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Tennispartner gibt es überall: Unser Autor Benjamin Simon (Mi.) stoppte auf seiner Radreise quer durch Europa auch in der Zivkovic Tennis Akademie im serbischen Niš. Bild: Benjamin Simon

Mit Rad und Racket: Tennis ist auch auf Reisen ein Spiel, das verbindet

Von Berlin nach Istanbul per Rad, dann mit dem Segelboot weiter nach Mallorca – und dabei immer wieder auf dem Tennisplatz stehen. Für Benjamin Simon ist das die Reise seines Lebens. Inzwischen hat er Asien erreicht.

Tag 23 – 11. April 2025: Gastfreundschaft und Lebensrealitäten in Serbien

Ein früher Kaffee an einer Tankstelle wird zum Tor in ein Gespräch, das mich berührt. Ein junger Serbe, 28 Jahre alt, erzählt mir in fließendem Englisch von seinem Leben zwischen Wien und Serbien. Drei Monate in der EU, drei Monate zurück, pendelnd zwischen zwei Welten. Wir sprechen nicht lange – aber es reicht, um mir ein Gefühl für die Lebensrealitäten dieser Region zu geben.

Später, in Razanj, finde ich durch eine hilfsbereite Tankstellenmitarbeiterin ein Gästezimmer bei einem älteren Herrn. Eine Einladung, kein Geschäft. Und wieder zeigt sich: Die menschliche Nähe ist das kostbarste Gut dieser Reise.

Tag 24 – 12. April 2025: Ein Spiel, das verbindet

Ich verlasse Razanj am frühen Morgen. Es ist einer dieser Reisetage, an denen man noch nicht weiß, was einem bevorsteht – aber man ahnt, dass es mehr wird als bloß Strecke. Der Abschied ist freundlich, fast still. Ein schwarzer Kaffee zum Start, ein Händedruck, ein Lächeln.

Die ersten Kilometer führen mich über ein Hochplateau – rund 300 Meter über dem Meer. Die Straße ist in einem erstaunlich guten Zustand, mein Fahrrad läuft ruhig, der Tritt ist gleichmäßig. Ich genieße das Gefühl, dass mich diese Reise trägt. Nicht nur physisch, sondern auch innerlich. Mein Ziel heute: Niš, die drittgrößte Stadt Serbiens – und die Zivkovic Tennis Akademie, von der mir Slobodan in Belgrad mit glänzenden Augen erzählt hatte.

Gegen Mittag erreiche ich die Anlage. Sie liegt auf einer Anhöhe über der Stadt, mit einem beeindruckenden Blick auf das umliegende Tal. Nikola, der Leiter der Akademie, empfängt mich mit offenen Armen. Er hat in Deutschland gelebt, spricht fließend Deutsch, ist sofort präsent – warmherzig, interessiert, aufrichtig. Wir setzen uns, trinken etwas, und er beginnt zu erzählen: von den Anfängen der Akademie, von dem wachsenden Interesse junger Spielerinnen und Spieler, von den Ausbauplänen, die er gerade trotz knapper Zeit und Ressourcen umsetzt.

Er spricht von den Kindern, die in den kommenden Tagen aus Deutschland anreisen werden, um hier in den Osterferien zu trainieren. Und er spricht mit Stolz. Man spürt: Hier entsteht etwas. Nicht laut, nicht großspurig – aber mit Haltung und Herzblut.

Mit Rad und Racket

Ein Match im serbischen Niš: Autor Benjamin Simon (re.) mit dem 16-jährigen Ognjen Belic.Bild: Benjamin Simon

Ich bitte Nikola, ob ich ein paar Bälle schlagen könne. Kurz darauf stellt er mir Ognjen Belic vor – einen 16-jährigen Jungen mit serbisch-schweizerischer Herkunft. Ognjen lebt inzwischen fast vollständig in dieser Akademie. Seine Schule macht er online – in der Schweiz. Dort wird er auch sein Abitur abschließen. Er erzählt mir, wie seine Mutter ihm einst ein kleines Netz ins Wohnzimmer stellte und wie alles begann: die Straße, der erste Verein, die ersten Turniere.

Wir betreten den Platz. Ognjen ist fokussiert, diszipliniert, aber auch offen und wach. Wir spielen einige Ballwechsel, und es ist sofort klar: Der Junge lebt Tennis. Er spielt mit einer Präsenz, die selten ist in diesem Alter. Nach dem Training setzen wir uns nebeneinander auf die Bank am Spielfeldrand. Ich frage ihn, was seine Pläne sind. Er will sein Abi machen. Und dann? Vielleicht weiter Tennisspieler. Vielleicht Coach. Vielleicht was ganz anderes.

Ich erzähle ihm vom LTTC Rot-Weiß Berlin. Von meiner Stadt. Vom Verein. Ich sage: „Wenn du willst – komm. Spiel bei uns. Und studiere in Berlin.“ Er schaut mich an, lange. Dann lächelt er. Es ist dieser Blick, in dem eine neue Möglichkeit aufleuchtet. Vielleicht ist es nur ein Impuls. Vielleicht ein Anfang.

Zum Abschied schenke ich Nikola den Wimpel des LTTC Rot-Weiß. Er strahlt, holt ein T-Shirt seiner Akademie, reicht es mir mit stolzem Blick. Wir schütteln die Hände – von Tennisfreund zu Tennisfreund.

Es ist schon später Nachmittag. Ich müsste eigentlich weiter. Doch ich bleibe. Mein Körper braucht Pause. Mein Kopf will das alles sacken lassen. Ich buche spontan ein Hotelzimmer in der Innenstadt und spaziere später durch das Zentrum von Niš. Ich besuche die alte Festung, sehe junge Leute auf den Straßen, beobachte wieder einmal eine kleine Studentendemonstration. Überall auf dieser Reise: Jugendliche, die nicht einfach hinnehmen, was ist.

Ich falle müde ins Bett. Doch in meinem Kopf hallt noch nach, was heute auf dem Platz entstanden ist: ein Gespräch, ein Blick, ein Vorschlag. Und die stille Freude, dass Tennis auch auf dieser Reise das ist, was es immer war – ein Spiel, das verbindet.

Tag 25 – 13. April: Mut zur Bewegung

Wir leben in einer Zeit, in der vieles planbar scheint – und doch ist der Aufbruch oft das Schwierigste. Nicht alles lässt sich absichern, vorbereiten, perfekt organisieren. Wer losgeht, wird unterwegs auf Dinge stoßen, die nicht im Plan standen: Hindernisse, Zweifel, Umwege. Und trotzdem – oder gerade deshalb – braucht es diesen Moment, in dem man losfährt.

Ich bin heute früh in Niš aufgebrochen. Zwei lange Anstiege, über 500 Höhenmeter. Kein leichter Tag mit Gepäck, aber auch kein Tag zum Klagen. Ich wusste, worauf ich mich einlasse. Und ich wusste, dass ich nicht schnell sein muss – nur beständig.

Unterwegs kommt mir der Tennissport wieder in den Sinn. Auch dort braucht es Mut zum ersten Aufschlag. Und auch dort weiß man nie, was vom Gegner zurückkommt – ein harter Return, ein Stoppball, eine taktische Finte. Auf dem Fahrrad bin ich heute mein eigener Gegner, aber auch mein eigener Spielmacher. Ich bestimme den Rhythmus. Ich reagiere auf die Steigung, auf den Wind, auf mein Gefühl.

Die Etappe führt durch hügelige Landschaft. Kaum Verkehr. Viel Raum. Und dann diese stillen Momente: Eine ältere Frau am Straßenrand winkt mir zu. Ein LKW-Fahrer bläst zur Motivation die Hupe. Kleine Gesten. Große Wirkung. Man spürt: Die Menschen sehen dich. Sie erkennen, dass du unterwegs bist.

Gestern hat mir ein junger Tennisspieler erzählt, wie sehr er den festen Tagesablauf in seiner Tennisschule mag. Heute weiß ich, was er meint. Meine Tage haben auch Struktur: Um 8 Uhr sitze ich auf dem Rad. Kaffee. Frühstück. Mittagspause. Nachmittagspause. Am Abend kehre ich ein, laufe noch ein paar Schritte durch Dimitrovgrad, und liege um 20 Uhr im Bett. Dieser Rhythmus trägt mich – körperlich, mental, um die Strecken zu bewältigen.

Mit Rad und Racket

Tennisclub auf dem Weg durch Serbien: In der Stadt Pirot grüßt Novak Djokovic von der Ballwand.Bild: Benjamin Simon

Aber es sind nicht nur die Tagesetappen, die zählen. Es ist auch der Blick zurück. Auf die Karte. Auf die Strecke. Von Berlin bis fast nach Bulgarien. Was vor Wochen wie eine gewagte Idee wirkte, liegt jetzt hinter mir.

Und ja, das hier ist keine Weltumrundung. Kein Rekordversuch. Kein Hochleistungssport. Es ist nur eine Radtour – vielleicht. Aber vielleicht ist es auch ein kleiner, leiser Mutmacher. Für dich. Für andere. Für all jene, die spüren, dass es manchmal nicht um Größe geht, sondern um Bewegung. Dass es nicht darum geht, wie weit man kommt – sondern dass man sich überhaupt auf den Weg macht.

Dieser Mut – zum ersten Schritt, zum Weiterfahren, zum Aushalten – ist es, was wir weitergeben sollten. Er ist kein Muskel, er ist eine Haltung. Und er beginnt dort, wo wir loslassen, was uns aufhält.

Tag 26 – 14. April 2025: Auf der Autobahn nach Sofia

Ich wache früh auf in Dimitrovgrad. Der Ort liegt tief eingeschnitten in einem engen Tal, beinahe wie in eine Schale gegossen. In der Nacht hat sich kalte Luft gesammelt, und über dem Ort hängt ein schwerer Rauchschleier. Hier wird noch mit Holz geheizt. Ein Bild, das etwas Nostalgisches hat – und doch brennt mir der Rauch in der Nase. Es fühlt sich an, als hätte ich neben einem alten Ofen geschlafen. Ein letzter Gruß aus Serbien, ehe ich heute das Land verlasse.

Ich packe meine Sachen sorgfältiger als sonst. Ich weiß: Heute wird anstrengend. Mein Routenplaner hat die Strecke seit Tagen in Warnfarben markiert. Ein Anstieg auf über 1000 Meter liegt vor mir – und das mit Hänger, Zelt und Ausrüstung. Ich überprüfe mein Rad, ziehe die Gurte nach, fülle Wasser auf, ziehe die Jacke fest. Punkt 8 Uhr bin ich unterwegs.

Es ist grau, feucht, der Asphalt glänzt. Die Straße steigt schnell an, schraubt sich in langen Bögen aus dem Tal. Ich fahre konzentriert. Wenig Verkehr, dafür viele Gedanken. Jeder Meter bringt mich näher an die Grenze – und damit auch näher an ein neues Kapitel.

Kurz vor dem serbischen Grenzposten halte ich ein letztes Mal inne. Ich schaue zurück ins Tal, nehme ein Foto auf. Es fühlt sich an wie ein Abschied, der leise, aber bedeutend ist. Dann geht es weiter. Die Kontrolle ist kurz, freundlich. Ich rolle durch den trostlosen Grenzstreifen, dann taucht die bulgarische Kontrollstelle auf.

Ein junger Grenzbeamter tritt aus dem Häuschen. Er sieht mein Rad, den Anhänger, mein Handy mit der Route. Er spricht gutes Englisch. „Where are you going?“ fragt er. Ich zeige ihm die Karte. Er runzelt die Stirn, schaut mich lange an, sagt dann: „If you follow this, you will get lost.“ Ich lache – denke, er macht einen Witz. Doch er bleibt ernst.

Dann legt er die Hand auf meine Schulter, lächelt, fast väterlich, und sagt: „Take the highway. It’s okay. Ride the shoulder. Say I told you.“

Ich folge seinem Rat – und finde mich wenig später auf der bulgarischen Autobahn wieder. Was absurd klingt, wird zum schönsten Stück Straße seit Tagen. Die Fahrbahn ist neu, breit – und auf der rechten Spur bin ich allein. Kein Drängeln, kein Hupen, kein Ausweichen. Es fühlt sich an wie ein geheimer Pfad, den nur ich betreten darf. Der Verkehr rollt neben mir ruhig dahin, während ich meinen eigenen Takt fahre. Kilometer für Kilometer, fast meditativ.

Am späten Nachmittag tauchen die ersten Häuser von Sofia am Horizont auf. Die Stadt wirkt groß, aber nicht unnahbar. Eingebettet zwischen Hügeln, weitläufig und zugleich geordnet. Mein Ziel ist der MG Tennis Club – mitten im Zentrum. Ich finde ihn erstaunlich leicht, trotz Müdigkeit und feuchtem Wetter.

Mit Rad und Racket

Trainingseinheit im MG Tennis Club von Sofia: Auch in der bulgarischen Hauptstadt findet Autor Benjamin Simon schnell Spielpartner.

Dort empfängt mich Valentin, der Clubmanager. Ein freundlicher Mann mit wachem Blick und feinem Gespür für Menschen. Wir sprechen nur kurz, aber mit Tiefgang. Er organisiert mir ein Gruppentraining am Abend, und ich bin sofort willkommen. Eine Spielerin, Diana, bleibt mir besonders im Gedächtnis. Sie ist keine Profispielerin, sondern jemand, der Tennis liebt – so sehr, dass sie ihre Urlaube nutzt, um bei internationalen Turnieren wie Wimbledon hinter den Kulissen zu arbeiten. Nicht im Rampenlicht, aber ganz nah dran. Menschen wie sie halten diesen Sport am Laufen.

Die Trainerin des Abends ist ebenfalls besonders. Eine Bulgarin, die viele Jahre in Thessaloniki gelebt hat – genau jener Stadt, die noch vor mir liegt. Sie gibt mir Kontakte, Namen, Empfehlungen. Wieder entsteht ein kleines Netzwerk. Still, fast beiläufig. Und doch bedeutend.

Ich verlasse den Platz mit müden Beinen, aber einem wachen Herzen. Heute habe ich nicht nur die Grenze von einem Land zum anderen überquert. Ich habe mich auch ein Stück weiter nach innen bewegt. Richtung Klarheit. Richtung Vertrauen. Richtung Bulgarien.

Tag 27 – 15. April 2025: Treffen mit einem Teamkameraden

Sofia bleibt mein einziger Tag ganz ohne Fahrrad. Mein Körper braucht Ruhe, und mein Kopf sucht Weite. Ich folge einer Stadtführung durch Jahrhunderte bulgarischer Geschichte. Ausgrabungen inmitten moderner Gebäude, sichtbar konserviert, machen die Vergangenheit greifbar. Ich staune über die Architektur, aber vor allem über das Selbstverständnis der Stadt, Geschichte offen zu zeigen.

Nachmittags treffe ich meinen Teamkameraden Benni aus Berlin – ein kurzer, aber herzlicher Moment der Verbundenheit. Auch er spielt für den LTTC Rot-Weiß, genau wie ich. Und nicht nur das: Wir spielen gemeinsam in der Herren 40 Mannschaft unseres Heimatvereins. Dass wir uns ausgerechnet hier, hunderte Kilometer entfernt von Berlin, in Sofia begegnen, wirkt wie ein kleiner Zufall des Schicksals – oder wie ein Gruß des Sports. Wir umarmen uns, tauschen ein paar Geschichten aus, lachen über die Absurdität des Moments – und ziehen dann wieder weiter, jeder in seiner Richtung.

Es ist ein Tag zum Durchatmen, zum Staunen, zum Loslassen – und zum kurzzeitigen Ankommen in einer vertrauten Begegnung.

Tag 28 – 16. April 2025: Erfahrener Coach in der bulgarischen Provinz

Die Fahrt aus Sofia beginnt mit zähem Stadtverkehr, doch bald befinde ich mich wieder auf dem vertrauten Standstreifen der Autobahn – bergauf, 40 Kilometer lang. Die Landschaft verändert sich, die Luft wird klar. Ich erreiche die Hochebene und biege nach einer Pause auf der Raststätte auf kleinere Landstraßen ab. Blumen in Vorgärten, spielende Kinder, nickende Männer – ein Panorama des einfachen Lebens. Doch Begegnungen bleiben heute flüchtig.

Erst am späten Nachmittag wird es wieder persönlich. Ich erreiche eine Tennisanlage in einem kleinen Ort, wo ich Boris Stefanov kennenlerne. 79 Jahre alt, enthusiastischer Tennistrainer, und durch Zufall verbunden mit meinem Heimatverein LTTC Rot-Weiß Berlin: Er begleitete einst bulgarische Jugendteams zu einem Turnier dorthin.

Mit Rad und Racket

Erfahrener Coach: Der bulgarische Tennistrainer Boris Stefanov (li.), 79 Jahre, trainiert schon seit Jahrzehnten Kinder und Jugendliche.Bild: Benjamin Simon

Seine Tochter übersetzt. Ich erzähle ihm von meiner Reise, er berichtet vom bulgarischen Nachwuchs. Ein Vater, der auf der Anlage anwesend ist, bietet mir spontan seine Hilfe an. Er eskortiert mich samt Rad zum Hotel und bittet seine Kinder, mir mit dem Gepäck zu helfen. Sie tun es mit einer Selbstverständlichkeit, die mich rührt. Es ist nicht das große Ereignis, sondern die stille Hilfsbereitschaft, die bleibt.

Tag 29 – 17. April 2025: Eine Nacht im Kinderzimmer

Ich wache schwer auf. Die Müdigkeit sitzt tief. Mein Körper wirkt leer, die Beine schwer, der Geist träge. Meine Fitnessuhr zeigt ein Erschöpfungslevel unter 40 Prozent. Trotzdem: Ich stehe auf. Ich hänge den Anhänger an, setze mich auf mein Fahrrad. Nicht aus Freude – sondern aus Haltung. Weil es weitergeht.

Der erste Halt ist wie so oft: eine Tankstelle. Ein Kaffee. Eine Pause zum Ankommen. Ich fahre weiter Richtung Plovdiv – der Stadt der sieben Hügel. Ich wusste, dass sie alt ist. Aber als ich ankomme, spüre ich ihre Geschichte. Ich schlendere durch die Altstadt, spüre das weiche Licht, die Wärme, die Ruhe. Unter meinen Füßen: antikes Pflaster, das römische Stadion. Geschichte in jeder Gasse. Ich frage nach dem Weg – und bin schon wieder in einem Gespräch. Flüchtig, offen, ehrlich.

Doch ich kann nicht bleiben. Ich muss weiter – wie immer. Ziel: Chaskowo. Es sind noch 90 Kilometer. Ich bin müde, doch ich fahre weiter. Unterwegs ein Kuriosum: ein ausrangiertes Kampfflugzeug am Straßenrand. Und dann: Laurent. Ein französischer Radfahrer, auch er seit vier Wochen unterwegs. Sein Ziel: China.

Wir fahren gemeinsam ein Stück. Reden, lachen, teilen den Weg. Es ist erstaunlich, wie schnell Nähe entstehen kann, wenn zwei Menschen dasselbe tun: sich aufmachen. Die Verbindung ist flüchtig, aber intensiv. Dann trennen sich unsere Wege. Ich bleibe zurück. Ein Ziehen im Bauch. Es ist ein Gefühl, das ich inzwischen gut kenne.

Gegen 17 Uhr zeigt mein Navi: noch 50 Kilometer. Ich bin leer. Und dann passiert es wieder: Eine Frau ruft mir hinterher, reicht mir zwei Tomaten. „Take this!“ Ich frage im Spaß nach Salz – und sie antwortet auf Deutsch.

Es beginnt ein Gespräch. Aus dem Gespräch wird ein Abend. Ich erzähle, sie hört zu. Als ich sage, ich weiß nicht, wo ich heute schlafe, sagt sie: „Dann schlaf bei uns.“

Ich schlafe im Kinderzimmer ihres Hauses, in Varbitsa. Ich dusche draußen im Garten. Ich esse Brot, Käse, Tomaten. Ich frage, was sie hier liebt. Sie sagt: „Ich habe keinen Briefkasten. Niemand stört mich. Ich habe meine Ruhe.“

Und wieder wird aus einer flüchtigen Begegnung ein Moment echter Nähe. Wieder bin ich angekommen – für eine Nacht.

Tag 30 – 18. April 2025: Der stille Vater von Grigor Dimitrov

Heute ist mein letzter ganzer Radtag in Europa. Kein Tag großer Leistung – aber ein Tag großer Menschen.

Ich wache auf in Adrianas neu gestaltetem Gästezimmer. Alles liebevoll eingerichtet. Adriana ist eine stolze, aufrichtige Frau. 15 Jahre lebte sie in Deutschland, nun ist sie zurück. Mit ihrem Mann baut sie ein 2000 Quadratmeter großes Grundstück aus. Ihr kleiner Laden verkauft nur, was sie kennt – vieles aus eigener Herstellung: Tomaten, Käse, Brot, Eier.

Wir frühstücken im Garten. Eine bulgarische Spezialität, starker Kaffee, Morgensonne. Es ist still, friedlich. Adriana lebt mit einer Klarheit, die mich demütig macht. Ihre Werte sind einfach – aber stark. Ihre Zufriedenheit wirkt ansteckend.

Dann mache ich mich auf den Weg. Sie rät mir, den Tennisclub in Haskovo zu besuchen. Ich folge ihrem Tipp – und dort erwartet mich eine Überraschung: Grigor Dimitrovs Vater. Ein bescheidener Mann, der sich schlicht als Sportlehrer vorstellt. Erst später lese ich, wer er ist. Neben ihm: Yordan, Mitbetreiber der Anlage. Ein Mann der Ordnung, ruhig und präsent.

Mit Rad und Racket

Überraschende Begegnung in Bulgarien: Im Tennisclub von Haskovo lernt Autor Benjamin Simon (Mi.) den Vater von Grigor Dimitrov (re.) kennen.Bild: Benjamin Simon

Gerade läuft ein ITF-Turnier der U18. Ich schaue zu, sehe das Halbfinale einer chinesischen Spielerin: Ruien Zhang. Sie spielt klar, ruhig, mit großer Präsenz. Ihr Vater sitzt neben mir. Wir sprechen. Ruien lebt in Beijing, hat Verträge mit Adidas und Yonex, wird vom Management von Jannik Sinner betreut.

Nach dem Match frage ich sie spontan, ob wir ein paar Bälle schlagen wollen. Sie sagt ja. Und wieder ist es da: Dieses stille Verstehen auf dem Tennisplatz, das keine Worte braucht. Ich biete ihr den Kontakt zum LTTC an – wer weiß, vielleicht ergibt sich etwas.

Am späten Nachmittag mache ich mich auf den Weg. Die letzten 60 Kilometer nach Svilengrad. Die Landschaft weit, die Straße gut. Aber mein Rad ächzt – das Tretlager ist durch. Die Anhängerlast zeigt Wirkung. Ich schaffe es trotzdem. Um 20 Uhr erreiche ich mein Hotel.

Mit Rad und Racket

Auf bulgarischer Asche: Mit der chinesischen Nachwuchsspielerin Ruien Zhang (li.) schlug Autor Benjamin Simon eifrig Bälle.Bild: Benjamin Simon

Für die letzte Nacht in Europa gönne ich mir eine Sauna. Wärme. Rückblick. Dankbarkeit.

Adriana. Grigors Vater. Ruien. Jordan. Begegnungen, die mich berührt haben. Menschen, die mich inspiriert haben.

Morgen überquere ich die Grenze. Noch drei Tage. Dann Istanbul. Dann das Meer. Aber heute Nacht? Schlafe ich ein letztes Mal in Europa. Und bin erfüllt.