die wichtigsten Turniere im Circuit auch gewinnen können – eine glänzende Ausgangsbasis für die neue Saison.

Wobei: Im März 2025 steht erstmal etwas Wichtigeres als Doppeltennis an. Denn dann wird Kevin Krawietz voraussichtlich zum zweiten Mal Vater. Und Familie geht natürlich vor – das weiß vor allem Doppelpartner Tim Pütz nur allzu gut.