Michael Stich: „Aus meiner Sicht setzt Wimbledon ein falsches Signal“
Ein Gast-Kommentar von Michael Stich
Ich bin selbst Mitglied im altehrwürdigen All England Lawn Tennis and Croquet Club und ich liebe diesen Club. Ich liebe ihn für seine Historie, seine Tradition, seinen Mut zur Erneuerung, aber auch für seine Unabhängigkeit als Institution. Doch nun hat der Club mit seiner Entscheidung, russische und belarussische Spielerinnen und Spieler vom diesjährigen Turnier auszuschließen, aus meiner Sicht einen Fehler begangen.
Der Krieg in der Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen und fügt so vielen Menschen unverschuldet Leid zu. Doch Spielerinnen und Spieler aus Russland und Belarus auszuschließen, ist für mich ein nicht nachvollziehbarer und inakzeptabler Schritt. Man kann doch einen Menschen nicht aufgrund seiner Herkunft und seines Geburtslandes diskriminieren.
Ich kann nicht im Ansatz emotional nachvollziehen, wie es den Spielerinnen und Spielern aus der Ukraine geht, wenn sie gegen Spielerinnen oder Spieler aus den genannten Ländern antreten müssen. Aber nur, weil ein Profi aus Russland oder Belarus stammt, heißt es ja nicht, dass er Aktionen seiner Regierung gutheißt und unterstützt. Er will einfach nur Tennis spielen und seinem Beruf nachgehen.
Stich: „Klares Bekenntnis gegen den Krieg darf man erwarten“
Ich denke schon, dass man von den Spielerinnen und Spielern aus Russland und Belarus ein klares Bekenntnis gegen den Krieg erwarten kann. Ob dies öffentlich sein muss, ist zu hinterfragen. Denn niemand kann sich ausmalen, welche Repressalien es eventuell gegen die Sportler selbst oder gegen ihre Familien geben kann. Aber so ein Statement kann auch gegenüber den Organisationen ausgesprochen werden, die die Tennisturniere veranstalten.
Doch ich frage mich, welche Botschaft der All England Club mit der ausgesprochenen Maßnahme senden will. Soll sie Druck auf die Regierung Russlands ausüben? Das wird wohl kaum funktionieren. Und wie weit will man diese Maßnahme durchziehen? Dürfen auch keine russischen Zuschauer auf die Anlage? Oder dürfen auch keine Mitarbeiter aus Russland stammen, wenn sie auf der Anlage während des Turniers arbeiten wollen? Das kann ich mir nicht vorstellen, aber am Ende wäre es nur konsequent, diesen Weg ganz zu beschreiten.
Stich: „Viel stärkeres Signal der Einheit senden“
Anstelle eines Verbots für Spielerinnen und Spieler aus Russland und Belarus könnte man ein viel stärkeres Signal der Einheit senden, etwa mit allen Spielerinnen und Spielern gemeinsam auf dem Center Court mit der klaren Botschaft: „Wir sind united und stehen zusammen!“ Aber stattdessen wird die Tenniswelt entzweit.
Die ATP und die WTA denken über Maßnahmen nach, wie sie diesen Ausschluss sanktionieren können. Die WTA erwägt etwa, keine Punkte des diesjährigen Wimbledon-Turniers für die Damen-Weltrangliste zu vergeben. Aber damit schadet sie ja allen Spielerinnen. Die, die ausgeschlossen sind, werden geschädigt und die, die spielen, bekommen keine Punkte für die Weltrangliste. Es verlieren also alle. Dadurch nimmt der Tennissport aus meiner Sicht noch mehr Schaden. Es muss doch möglich sein, dass die Organisationen einen einheitlichen Weg beschreiten und mit einer Stimme sprechen.
Stich: „Profis sollten eine klare Haltung zeigen“
Ich bin auch der Meinung, dass die Spielerinnen und Spieler jetzt ein klares Statement abgeben sollten, wie sie zu ihren Kolleginnen und Kollegen aus Russland und Belarus stehen und was sie erwarten. Sie können diese Verantwortung nicht an Institutionen und den Veranstalter delegieren. 1973, als Niki Pilic ausgeschlossen wurde, weil er sich weigerte, im Davis Cup anzutreten, haben sich die meisten Topspieler hinter ihn gestellt und haben Wimbledon boykottiert. Ich sage nicht, dass dies der richtige Weg wäre, aber die Profis sollten eine klare Haltung zeigen.
Ich habe mich deswegen auch an die International Tennis Hall of Fame mit der Frage gewandt, ob sie nicht ein Statement zur Wimbledon-Entscheidung veröffentlichen könnte. Die Tennis Hall of Fame ist eine übergeordnete Institution und vertritt schon seit Jahrzehnten die historischen Werte unseres Sports. Sie hat sich in der Vergangenheit etwa klar gegen die Diskriminierung von schwarzen Tennisspielerinnen und Tennisspielern eingesetzt. Ein Statement im Sinne des Sports könnte ein wichtiges Signal sein, ohne zu politisch zu werden. Und es würde zum Ausdruck bringen, dass Tennis ein Sport des Miteinanders und des Zusammenhalts ist.
Es ist an der Zeit für richtige Signale im Sinne des Friedens.
Michael Stich (53) gewann 1991 in Wimbledon. Er schlug damals in einem deutschen Finale Boris Becker. 1992 siegte Stich an der Seite von John McEnroe in der Doppel-Konkurrenz von Wimbledon. Stich holte insgesamt 18 Einzel- und zehn Doppeltitel auf der ATP-Tour. Im November 1993 war er die Nummer zwei der Einzel-Weltrangliste. Stich lebt in Hamburg.cheap air jordan 1 low | nike dunk release dates